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Mittwoch, 24. Oktober 2012

AUSSER DER LIEBE UND DEM TOD

von Ilka Lohmann
Rezension zu „Der Potemkinsche Hund“ (Roman) von Cordula Simon
erschienen bei Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
ISBN: 978-3-85452-688-9; Preis: 19,90 Euro




„Was ist schön außer der Liebe und dem Tod?“, fragt Walt Whitman in seinem Gedicht „Scented Herbage of my Breast“ (1888). Beide Themen greift die österreichische Autorin Cordula Simon in ihrem Erstlings-Roman „Der Potemkinsche Hund“ auf und beweist damit einmal mehr, daß die deutsche Gegenwartsliteratur zwar ihren Schwung verloren haben mag, die österreichische aber nicht.

Irina, Mitte Dreißig und alleinstehend, lebt in Odessa und ist verliebt in ihren Nachbarn Anatol. Aber Anatol stirbt plötzlich und unerwartet. Dieser Tod stürzt Irina in eine tiefe Krise. Sie, eine Chemikerin, wendet ihre Fähigkeiten an, schleicht sich nachts auf den Friedhof und versucht, den Leichnam wieder zum Leben zu erwecken. Vermeintlich scheitert ihr Experiment. Sie wartet nicht lang genug, um Anatols Rückkehr aus dem Reich der Toten mitzuerleben. Sie beginnt nun, ihr Leben zu bedenken, ihre verpaßten Chancen und ungenutzten Möglichkeiten und verläßt die Stadt.
Anatol indessen kehrt aus dem Grab zurück. Ein Hund, er nennt ihn Celobaka (russ. Menschhund), führt ihn durch die Straßen und wird ihm zum treuen Begleiter. Anatol versucht, sich zu erinnern, doch obwohl er wiederbelebt wurde, kann er sein Leben nicht mehr wiederfinden. Es ist vorbei. Es ist beendet. Unwiderruflich. Mit jedem Tag verblassen die Bilder ein wenig mehr.
Als Irina und Anatol einander auf ihren eigenen Odysseen doch begegnen, bleibt das Feuer aus. Sie bleiben Fremde. Die Liebe ist tot. Wie das Leben. Irina hat alles verloren außer ihrer Verzweiflung, und Anatol verschwindet in der Nacht.

Es könnte ja fast ein Schauerroman sein. Doch trotz des Zombies Anatol, der stinkend und verwesend durch die Straßen von Odessa und Kiew wandert, stellt sich kein Schauer ein. Vielmehr wird das Absurde der Situation zu einer merkwürdigen Realität.
Während Anatol sich nicht an sein Leben erinnern kann, wird Irina von ihren Erinnerungen geradezu überschwemmt – eine Flut, der sie sich nicht wiedersetzen kann. Anatol ist gestorben, und auch sie fühlt sich wie eine lebende Tode. Innerlich ist sie ebenfalls ein Zombie. Sie, die immer hinter den anderen stand, auf die nie der Scheinwerfer fiel, die all ihre Chancen, glücklich zu werden, vertan zu haben glaubt, die keinen eigenen Blick zu haben scheint und sich selbst immer nur mit fremden Augen betrachtet. Sie meint, von einer Doppelgängerin verfolgt zu werden – ein Symptom der Spaltung, in die der Abscheu vor sich selbst sie getrieben hat.

Nein, dieses Buch ist nicht schauerlich. Es ist kein Horrorroman im Stile von Steven King. Doch düster ist der Roman auf alle Fälle. Es ist ein bemerkenswertes Stück Gegenwartsliteratur.
Es mag zu Beginn nicht leicht zugänglich sein, doch es öffnet sich allmählich dem Leser wie die Tür einer Gruft zu Mitternacht. Die Sprache ist einfach, nahezu kühl.
Ein Höhepunkt ist das 15. Kapitel. Hier gibt sich die Verfasserin nahezu rhapsodisch einem großen Entwurf über das Leben, den Tod, die Liebe und die Qual des alltäglichen Dasseins hin. Hier bringt sie den Menschen auf einen Punkt. Der Mensch, der Verlorene im Universum. Der Tod, der ein Freund sein kann, der hilft, der dahineilenden Zeit einen Anker und Bedeutung zu geben.

Cordula Simons Erstlings-Roman ist ein kleines Meisterwerk. Es fällt schwer, in der Gegenwartsliteratur Ähnliches zu benennen. Allenfalls wären es Jelineks „Die Kinder der Toten“ oder – um die Gegenwart zu verlassen - „Der Fall Waldemar“ von Edgar Allan Poe.
Was ist das für eine Welt, in der die Toten auferstehen, weil die Liebe nach ihnen ruft, und der die Liebenden am Ende doch nicht zu einander finden?








Samstag, 18. August 2012

BANALES AUS DER THRILLER-KISTE: DER KNOCHENBRECHER von Chris Carter

Rezension „Der Knochenbrecher“ von Chris Carter

Chris Carter „Knochenbrecher“, erschienen bei Ullstein Taschenbuchverlag, Mai 2012, 423 Seiten, übersetzt von Sibylle Uplegger
ISBN: 978-3548284217
Preis: 9,99 Euro



Ein Thriller ist ein bestimmtes Genre in Literatur und Film. Der Name bedeutet „Spannung“. Es soll eine Geschichte erzählt werden, die beim Rezipienten derselben eben dieses Gefühl der Spannung auslöst. Dazu werden bestimmte Techniken verwendet: Weite Spannungsbögen, besondere Überraschungsmomente in der Handlung oder Täuschungsmanöver („Red Herrings“).

Der Autor Chris Carter hat das Handwerk des Thriller-Schreibens gelernt. In seinem Roman „Knochenbrecher“ zieht er alle Register, zeigt alle Spielarten.
Es geht um einen Serienmörder, der Frauen mit zusammen genähten Mündern und Schamlippen in einsamen Gebäuden zurück und dem Sterben überlässt. Sie sollen durch eine Art Selbstzerstörungsmechanismus, den er ihnen in den Unterleib geschoben hat, ums Leben kommen. Mal ist es eine Bombe, die allerdings erst bei der Obduktion explodiert, ein andermal ist es eine Leuchtrakete, die das Opfer von innen verbrennt. Beim dritten Mal eine Art Messer, daß die junge Frau von innen zerfetzt. Die Opfer sind alle Künstlerinnen um die Dreißig, die sich auf frappierende Weise ähneln.
Dr. Robert Hunter, Detective beim Morddezernat I des LAPD, hat die Aufgabe, den Täter zu fassen. Er ist hochintelligent und gut ausgebildet. Ein Genie, das unter Schlaflosigkeit leidet. Und leider aus der Retorte stammt.
Auch die anderen Personen, die in dem Roman auftauchen, wirken wie Abziehbilder, sind bleich und gesichtslos, und bei einigen ist auch lange Zeit unklar, ob sie Männer oder Frauen sind. Sie reden auch viel von ihren Gefühlen, scheinen aber keine zu besitzen.
In der Tat bleibt alles an der Oberfläche. Nichts hat Tiefe.
Und natürlich wird auch am Ende die Chefin von Detective Hunter entführt, so wie es zu sein hat. Und natürlich geht alles glimpflich aus, nur nicht für die kleine Privatdetektivin, die erheblich zur Lösung des Falles beiträgt.

