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Mittwoch, 24. Oktober 2012

AUSSER DER LIEBE UND DEM TOD

von Ilka Lohmann
Rezension zu „Der Potemkinsche Hund“ (Roman) von Cordula Simon
erschienen bei Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
ISBN: 978-3-85452-688-9; Preis: 19,90 Euro




„Was ist schön außer der Liebe und dem Tod?“, fragt Walt Whitman in seinem Gedicht „Scented Herbage of my Breast“ (1888). Beide Themen greift die österreichische Autorin Cordula Simon in ihrem Erstlings-Roman „Der Potemkinsche Hund“ auf und beweist damit einmal mehr, daß die deutsche Gegenwartsliteratur zwar ihren Schwung verloren haben mag, die österreichische aber nicht.

Irina, Mitte Dreißig und alleinstehend, lebt in Odessa und ist verliebt in ihren Nachbarn Anatol. Aber Anatol stirbt plötzlich und unerwartet. Dieser Tod stürzt Irina in eine tiefe Krise. Sie, eine Chemikerin, wendet ihre Fähigkeiten an, schleicht sich nachts auf den Friedhof und versucht, den Leichnam wieder zum Leben zu erwecken. Vermeintlich scheitert ihr Experiment. Sie wartet nicht lang genug, um Anatols Rückkehr aus dem Reich der Toten mitzuerleben. Sie beginnt nun, ihr Leben zu bedenken, ihre verpaßten Chancen und ungenutzten Möglichkeiten und verläßt die Stadt.
Anatol indessen kehrt aus dem Grab zurück. Ein Hund, er nennt ihn Celobaka (russ. Menschhund), führt ihn durch die Straßen und wird ihm zum treuen Begleiter. Anatol versucht, sich zu erinnern, doch obwohl er wiederbelebt wurde, kann er sein Leben nicht mehr wiederfinden. Es ist vorbei. Es ist beendet. Unwiderruflich. Mit jedem Tag verblassen die Bilder ein wenig mehr.
Als Irina und Anatol einander auf ihren eigenen Odysseen doch begegnen, bleibt das Feuer aus. Sie bleiben Fremde. Die Liebe ist tot. Wie das Leben. Irina hat alles verloren außer ihrer Verzweiflung, und Anatol verschwindet in der Nacht.

Es könnte ja fast ein Schauerroman sein. Doch trotz des Zombies Anatol, der stinkend und verwesend durch die Straßen von Odessa und Kiew wandert, stellt sich kein Schauer ein. Vielmehr wird das Absurde der Situation zu einer merkwürdigen Realität.
Während Anatol sich nicht an sein Leben erinnern kann, wird Irina von ihren Erinnerungen geradezu überschwemmt – eine Flut, der sie sich nicht wiedersetzen kann. Anatol ist gestorben, und auch sie fühlt sich wie eine lebende Tode. Innerlich ist sie ebenfalls ein Zombie. Sie, die immer hinter den anderen stand, auf die nie der Scheinwerfer fiel, die all ihre Chancen, glücklich zu werden, vertan zu haben glaubt, die keinen eigenen Blick zu haben scheint und sich selbst immer nur mit fremden Augen betrachtet. Sie meint, von einer Doppelgängerin verfolgt zu werden – ein Symptom der Spaltung, in die der Abscheu vor sich selbst sie getrieben hat.

Nein, dieses Buch ist nicht schauerlich. Es ist kein Horrorroman im Stile von Steven King. Doch düster ist der Roman auf alle Fälle. Es ist ein bemerkenswertes Stück Gegenwartsliteratur.
Es mag zu Beginn nicht leicht zugänglich sein, doch es öffnet sich allmählich dem Leser wie die Tür einer Gruft zu Mitternacht. Die Sprache ist einfach, nahezu kühl.
Ein Höhepunkt ist das 15. Kapitel. Hier gibt sich die Verfasserin nahezu rhapsodisch einem großen Entwurf über das Leben, den Tod, die Liebe und die Qual des alltäglichen Dasseins hin. Hier bringt sie den Menschen auf einen Punkt. Der Mensch, der Verlorene im Universum. Der Tod, der ein Freund sein kann, der hilft, der dahineilenden Zeit einen Anker und Bedeutung zu geben.