Ach ja, Dr. Hunter ist ja ein Profiler. Das muß man immer wieder erwähnen, weil man es nicht erlebt. So etwas wie Profiling findet nämlich nicht statt. Und wenn, dann auf einem Wikipedia-Niveau, daß eines Romans, mit dem sein Urheber sicherlich sehr, sehr viel Geld verdient, keineswegs gerecht wird.

An dem Buch gibt es nichts Bemerkenswertes. Man liest es und legt es beiseite. Jede Folge von „Criminal Minds“ ist spannender.
Denkt man an die Meister des Faches wie Thomas Harris oder Cody MacFadyan, dann wird die Enttäuschung noch größer.
Nun, das Buch ist ja nicht unangenehm, es ist nur von solch absoluter Durchschnittlichkeit, daß es keinen Eindruck hinterläßt. Man legt es beiseite und denkt nichts. Man ist unberührt. Man empfindet weder Grauen, angesichts der Verbrechen, noch Mitleid mit den Opfern. Nichts empfindet man.
Es gelingt dem Roman nicht, lebendige Bilder im Geist des Lesers zu wecken.

Nun, es mag sein, daß auch dieses Buch seine Klientel findet – den schlichten Geist, der das Vorhandensein von Blut und Eingeweiden mit Atmosphäre und schnelle Szenenwechsel mit Spannung verwechselt.
Aber das ist kein Buch, das bleibt. Man wird es vergessen. Vielleicht taucht es in ein paar Jahren auf den Wühltischen auf. Und da gehört es hin.
Ja, vom Niveau und vom Inhalt her habe ich bei John Sinclaire schon weitaus Beeindruckenderes gelesen.

Zum Schluß noch eine Kritik an der Übersetzung: Der Titel „Knochenbrecher“ macht keinen Sinn, denn bis auf das eine Opfer nebst Autopsie-Mannschaft, die von einer Bombe zerfetzt werden, wobei sicherlich der eine oder andere Knochen zu Bruch geht, erleidet niemand in diesem Buch einen Knochenbruch.
Der englische Titel „The Night Stalker“ ist da schon aussagekräftiger. Und dies wiederum macht Hoffnung, daß das englische Original des Buches möglicherweise auch stilistisch seiner deutschen Übersetzung überlegen sein könnte.





















Donnerstag, 28. Juni 2012

DAS FREMDE GLÜCK - der Thriller "DAS ALTE KIND" von Zoe Beck


Rezension zu Zoe Beck (2010) „Das alte Kind“
Erschienen bei Bastei Lübbe, Köln, ISBN 978-3-404-16443-1
Preis: 7,99 Euro

Thriller sind Unterhaltungsliteratur, und bei Bastei Lübbe erscheint nur Schund.
Zwei falsche Behauptungen in einem Satz, beide falsifiziert von Zoe Becks Roman und Thriller „Das alte Kind“ aus dem Jahre 2010.

Im Abstand von dreißig Jahren machen zwei Frauen – die erfolgreiche Kunsthändlerin Carla und die Lebenskünstlerin Fiona – die gleiche Erfahrung. Sie werden Opfer einer Straftat, doch niemand will ihnen Glauben schenken.
Carla, erst vor wenigen Wochen Mutter geworden, war wegen einer Wundrose lange in Quarantäne und von ihrer Tochter Felicitas getrennt. Als man ihr das Kind schließlich bringt, erschrickt sie zutiefst. Das ist nicht Felicitas. Die Situation spitzt sich zu, als sich herausstellt, daß das Kind obendrein an Progerie erkrankt ist – einer seltenen genetischen Störung, die den Betroffenen in großer Geschwindigkeit altern lässt. Carla macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter. Aber weil keiner, auch ihr Mann nicht, der sie nur aus Prestige-Gründen geheiratet hat, ihr Glauben schenkt, zerstört diese Suche ihr Leben und ihre Familie.
Fiona wacht eines Nachts mit zerschnittenen Pulsadern in der Badewanne auf. Gerade noch rechtzeitig gelingt es ihr, den Notarzt zu rufen. Sie überlebt, aber weil sie einmal in psychotherapeutischer Behandlung war, unterstellen ihr die Ärzte einen Selbstmordversuch. Keiner glaubt ihr, als sie behauptet, daß jemand einen Mordanschlag auf sie ausgeübt habe. Bis ihre Mitbewohnerin, die sich einen Sport daraus gemacht hat, Fiona zu imitieren, ermordet aufgefunden wird.
Die Schicksale der beiden Frauen sind mit einander verbunden. Sie führen zu einander auf Umwegen zu einander. Jede hat ihr eigenes Rätsel, aber sie haben auch ein gemeinsames, und als es Fiona mit Hilfe eines Freundes löst, brechen Abgründe auf.

Die Themen, die Zoe Beck in ihrem Roman mit einander verwebt, sind vielfältig. Psychische und genetische Erkrankungen, künstliche Befruchtung, Wissenschaftskriminalität, Spionage, familiäre Konflikte – es öffnet sich ein weites Spektrum des menschlichen Lebens.
So lebensnah sind auch die Figuren gezeichnet. Sie sind echt. Sie strahlen – je nachdem – Wärme oder Kälte aus. Als Leser kann man sich ihnen nicht entziehen, ihnen nicht gleichgültig begegnen. Sie haben Substanz. So wie die Geschichte auch. Substanz, ein fester Nährboden.
Dazu ist das Buch in einer sehr schönen, flüssigen und dennoch zeitgemäßen Sprache geschrieben. Zeitgemäß, aber ästhetisch. Wobei die Autorin auf wohltuende Weise allen übermodernen Schnickschnack weggelassen hat – ein Garant dafür, daß man das Buch noch ihn 20 Jahren wird lesen können.
Darüber hinaus ist das Buch Literatur. Die Autorin greift Motive auf, lässt hinein blicken in die Seelen ihre Akteure und gibt dem Leser die Möglichkeit, dazu zu lernen.
So begreift der Leser hoffentlich, daß Carlas Leben nicht zerstört wurde, weil man ihr das Kind stahl, oder weil sie meinte, daß man ihr ein fremdes Kind untergeschoben habe, sondern ihr Leben und sie selbst zerbrachen an der Kälte und Ignoranz ihres Ehemannes und der Gesellschaft, in der sie lebte.
Und das war es auch, was Fiona rettete. Fiona war gerettet in dem Augenblick, als sie einen Menschen traf, der ihr Glauben schenkte, auch wenn die Rettung nicht sofort geschah. Aber der Weg war geebnet.
Beck zeigt auch, was das häufigste Motiv ist, aus dem heraus Menschen Böses tun, bzw. anderen Böses antun: Sie tun es, weil für sie das eigene Leben von größerer Bedeutung ist als das Leben der anderen, weil ihr eigenes Glück ihnen so viel schwerer wiegt als das fremde. So handeln nicht nur die Schurken in dieser Geschichte, sondern so handelt beispielsweise auch Frederik, Carlas Ehemann, als er seine Frau opfert und in einer psychiatrischen Anstalt wegsperren läß, nur um seiner eigenen Karriere zu dienen.

Gute Literatur gibt uns immer etwas mit auf dem Weg. Was Zoe Becks Roman „Das alte Kind“ uns mitgibt, ist dies: Leben werden nicht allein von denen zerstört, die uns übel gesinnt sind und uns Böses antun wollen, sondern vor allem von denen, die uns nahe stehen, die vorgeben, uns zu lieben und uns am Ende die Hilfe verweigern.


Dienstag, 26. Juni 2012

Der Neuschwanstein-Kot Oder: Was dabei herauskommt, wenn man nur mit Wikipedia recherchiert und den Rest dazuphantasiert


Rezension zu Arno Loeb (2012) Der Neuschwanstein-Code
Erschienen bei Unsichtbarverlag, Dietdorf, ISBN 978-3-94920-4
Preis: 12,95 Euro



Wer sich schon einmal mit dem Verlagswesen befasst hat und selbst schreibt, der stellt sich und Verlegern immer wieder einen Frage: Wie muß ein Manuskript sein, damit es veröffentlicht wird.
Man bekommt dann viele kluge und nichtssagende Antworten. Es müsse ansprechend sein, es müsse in die Verlagsphilosphie passen, es müsse gut gemacht sein, gute Sprache, gute handwerkliche Arbeit. Und dann der Spruch: Ein gutes Manuskript wird auch seinen Verlag finden.

Es gibt jetzt eine neue Linie für Normalnull in der Qualität eines Romanmanuskripts. Festgelegt und beinahe sogar noch selbst unterboten hat sie der Autor und Tausendsassa Arno Loeb mit seinem „Roman“ „Der Neuschwanstein-Code“.
Auf fast 400 Seiten entwickelt der Verfasser eine Geschichte, die an Hirnrissigkeit, Zusammenhanglosigkeit und Imbezilität kaum zu überbieten ist.
Das fängt schon bei den Figuren an.
Heldin ist eine Amerikanerin, die auf Schloß Neuschwanstein als Fremdenführerin arbeitet. Leider ist sie mental etwas minderbemittelt, was sich zum Beispiel darin äußert, daß sie kein Englisch kann. So muß sie beispielsweise erst von einer japanischen Manga-Zeichnerin die wahre Bedeutung des Wortes „horny“ erfahren. Außerdem ist sie ein sehr schlichtes Gemüt und nur zu wenig rationalen Überlegungen fähig.
Die Manga-Zeichnerin ist eine von drei Japanern in der Geschichte, die anderen beiden, ihre Bruder und ihr Vater, sind – natürlich, möchte man fast schreien! – Sushi-Koch und Karate-Meister. (Vielleicht hat sie noch einen zweiten Bruder, der Ninja ist und deshalb nicht in der Handlung auftaucht.) Mit dem Karate-Meister fängt die Fremdenführerin dann auch – wieder möchte man „natürlich!“ schreien – etwas an.
Es gibt dann noch einen schrulligen Polizisten und einen kauzigen Erfinder und natürlich jede Menge homosexuelle Randfiguren. Muß ja auch so sein, denn immerhin war Ludwig II. schwul und hatte sonst nicht viel, um eine Persönlichkeit zu entwickeln.
Und es gibt auch einen Schurken, dem eine nordische Walküre zur Seite steht.
Also die Zahl der schwachsinnigen, halbentwickelten Charaktere in diesem Buch ist Legion.

Kurz zur Handlung:
Ludwig der II. habt beim Bau von Neuschwanstein den Schatz der Nibelungen gefunden und unter dem Schloß versteckt. Damit das Versteck geheim bleibt, hat er die Information mit Friedrich Nietzsche und Richard Wagner geteilt. Alle drei hatten den Teil eines Rätsels, das zusammengesetzt die Lage des Schatzes verraten sollte.
Diese Rätselteile tauchen nun wieder auf, und natürlich wollen alle den Schatz haben.
Die Jagd führt durch ganz Europa. Man schändet Cosima Wagners Grab, und als man am Ende in der Schatzhöhle zusammenkommt, ist der ganze Schatz schon weg. Der wahnwitzige Erfinder hat den Schatz auch ohne Rätsel gefunden und ihn benutzt, um seine Forschung voranzutreiben, z.B. um ein U-Boot zu bauen, mit dem er im Starnberger See herumfahren kann.

An dieser Stelle möchte ich einen Absatz aus dem Buch zitieren, um ein Beispiel für die wirre Sprache, in der es abgefasst ist, zu geben:
Sie zog den Tarnmantel, den ihr Bruno umgeworfen hatte, eng an sich. Komischerweise fiel ihr jetzt ein, dass ihr Bruno erklärt hatte, er vermutete, dass dieser Sternenstaub die herumwirbelnden Atome von Materien so anordnete, dass ein menschliches Auge genau durch die Zwischenräume der Atome blickte, wodurch der Unsichtbarkeits-Effekt entstand. Allerdings wirkte der Tarnmantel nur in einem Umkreis von höchstens fünfzig Zentimetern, meistens weniger. Und am besten in Verbindung mit der Körperwärme von Menschen. Das war ein Problem für große und dicke Menschen, hatte Bruno geschildert. Die wurden nicht ganz unsichtbar. Weil der Tarnmantel von allem Seiten wirkte, konnten Menschen  mit einem Durchmesser von einem Meter problemlos unsichtbar werden[1]. Walle schlich sich hinter die Statue des Flöten spielenden Krishna.“ (S. 361)
In dieser Sprache ist das ganze Buch abgefasst. Es ist deshalb sehr schwer zu lesen,

Man merkt: Der Autor will „abgefahren“ schreiben, was immer das bedeuten mag. Deshalb spielt auch eine Gothic-Band eine Rolle, tauchen schwule Mangas auf und hat jeder ein iPhone[2].
„Der Neuschwanstein-Code“ ist kein gutes Buch, um Zeit damit zu verbringen, einfach weil es kein gutes Buch ist.
Nichts an diesem Buch ist interessant. Die Figuren sind blaß, dümmlich und voll von Klischees. Die Handlung ist so wirr, daß ihr noch nicht einmal der Verfasser selbst folgen konnte. Die Sprache ist schlimm. Obendrein ist das Buch sehr schlecht lektoriert, voller Druckfehler und grammatischer Fehler.
Das ist sehr bedauerlich, denn man hätte viel machen können aus der Geschichte. Aber dazu hätte es Gewissenhaftigkeit und einer gewissen Bemühung seitens des Autors bedurft, die dieser leider nicht zu invenstieren bereit war.
Schade.
Eine Chance auf ein spannendes Buch vertan.