Cordula Simons Erstlings-Roman ist ein kleines Meisterwerk. Es fällt schwer, in der Gegenwartsliteratur Ähnliches zu benennen. Allenfalls wären es Jelineks „Die Kinder der Toten“ oder – um die Gegenwart zu verlassen - „Der Fall Waldemar“ von Edgar Allan Poe.
Was ist das für eine Welt, in der die Toten auferstehen, weil die Liebe nach ihnen ruft, und der die Liebenden am Ende doch nicht zu einander finden?








Donnerstag, 22. September 2011

DIE SCHULD DER VÄTER - Carlos Ruiz Zafons Roman "Der FÜRST DES NEBELS"

Rezension: Carlos Ruiz Zafon (2010) DER FÜRST DES NEBELS [deutsch von Lisa Grüneisen], S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main


„Das ist nicht tot, was ewig liegt....“ dichtete Howard Philipps Lovecraft für das geheimnisvolle Necronomicon, und auch in Carlos Ruiz Zafons Roman „Der Fürst des Nebels“ muß der dreizehnjährige Max dies bitter am eigenen Leibe erfahren.

Vom Vater wird er, wie der Rest der Familie, eines Tages mit dem plötzlichen Umzug von der Stadt in ein Haus am Meer überrascht, um dem Krieg zu entfliehen, wie der Vater sagt, der aber eigentlich nur einen neuen Anfang in einer neuen Umgebung sucht.

Doch auch in dem kleinen Fischerdorf, in das es die Familie nun verschlagen hat, ist der Krieg nicht fern. Max trifft ihn, im übertragenen Sinne, in Gestalt Ronalds, des neunzehnjährigen Adoptivsohnes des Leuchtturmwärters, der davon erzählt, daß dies sein letzter Sommer in dem kleinen Dorf sein könnte, weil er im Herbst an die Front einberufen werden wird.

Doch um Ronald ranken sich mehr Geheimnisse, als es auf den ersten Blick scheint. Und es wird bald deutlich, daß alle in großer Gefahr schweben. Der Leuchtturmwächter hütet des Geheimnis, doch als er es endlich Max offenbart, ist es schon zu spät und die Tragödie ist nicht mehr aufzuhalten.



„Der Fürst des Nebels“ von Carlos Ruiz Zafon wird zu Recht und zu Unrecht als Jugendbuch bezeichnet.

Zu Unrecht, weil dem Buch weder der unsägliche pädagogische Impetus, der viele Jugendbücher zu Brechreizlektüre macht, noch der gewisse Hauch von Drögheit und Schlichtheit, wie er beispielsweise von den Büchern Pauswangs oder Funkes ausgeht, anhaftet. Das Buch ist gut geschrieben, spannend erzählt. Die Sprache ist fein formuliert, und nicht im geringsten nimmt sie Anklang an der sogenannten Jugendsprache, mit der schon der Übersetzer Wolfgang Krege – Friede seiner Asche – den „Herrn der Ringe“ zu einem Bastei-Lübbe-Schlager abqualifizierte und der die deutschen Übersetzungen der „Harry-Potter“-Bücher zu einer Herausforderung für jeden macht, welcher der deutschen Sprache mächtig ist. Es ist eine ernste Sprache, dem Sujet des Schauerromans angemessen. Poetisch. Klangvoll. Banale Nebensätze und schludrige Formulierungen sucht man vergebens. Da hat die Übersetzerin Lisa Grüneisen, die durch ihr gutes Stilistikgefühl schon „Der Schatten des Windes“ zu einem Klassiker hat werden lassen, ganze Arbeit geleistet.