Ich rate von der Lektüre ab.

http://shop.unsichtbar-verlag.de/product_info.php?products_id=28




[1] Anmerkung: Nur um mal die Rechnung nachzuvollziehen… Ein Mensch mit einem Durchmesser von einem Meter hat einen Umfang von über drei Metern. Also „dick“ muß da schon „seeeeehr dick“ sein. Interessant wäre allerdings, was man sehen würde, wenn so ein Mensch den oben beschriebenen Tarnmantel trüge. Vermutlich seine Innereien. Also, wenn Ihnen mal ein einsamer Verdauungstrakt entgegen kommt, dann ist das vermutlich ein sehr, sehr dicker Mensch mit Tarnmantel.
[2] Hoffentlich bekommt Herr Loeb dafür einen kleinen Bonus von Apple.

Donnerstag, 29. März 2012

MOZART UND KEIN ENDE (Rezension)


Matt Beyon Rees „Mozarts letzte Arie“ Roman – aus dem Englischen von Klaus Modicke
erschienen bei C.H. Beck oHG, München 2012
ISBN 978-3-406-62994-5
Preis 17,95 Euro


Wolfgang Amadeus Mozart ist einer der bekanntesten und meist gespielten Komponisten unserer Zeit. Zu Lebzeiten galt er erst als Wunderkind, später mußte er sich mehr schlecht und recht als einer der ersten freischaffenden Musiker durchs Leben schlagen. Er starb jung und hinterließ seiner Witwe neben zahlreichen Manuskripten einen enormen Schuldenberg. Viele Künstler sterben in jungen Jahren. Und das hinterläßt immer eine gewisse Unzufriedenheit, verbunden mit dem Gefühl: Da kann doch irgendwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Viele dieser Jungverstorbenen wurden posthum in ein Mordkomplott verwickelt, das mal mehr, mal weniger plausibel erscheint. Namen fallen in dieser Liste wie Heinrich Heine, Friedrich Schiller, Oscar Wilde, Ludwig II. von Bayern oder Marilyn Monroe.
Natürlich ranken sich solche Geschichten auch um W. A. Mozart.
Der Dramatiker Sir. Peter Shaffer verdächtigte seinerzeit Antonio Salieri, und Milos Forman setzte dessen Theaterstück in seinem grandiosen und achtfach Oscar-gekrönten Spielfilm „Amadeus“ ein filmisches Denkmal.
Auch Matt Beynon Rees nimmt sich in seinem Roman „Mozarts letzte Arie“ dieses Stoffes an. Er dichtet um Mozarts Ableben eine Verschwörung, die zwischen Freimaurerei, Revolutionsgebaren, Staatsstreich und Hochverrat hin und her schwankt. Er zieht also alle Register. Allerdings wird er sich auf einer Verfilmung durch Milos Forman eine Weile warten müssen.
Kurz zur Handlung: Die Geschichte beginnt im Jahre 1792 – eine Woche nach Mozarts Tod. Maria Anna Walburga Igantia Berchthold von Sonneburg, geb. Mozart und genannt „Nannerl“ erhält einen Brief ihre Schwägerin Constanze, der sie über das Hinscheiden ihres Bruders Wolfgang informiert. Nannerl ist entsetzt. Der Brief ist wirr und ein wenig überdramatisch. Constanze schreibt von finsteren Ahnungen, die die letzten Lebenstage ihres Ehemannes umwoben hätten. Sogar von einem Mord durch Gift ist die Rede. Nannerl faßt einen schnellen Entschluß: Natürlich muß sie sofort nach Wien reisen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Grund ist ihr schlechtes Gewissen. Seit dem Tod ihres Vaters Leopold, der sie zur Alleinerbin und zu einer wohlhabenden Frau gemacht hat, hat sie mit ihrem Bruder kein Wort mehr gewechselt. Und nun ist er nicht mehr.
In Wien angekommen, absolviert sie zunächst den Antrittsbesuch bei ihrer Schwägerin, und dann trifft sie alles, was Rang und Namen hat. Als sie bei Emmanuel Schikaneder zu Mittag ist, trifft sie auf den verwirrten Schauspieler Franz Gieseke, der etwas von Freimaurerei schwafelt. Nannerl hat da bereits herausgefunden, daß ihr Bruder eine eigene Loge – „Die Grotte“ – gründen wollte. Sie trifft später auf Magdalena Hofdemel, die am Tag von Mozarts Beisetzung von ihrem Mann verstümmelt wurde, bevor dieser sich mit einem Rasiermesser selbst die Halsschlagader durchtrennte. Nach einem Treffen mit dem charismatischen Baron von Swieten, der noch ein ganz anderes Interesse an Nannerls Person hat, wird die Heldin beinahe zum Opfer eines Unfalls. Bei einer Aufführung der „Zauberflöte“, um die sich viele der Geheimnisse ranken, wird Gieseke ermordet, nachdem er vor Nannerl und van Swieten bekannte, daß er Mozarts Mörder kenne.
Natürlich wird der Mörder entlarvt. Dazu spielen Nannerl und van Swieten, nachdem sie einander sehr nahe gekommen sind, eine kleine Scharade vor dem Kaiser. Nannerl verkleidet sich als ihr Bruder, und man inszeniert eine Szene aus Don Giovanni – den Besuch des steinernen Gastes.
Wenn man das Buch nach beendeter Lektüre weglegt, befällt einen das unangenehme Gefühl, daß dies doch ein wenig zu viel des Guten war. Alle möglichen Verschwörungstheorien werden zitiert. Mozarts mysteriöse Reise nach Berlin. Der Preußen-König als Freimaurer, der die österreichische Monarchie unterwandern will. Polizei und Zensur. Auftritte in der Unterwelt. Nannerl, die noch immer die große und unübertreffliche Pianistin ist und gleich am Tag nach ihrer Ankunft ihn Wien vor erlesenstem Publikum konzertiert. Sogar Maestro Salieri darf sich eines Gastauftrittes erfreuen.
Aber das Ende bleibt dunkel. Und dem Leser werden die Antworten, die er erhofft, vorenthalten.
Natürlich. Rees schreibt keine historischen Tatsachen. Die historischen Figuren sind ihm nur Schablonen. Spielfiguren, aus denen er seine eigene Geschichte zusammenfasst. Nannerl war nie in Wien, und sie hat auch nie ihren Ehemann Johann Berchthold von Sonnenburg mit Baron van Swieten betrogen. Mozart kam nicht mehr dazu, seine Loge „Die Grotte“ zu gründen, deren Besonderheit nach Rees’ Auffassung darin bestand, daß auch Frauen der Zutritt gewährt werden sollte. Zeuge ist für ihn die Prinzessin Pamina.
Aber sei es drum.
Der Roman „Mozarts letzte Arie“ ist eine seichte und unterhaltsame Lektüre. Obwohl Milos Forman die Zeitreise in Mozarts Wien besser gelungen ist.
Literarisch hat der Roman nichts zu bieten, was ihn zu etwas Besonderen machen würde. Und mit 17,95 Euro ist der Preis für ein Taschenbuch unangemessen hoch.
Aber wer weiß.... Vielleicht kommt ja ein Sammler von Mozart-Devotionalien auf seine Kosten.