Damit wären wir auch schon an der Stelle, an der erklärt werden soll, warum der Roman kein Jugendbuch ist. „Jugendbuch“ klingt nach geringem literarischen Wert. Leider ist das so. Man mag beispielsweise von Stephenie Meyer halten, was man will, aber der literarische Wert ihrer Bücher ist liegt bei Null. Die Ausgaben unterscheiden sich nur durch den Festeinband von den üblichen Groschenromanen vom Kiosk nebenan.



Sollte ich den „Fürst des Nebels“ mit einem anderen Roman vergleichen, so käme mir als erstes Aitmatows „Der weiße Dampfer“ in den Sinn. Im Mittelpunkt beider Romane steht ein Junge, der sich dem Erwachsenwerden stellt. Während das namenlose Kind in den Kirgisischen Wäldern daran zugrunde geht, daß die Märchen seiner Kindheit, die seine Seele sind, an der Wirklichkeit zerbrechen, überlebt Max die Tragödie. Doch nach der Lektüre des Buches fragt man sich zwangsläufig: Was für ein Leben hat man vor sich, wenn man solche Ereignisse, solche Schrecken, solche unaussprechlichen Unmöglichkeiten erfährt und überlebt?

Und es ist gut, daß Zafon uns die Antwort schuldig bleibt.



Der Roman ist Zafons Erstling. Durch die historische Verortung in den Sommer 1943 und durch die Unschärfe, mit der die räumliche Dimension beschrieben wird, hat das Buch etwas Zeitloses. Es wird auch in hundert Jahren nichts von seiner Frische verloren haben.

Es ist ein Buch, wie es Großeltern ihren Enkeln zum Lesen geben können, als wäre es ein Buch ihrer Jugend.

Die Bilder erinnern an altersschwache, verblichene Fotographien, die von einem zarten Sepia überzogen sind. Man meint, den Wind zu spielen. Und wie von Fern hört man eine Melodie, die einem alten Wiegenlied gleicht.

Immer wieder taucht aus dieser Idylle der kühle Hauch des Schreckens auf. Ein Schrecken, den man gern in das Reich der Phantasie, der kindlichen Einbildung verbannen möchte. Aber er ist wirklich, er wird greifbar, und er verschont keinen.



Zafon hat nur scheinbar einen Roman über das Erwachsenwerden geschrieben. Es ist Roman über die Schuld. Alle machen sich schuldig: der Vater, der – um sich den Traum vom Leben am Meer – seine Familie mit einer Lüge aus ihrer gewohnten Umgebung reißt; der Leuchtturmwächter, weil er viel zu lange schweigt; Dr. Fleischmann, der Vorbesitzer des Hauses, weil er sich eingelassen hat auf einen Pakt mit dem Dämon, um das zu bekommen, was nicht für ihn bestimmt war, und der damit Unglück über andere Menschen brachte.

Cain, der Nebelfürst, tut nichts anders als das, was man von ihm erwartet. Er ist das schlechthin Böse, das selbst jene verführen kann, die sich von ihm abwenden.

Und die Kinder.... Sie leiden. Sie tragen die Last für die Schuld der Alten.



Das einzig Negative, was man über dieses Buch sagen kann ist dies: Es ist entschieden zu kurz.



Wer sollte also dieses Buch lesen?

Kurze Antwort: Jeder.

Lange Antwort: Jeder, der innerliche Geschichten liebt, der bereit ist, die Macht des Übernatürlichen anzuerkennen, der sich verführen läßt, der berührbar ist und bereit dazu, sich wie ein Kind zu fürchten vor dem Dunkel hinter der verschlossenen Kleiderschranktür.



Carlos Ruiz Zafon, geboren am 25. September 1964, ist geboren und aufgewachsen in Barcelona. „Der Fürst des Nebels“ ist sein erster Roman, der 1993 in spanischer Sprache erschien.