Mittwoch, 8. Februar 2012

ORTE JENSEITS DER ZEIT - Paul Coelhos neuer Roman "Aleph"


Rezension zu Paul Coelhos Roman „Aleph“
von Ilka Lohmann

Coelho, Paul (2012) Aleph, Roman (aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann)
erschienen bei Diogenes Verlag AG, Zürich, Preis 19,90 Euro
ISBN: 978-3-257-06810-8


Hin und wieder erlebt man im Leben Augenblicke der Stagnation, die plötzlich und unerwartet auftreten, angekündigt durch nichts. Ob es ein Wechsel des Windes ist oder eine veränderte Hochdrucklage. Vielleicht hat die Sonne auch nur zu lange oder zu selten geschienen. Man wacht mit einem Male auf und ist unzufrieden und fragt sich, warum. Dieses Warum – es kommt daher, weil ja alles in Ordnung ist. Man hat ein gutes, geruhsames Leben, in Beruf und Partnerschaft läuft es. Gesundheitlich kann man sich auch nicht beklagen.
Wenn da nur nicht die kleine Stimme wäre, die immer und immer wieder fragt: Wozu nützt dir das alles? Was hast du aus deinem Leben gemacht?

So ergeht es dem Ich-Erzähler in Paul Coelhos Roman „Aleph“, der möglicherweise mit dem Autor identisch ist. Er ist ein international erfolgreicher Schriftsteller, hat finanziell ausgesorgt, kann sich künstlerisch und kreativ verwirklichen, führt seit 25 Jahren eine gute Ehe. Und dennoch macht er sich Sorgen.
Da bekommt er Besuch von J., seinem spirituellen Lehrer, der zu ihm sagt: „Laß dich auf eine Reise ein.“
Und der Erzähler tut es.
Er begibt sich auf eine weltweite Lesereise, die ihn am Ende nach Asien führt, die ihn mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok bringen soll. Und auf dieser Reise lernt er Hilal kennen. Hilal ist eine Künstlerin, eine junge Frau Anfang 20, und stammt aus Jekaterinburg, wo sie im Philharmonischen Orchester die Erste spielt. Auch sie könnte zufrieden sein, ist es aber nicht. Gleich zu Beginn berichtet sie davon, wie sie als Kind Opfer eines sexuellen Missbrauches wurde. Der Täter war ein Nachbar. Seitdem ist sie gefangen in einem Käfig aus Scham und Schuld, der sie hat unfähig werden lassen, normale Beziehungen einzugehen, unfähig, der Liebe es eines Mannes und einem Mann mit Liebe zu begegnen. Aber sie fühlt zu dem Erzähler eine tiefe Verbundenheit. Sie kennt seine Bücher, und sie ist nur nach Moskau gekommen, um ihn zu treffen.
Sie sagt, sie kenne sein Problem und sie könne ihm helfen. Sie sei gekommen, ein Feuer für ihn zu entzünden.
Sie will den Erzähler auf seiner Reise nach Wladiwostok begleiten, und er, überwältigt von ihrer Zielstrebigkeit, ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrer Kraft, stimmt schließlich zu.
Auf dieser Fahrt geschieht etwas. Sie gehen im Zug den Gang neben den Abteilen entlang, halten zufällig an einer Stelle inne, und da passiert es: Der Erzähler hat eine Vision. Er sieht die Vergangenheit, das Zeitalter der Inquisition, und er erlebt einen Inquisitor, der einen Brief schreibt. Er sieht auch die junge Frau, die ihn an über die Zeitalter hinweg, durch die Jahrhunderte hindurch, anklagend anschaut.
Es ist die Vision aus einem früheren Leben. Damals haben die beiden einander schon gekannt, und er hat ihr einen unglaublichen Schmerz zugefügt.
Das ist das Rätsel, das er lösen muß, damit sie beide, er und Hilal, Frieden finden.
In einer Kirche von Jekaterinburg bringt er sie dazu, ihm zu vergeben. Aber erst später er fährt er die volle Tragweite dessen, was geschehen ist.
Der Erzähler erfährt, daß er an der jungen Frau vor Jahrhunderten ein Verbrechen begangen hat, das so furchtbar ist, daß viele Leben vergehen mußten, um es zu sühnen.
Doch beide wagen es.
Und sie gewinnen.

„Aleph“, der neueste Roman des brasilianischen Erfolgsautors Paul Coelho, ist ein sehr besonderes Buch. Selten werden Texte wie dieser veröffentlicht. Es ist ein Buch über Magie und Mystik, das sich aber nicht vom Leben verabschiedet, sondern sich verortet in der Wirklichkeit, ohne dabei die andere Wirklichkeit zu verleugnen.
Das Aleph ist ein Punkt jenseits von Raum und Zeit, ein Ort der Kraft, an dem alle Ströme und Mächte zusammen fließen. Es ist der Ort, der es Hilal und dem Erzähler ermöglicht, über sich hinaus zu treten. Es ist ein Ort, der jedem von uns begegnen kann. Ein Ort, der uns lehrt, daß wir nicht nur dieses eine Leben sind, das uns oftmals so klein und unbedeutend dünkt.
Kein Leben ist unbedeutend, das sagt Coelho uns in diesem Roman, denn jedes Leben ist einzigartig und endlos. Jedes Leben ist so allumfassend wie das Universum selbst. Und die Weisheit, es zu bestehen und nicht zu vergeuden, ist für jeden von uns erreichbar, wenn wir es nur wagen, die Hand danach auszustrecken.

Auch literarisch erfüllt dieser Roman höchste Ansprüche. Die Sprache ist schlicht  und poetisch zugleich. Und so voll und reich ist der Text an Weisheit und Geschichten, Gleichnissen und Belehrungen, das man ihn ohne Ende zitieren möchte.
Es ist ein gutes Buch für unsere Zeit, die sachlich geworden ist, so konkret, die sich so sehr dem Wunderbaren entfremdet hat.
Dieses Buch soll all jenen ans Herz gelegt werden, die erfüllt sind von der Spirituellen Sehnsucht nach dem Sinn und nach einer Wirklichkeit, die größer als wir alle ist. Denn in diesem Roman macht Coelho uns Hoffnung.
Er macht uns Hoffnung darauf, daß wir sehen können und wissen werden, wenn wir es nur wollen, und wenn es Zeit ist.





Donnerstag, 12. Januar 2012

LIEBE IST [MEHR ALS NUR] EIN WORT



Rezension: David Levithan „[das] Wörterbuch der Liebenden“ Roman
erschienen 2010 im Graf Verlag (Ullstein Buchverlage, Berlin)
ISBN 978-3-86220-00407 (gebundene Ausgabe)
Preis: 18,00 Euro

Es gibt, wenn man es auf die Essenz reduziert, nur zwei Leitmotive der Kunst: den Tod und die Liebe. Und geht eines ohne das andere. Sie sind der Abgrund, auf den alles hinausläuft. Die Meere, in die alle Flüsse münden.
David Levithan schreibt über die Liebe in seinem Roman „[das] Wörterbuch der Liebenden“. Daß es sich bei diesem Buch um einen Roman handelt, ist die erste Überraschung. (Anmerkung: Allerdings sollte man erwähnen, daß es – streng vom Gesichtspunkt der Literaturwissenschaft aus betrachtet – eher eine Novelle als ein Roman ist.). Er schreibt darüber auf die einfachste Weise, die man sich vorstellen kann. Er hat ein Wörterbuch geschrieben.
Fällt einem ein solches Buch in die Hände, ist man schnell versucht, es wieder beiseite zu legen. Doch in diesem Fall wäre das ein Verlust, ein Versäumnis. Denn Levithans Buch, so schlicht es auf den ersten Blick erscheinen mag, birgt ungeahnte Tiefen. Und dabei ist die Geschichte doch so gewöhnlich, wie es eine Liebesgeschichte nur sein kann. Zwei Menschen lernen sich über das Internet kennen. Sie gehen einige Male mit einander aus. Sie verlieben sich. Sie ziehen zusammen. Für beide ist es die erste Wohnung, die sie mit einem anderen Menschen teilen. Zwei Jahre bleiben sie zusammen. Dann geht sie fremd, und die Beziehung bricht auseinander.
Keine Geschichte der großen Dramen und Ereignisse. Zwei gewöhnliche Menschen in einer gewöhnlichen Liebe, die ein Anfang und ein Ende hat. Ungewöhnlich jedoch ist der Blick darauf. Denn Levithan erzählt das, was Liebe ausmacht, was Menschen Liebende werden läßt. Da sind es die kleinen Dinge. Poster und Familienfotos an den Wänden. Eine Berührung an der Stirn. Ein unerwiderter Kuß. Ein fünfstündiges Telefongespräch. Ein Seitensprung. Eine Lüge. Die Geschichte wird wie ein Mosaik vor dem Leser ausgebreitet. Die Texte gleichen in der Tat Einträgen aus einem Lexikon. Und so könnte man sie beschreiben: Einzelne Steine, wie vom Zufall ausgewählt.
Levithan erzählt seine Liebesgeschichte nicht chronologisch. Anhand von alphabethisch geordneten Stichwörtern legt er die Bruchstücke dar, die sich nach und nach zusammensetzen, die im Geist des Lesers ein Bild formen, und das in einer Sprache, die intelligent ist, ohne geschwätzig zu sein und von schlichter Poesie.
„[das] Wörterbuch der Liebenden“ Ist ein wunderbares Buch, um es in einem Coffee-Shop zu lesen, oder im Park auf einer Bank, denn es wird nicht lesen, es erzählt. Seite für Seite, Stichwort für Stichwort, gibt es seine Geschichte preis. Wie ein Freund erzählt es. Und das sind diese Geschichten, die eben nicht der Chronologie folgen oder dem Dramenaufbau oder dem endlosen und immer gleichen Ablauf von Geschichten in der Literatur.
Levithans Novelle ist ein Buch über „Boy meets Girl“, aber es ist mehr als das. Es ist ein Buch über eine so alltägliche Liebe, daß jeder von uns sie erlebt haben könnte, daß jeder von uns sie erlebt hat oder haben wird. Eine Geschichte, wie sie früher oder später jedem, der zu lieben fähig ist, begegnen wird.
Und für diese Menschen ist dieses Buch geschrieben. Für die, die geliebt haben, lieben können und lieben wollen, und die – nach allem Kummer und allem Schmerz, den die Liebe ihnen gebracht hat – immer noch nicht mit diesem Gefühl gebrochen haben.

Montag, 19. Dezember 2011

LUTHER, QUO VADIS?


Felix Leibrock: „Lutherleben – ein Reformationsroman

 erschienen 2011, Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Petersberg
ISBN:  978-3865686329
Preis: 9,95 Euro


Stellen Sie sich vor, Sie haben einen schweren Unfall. Ihr Gehirn ist in Mitleidenschaft gezogen worden und Sie fallen ins Koma. Als sie erwachen, haben Sie gänzlich Ihre Persönlichkeit vergessen. Die Menschen, die ihnen zuvor noch nahe standen, sind nun Fremde für Sie und Sie sind fest davon überzeugt, jemand völlig anderes zu sein – z.B. Martin Luther.
Dieses Schicksal widerfährt Wolfgang Trödler, dem Hausmeister eines Camping-Platzes in der sachsen-anhaltinischen Provinz. Und mit seiner neugewonnenen Identität schafft Wolle Luther, wie der von dem Unfall Genesene nun allgemein genannt wird, auch gleich Tatsachen. Er schnappt sich sein Akkordeon und schlägt sich als Straßenmusiker durchs Land. Mit der Bahn reißt er von einem Lutherort zum anderen, sorgt auch für Aufsehen in den Medien und gewinnt bald sogar Jünger. All dies tut er mit einem Ziel: Er will die Kirche aufs Neue reformieren. Vor allem sucht er nach dem Böhmischen Kelch, jenen Kelch, mit dem Jan Hus das Abendmahl in beiderlei Gestalt unter seinen Anhängern verteilte. In Augburg, Worms, Eisenach und Erfurt hofft er, die Erinnerung daran wiederzufinden, wo er einst diese heilige Reliquie versteckt haben könnte. Er will den Kelch nicht nur finden, er hofft, daß mit diesem Kelch im Jahre 2017 ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Evangelischen gefeiert werden könne, um die Spaltung dieser beiden christlichen Kirchen zu überwinden.
Und während Wolle durch die Lande tingelt, macht sich Sabine Harder, die Wolle als Klinikseelsorgerin während dessen Reha-Kur kennengelernt hat, ihrerseits auf eine Suche. Sie will die Vergangenheit von Wolfgang Trödler aufdecken.
Beide werden fündig. Wolle findet den Böhmischen Kelch vergraben im Garten des Augustinerklosters zu Erfurt.
Pastorin Harder findet einen ehemaligen Studienfreund von Wolfgang Trödler und erfährt, daß dieser sich schon als junger Mann mit der Geschichte der Reformation befasst und sogar versucht hat, selbst evangelischer Pfarrer zu werden.
Nun, das ist das Buch. Sein Inhalt ist schnell erzählt, und um es zu lesen, braucht auch ein schlichtes Gemüt nur zwei Nachmittage.
Stilistisch ist dem Buch nicht allzu viel abzugewinnen. Wer gut geschriebene Literatur sucht, wird von „Lutherleben“ gewißlich enttäuscht sein.
Schon die Hauptfigur, Wolle Luther, bleibt ein Unsympath. Ein Egomane, der auf sein Charisma einsetzt, Menschen bewußt belügt und manipuliert, um seine Ziele durchzusetzen, und der seine „Jünger“ wie dumme Kinder und Untergebene behandelt. So ist er persönlich beleidigt, als eine Taube das Lutherdenkmal in Worms besudelt. An einer anderen Stelle redet er einem Architekten ein, er sänge für die Verständigung der Katholiken und Evangelischen in Kalifornien, während er in Wahrheit nur deshalb auf diesem Platz Musik macht, um genug Geld zu verdienen, mit dem er seine Hotelrechnung begleichen kann. Gleichzeitig geht es Wolle immer noch um die Sache der Kirchen. Und irgendwie scheint ihm gar nichts recht zu sein. Auch wenn er selbst immer wieder „Eine feste Burg ist unser Gott“ auf dem Akkordeon zum besten gibt, kreidet er es anderen Pastoren an, wenn sie die „alten Lieder“ die so „schwierig und fremd“ (S. 39) waren, singen ließen und freut sich, wenn in einem anderen Gottesdienst neues geistliches Liedgut zum Einsatz kommt. Und er beklagt, daß die Kirche der Gegenwart zu sehr auf die Vernunft und zu wenig auf das Gemüt des Menschen ausgerichtet sei.
Gott sei ein Backofen voller Liebe, so läßt der Autor seinen Helden Wolle räsonieren, während er in der Lutherkirche zu Apolda sitzt und vor sich hinträumt. Diesem Ort wird ein unangemessen großer Platz in dem schmalen Band eingeräumt, was sicher der Tatsache zu schulden ist, daß der Verfasser Pfarrer in Apolda ist. So ist denn auch bei der großen Schlussszene, als Wolle endlich den Böhmischen Kelch gefunden hat, neben der Klinikseelsorgerin Frau Harder und ihrem katholischen Kollegen auch noch ein namenloser Mann aus Apolda zugegen.
Eine der Botschaften des Buches: Wenn bis 2017 nicht die Interkommunion eingeführt und die Trennung von katholischer und evangelischer Kirche aufgehoben ist, dann wird beides niemals geschehen. Und diese vereinte Kirche muß eine Kirche für das Gemüt sein, eine Kirche der Emotionen, eine zeitgemäße Kirche mit flapsigen Predigten und neuen Liedern. Eine Kirche ganz nach der Vorstellung von Wolle Luther.
Das Buch erhebt den Anspruch, ein Reformationsroman zu sein. Auf leichte und „humorvolle“ Art soll Lesern, auch jungen Lesern, die Geschichte der Reformation nahe gebracht werden.
Das mag man sehen, wie man will. Nach Einschätzung der Rezensentin hat der Wikipedia-Artikel zu diesem Thema weitaus mehr zu bieten als Leibrocks Reformationsroman. Und gerade für die Jugend gibt es qualitativ weitaus bessere Bücher. Beispielsweise das Jugendbuch „Bruder Martinus“ von Hans Bentzien.
Ein weiteres Negativum des Buches ist sein Zeitbezug. Durch viele Hinweise auf Ereignisse der Zeitgeschichte kann der Leser des Jahres 2011 das Buch gut zeitlich verorten. Diese Hinweise betreffen unter anderem den „Skandal“ um Bischof Mixa und den Sieg von Lena Meyer-Landruth im Eurovision Song Contest. Allerdings erreicht das Buch damit den Eindruck, sich beim Leser anbiedern zu wollen. Zum anderen wird es zu einem Wegwerfprodukt. Man spürt beim Lesen: Spätestens im Jahre 2018 wird dieses Buch nicht mehr das Papier wert sein, auf das es gedruckt ist.
Auch in dem etwas bemühten und eher schlichten Humor schreit das Buch geradezu danach, dem Leser nicht zu gefallen, aber gefällig zu sein.
Und die Art und Weise, wie der Autor versucht, den Dialekt einiger Menschen humorvoll zu kolportieren, wirkt leicht überheblich.
Das Buch „Lutherleben“ nimmt für sich in Anspruch, ein Reformationsroman zu sein. Ein Anspruch, dem es nur schwerlich gerecht wird. Sicher ist die Frage interessant, wie der Reformator und Theologe in der heutigen Zeit die Fragen von Kirche, Kirchenspaltung, Interkommunion und Gesellschaft beantworten und betrachten würde. Nur denke ich, daß die Umsetzung durch Herrn Pfarrer Leibrock vieles offen läßt und ein gefärbtes, einseitiges Bild des Doktor Martin Luther zeichnet. Sicher geht ein Autor immer über Eis, wenn er sich der Herausforderung einer Persönlichkeit von historischer Bedeutung stellt, wie man an dem vorliegenden Roman sehen kann.
Die Epoche der Reformation war eine der großen Zeiten, und die Bedeutung Luther für die Geschichte Europas darf nicht unterschätzt werden. Ohne die Reformation wäre auch die katholische Kirche nicht das, was sie ist. Das Tridentinum, das 2. Vatikanische Konzil hätte es nie gegeben. Die Aufklärung, ja, die Säkularisierung von Lehre und Wissenschaft wäre nicht dem Maße, wie unsere Gesellschaft es in den letzten 400 Jahren erlebt hat, zustande gekommen.
Leider erfahren wir in Leibrocks Roman nichts von alledem.
Das Buch wurde nur aus einem Grund geschrieben: Als Werbebroschüre für das Lutherjahr 2017. Es ist ein Buch, das nur seichte Gemüter unterhält, stilistisch einfallslos und geschrieben ohne Mühe. Ein Buch, das man getrost im Regal stehen lassen kann.
Nur am Rande soll erwähnt sein, daß Herr Leibrock in der Bezugnahme auf Wolle Luthers neuropathologischen Status den Begriff „multiple Persönlichkeitsstörung“ verwendet, einen Begriff, den Psychiatrie und klinische Psychologie schon lange auf den Müllhaufen ihrer Geschichte geworfen haben. Der korrekte Terminus lautet „Dissoziative Identitätsstörung“. 



Der Artikel erschien zum ersten Mal auf der Seite www.freigeist-weimar.de

Donnerstag, 22. September 2011

DIE SCHULD DER VÄTER - Carlos Ruiz Zafons Roman "Der FÜRST DES NEBELS"

Rezension: Carlos Ruiz Zafon (2010) DER FÜRST DES NEBELS [deutsch von Lisa Grüneisen], S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main


„Das ist nicht tot, was ewig liegt....“ dichtete Howard Philipps Lovecraft für das geheimnisvolle Necronomicon, und auch in Carlos Ruiz Zafons Roman „Der Fürst des Nebels“ muß der dreizehnjährige Max dies bitter am eigenen Leibe erfahren.

Vom Vater wird er, wie der Rest der Familie, eines Tages mit dem plötzlichen Umzug von der Stadt in ein Haus am Meer überrascht, um dem Krieg zu entfliehen, wie der Vater sagt, der aber eigentlich nur einen neuen Anfang in einer neuen Umgebung sucht.

Doch auch in dem kleinen Fischerdorf, in das es die Familie nun verschlagen hat, ist der Krieg nicht fern. Max trifft ihn, im übertragenen Sinne, in Gestalt Ronalds, des neunzehnjährigen Adoptivsohnes des Leuchtturmwärters, der davon erzählt, daß dies sein letzter Sommer in dem kleinen Dorf sein könnte, weil er im Herbst an die Front einberufen werden wird.

Doch um Ronald ranken sich mehr Geheimnisse, als es auf den ersten Blick scheint. Und es wird bald deutlich, daß alle in großer Gefahr schweben. Der Leuchtturmwächter hütet des Geheimnis, doch als er es endlich Max offenbart, ist es schon zu spät und die Tragödie ist nicht mehr aufzuhalten.



„Der Fürst des Nebels“ von Carlos Ruiz Zafon wird zu Recht und zu Unrecht als Jugendbuch bezeichnet.

Zu Unrecht, weil dem Buch weder der unsägliche pädagogische Impetus, der viele Jugendbücher zu Brechreizlektüre macht, noch der gewisse Hauch von Drögheit und Schlichtheit, wie er beispielsweise von den Büchern Pauswangs oder Funkes ausgeht, anhaftet. Das Buch ist gut geschrieben, spannend erzählt. Die Sprache ist fein formuliert, und nicht im geringsten nimmt sie Anklang an der sogenannten Jugendsprache, mit der schon der Übersetzer Wolfgang Krege – Friede seiner Asche – den „Herrn der Ringe“ zu einem Bastei-Lübbe-Schlager abqualifizierte und der die deutschen Übersetzungen der „Harry-Potter“-Bücher zu einer Herausforderung für jeden macht, welcher der deutschen Sprache mächtig ist. Es ist eine ernste Sprache, dem Sujet des Schauerromans angemessen. Poetisch. Klangvoll. Banale Nebensätze und schludrige Formulierungen sucht man vergebens. Da hat die Übersetzerin Lisa Grüneisen, die durch ihr gutes Stilistikgefühl schon „Der Schatten des Windes“ zu einem Klassiker hat werden lassen, ganze Arbeit geleistet.

Damit wären wir auch schon an der Stelle, an der erklärt werden soll, warum der Roman kein Jugendbuch ist. „Jugendbuch“ klingt nach geringem literarischen Wert. Leider ist das so. Man mag beispielsweise von Stephenie Meyer halten, was man will, aber der literarische Wert ihrer Bücher ist liegt bei Null. Die Ausgaben unterscheiden sich nur durch den Festeinband von den üblichen Groschenromanen vom Kiosk nebenan.



Sollte ich den „Fürst des Nebels“ mit einem anderen Roman vergleichen, so käme mir als erstes Aitmatows „Der weiße Dampfer“ in den Sinn. Im Mittelpunkt beider Romane steht ein Junge, der sich dem Erwachsenwerden stellt. Während das namenlose Kind in den Kirgisischen Wäldern daran zugrunde geht, daß die Märchen seiner Kindheit, die seine Seele sind, an der Wirklichkeit zerbrechen, überlebt Max die Tragödie. Doch nach der Lektüre des Buches fragt man sich zwangsläufig: Was für ein Leben hat man vor sich, wenn man solche Ereignisse, solche Schrecken, solche unaussprechlichen Unmöglichkeiten erfährt und überlebt?

Und es ist gut, daß Zafon uns die Antwort schuldig bleibt.



Der Roman ist Zafons Erstling. Durch die historische Verortung in den Sommer 1943 und durch die Unschärfe, mit der die räumliche Dimension beschrieben wird, hat das Buch etwas Zeitloses. Es wird auch in hundert Jahren nichts von seiner Frische verloren haben.

Es ist ein Buch, wie es Großeltern ihren Enkeln zum Lesen geben können, als wäre es ein Buch ihrer Jugend.

Die Bilder erinnern an altersschwache, verblichene Fotographien, die von einem zarten Sepia überzogen sind. Man meint, den Wind zu spielen. Und wie von Fern hört man eine Melodie, die einem alten Wiegenlied gleicht.

Immer wieder taucht aus dieser Idylle der kühle Hauch des Schreckens auf. Ein Schrecken, den man gern in das Reich der Phantasie, der kindlichen Einbildung verbannen möchte. Aber er ist wirklich, er wird greifbar, und er verschont keinen.



Zafon hat nur scheinbar einen Roman über das Erwachsenwerden geschrieben. Es ist Roman über die Schuld. Alle machen sich schuldig: der Vater, der – um sich den Traum vom Leben am Meer – seine Familie mit einer Lüge aus ihrer gewohnten Umgebung reißt; der Leuchtturmwächter, weil er viel zu lange schweigt; Dr. Fleischmann, der Vorbesitzer des Hauses, weil er sich eingelassen hat auf einen Pakt mit dem Dämon, um das zu bekommen, was nicht für ihn bestimmt war, und der damit Unglück über andere Menschen brachte.

Cain, der Nebelfürst, tut nichts anders als das, was man von ihm erwartet. Er ist das schlechthin Böse, das selbst jene verführen kann, die sich von ihm abwenden.

Und die Kinder.... Sie leiden. Sie tragen die Last für die Schuld der Alten.



Das einzig Negative, was man über dieses Buch sagen kann ist dies: Es ist entschieden zu kurz.



Wer sollte also dieses Buch lesen?

Kurze Antwort: Jeder.

Lange Antwort: Jeder, der innerliche Geschichten liebt, der bereit ist, die Macht des Übernatürlichen anzuerkennen, der sich verführen läßt, der berührbar ist und bereit dazu, sich wie ein Kind zu fürchten vor dem Dunkel hinter der verschlossenen Kleiderschranktür.



Carlos Ruiz Zafon, geboren am 25. September 1964, ist geboren und aufgewachsen in Barcelona. „Der Fürst des Nebels“ ist sein erster Roman, der 1993 in spanischer Sprache erschien.