Eine Mutter badete mit ihrem Kind im Nil. Da kam ein Nil-Krokodil
vorbei, packte das Kind und sagte zu der Mutter: " Wenn du vorhersagen
kannst, was ich tun werde, verschone ich dein Kind, ansonsten werde ich
es fressen."
Da erwiderte die Mutter: "Du wirst mein Kind fressen."
"Ja", schrie da das Krokodil. "Ja, ich werde dein Kind fressen, und
deshalb werde ich es verschonen. Aber wenn ich es verschone, muss ich es
fressen. Wenn ich es aber fresse, muss ich es verschonen. So ein Mist!
Immer wieder herheddere ich mich in logischen Paradoxien. Ich habe die
Schnauze voll davon!"
Es fraß das Kind und die Mutter und schwamm davon und legte sich in die Sonne, um in Ruhe zu verdauen.
Randnotizen vom Abgrund
Mittwoch, 20. Mai 2015
Dienstag, 19. Mai 2015
DIE LEGENDE VOM KNURRHAHN UND DEM WANDERER
ein co-operativ entstandenes Poem von Ilka Lohmann und Ireen Illmer
[geschrieben zu Apolda, am 18. Mai 2015, im Jahre des Herrn 2015]
Der Knurrhan sitzt im Unterholz -
sein Auge rot, sein Herz voll Stolz.
Er lauert auf den Wandersmann,
damit er den verspeisen kann.
Der Wandersmann, voll Freud und Lust,
zieht durch den Wald mit froher Brust.
Er singt ein Liedlein vor sich her,
sein Herz ist leicht, sein Sinn ist leer.
Der Knurrhahn sieht den Wand'rer nah'n,
und schmelzend tropft sein Kuchenzahn.
Vor Gier sind die Pupillen weit.
Der Knurrhan lugt - zum Sprung bereit.
Der Wand'rer schreitet froh voran.
Da! springt der Knurrhahn aus dem Tann
und beißt den Wand'rer in sein Bein,
und dieser fängt laut an zu schrei'n.
Dem Sturzbach gleich, in breiter Flut,
quillt auf den Weg des Wand'rers Blut.
Sein Schrei verstummt, sein Lied vergellt...
Der Wand'rer scheidet aus der Welt.
Der Knurrhahn zehrt noch sieben Wochen
von des Wand'rers morschen Knochen.
[geschrieben zu Apolda, am 18. Mai 2015, im Jahre des Herrn 2015]
Der Knurrhan sitzt im Unterholz -
sein Auge rot, sein Herz voll Stolz.
Er lauert auf den Wandersmann,
damit er den verspeisen kann.
Der Wandersmann, voll Freud und Lust,
zieht durch den Wald mit froher Brust.
Er singt ein Liedlein vor sich her,
sein Herz ist leicht, sein Sinn ist leer.
Der Knurrhahn sieht den Wand'rer nah'n,
und schmelzend tropft sein Kuchenzahn.
Vor Gier sind die Pupillen weit.
Der Knurrhan lugt - zum Sprung bereit.
Der Wand'rer schreitet froh voran.
Da! springt der Knurrhahn aus dem Tann
und beißt den Wand'rer in sein Bein,
und dieser fängt laut an zu schrei'n.
Dem Sturzbach gleich, in breiter Flut,
quillt auf den Weg des Wand'rers Blut.
Sein Schrei verstummt, sein Lied vergellt...
Der Wand'rer scheidet aus der Welt.
Der Knurrhahn zehrt noch sieben Wochen
von des Wand'rers morschen Knochen.
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Ireen Illmer,
Knurrhahn,
Lyrik,
Wandersmann
Sonntag, 17. Mai 2015
DIE WEISHEIT DER SPOTTDROSSEL
Gedanken zu dem Roman "Wer die Nachtigall stört" von Harper Lee
(erschienen als Taschenbuch im Verlag ROROR, 6. Auflage 2010, 528 Seiten,
ISBN 978-3499254185, Preis 10 Euro)
Es gibt diese Autoren, die schreiben und schreiben und kein Ende finden, die einen Roman nach dem anderen veröffentlichen, und nichts kommt dabei heraus, als immer wieder die gleiche Geschichte. Irgendwas mit Liebe, Vampiren oder Fantasy. Literarische Belanglosigkeiten, die zwar ihre Leser finden - für den Augenblick, die abver so schnell auch vergessen werden, wie sie aufgetaucht sind.
Und dann gibt es da die Literatur, die bleibt. Die Jahrzehnte, ja Jahrhunderte überdauern kann. Diese Literatur erzählt Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, weil sie von der Seele und den Menschen erzählen, von Gut und Böse, Licht und Schatten, Recht und Unrecht und auch von einer Liebe, die höher ist als Fleischlichkeit, von einem Schrecken auch, der aber tiefer geht als funkelnde Vampire. Das sind die Klassiker, die mitunter in unserer so geistfeindlichen Gesellschaft skeptisch beäugt werden. Und es gibt diese Fälle, in denen ein Roman genügt, um seinen Verfasser unsterblich zu machen.
Fahrenheit 415 ist so ein Fall. Hätte Bradbury nichts anderes als dieses Buch geschrieben, wüssten wir dennoch um seinen Namen und würden ihn verehren.
Und so steht es auch um Harper Lee.
Harper Lee, 1926 - wie meine Großmutter, die Queen, die Bachmann und Norma Jean Baker - in Alabama geboren, war ein echtes Südstaatenkind. Ihr Vater war Rechtsanwalt, und ihm setzte sie in ihrem einzigen Roman "Wer die Nachtigall stört" ein literarisches Denkmal, das seines gleichen sucht.
Atticus Finch - der Held ohne Waffen, der nur mit seiner eigenen Rechtschaffenheit auf friedliche Weise kämpf gegen das Böse, die Ungerechtigkeit, die Gewalt und die Ignoranz der Menschen. Er zeigt den Menschen, was Rechtschaffenheit ist, indem er selbst ein rechtschaffenes Leben führt und immer bemüht ist, ethisch das Richtige zu tun. Und das fällt ihm nicht immer leicht, dem allein erziehenden Vater zweier aufgeweckter und lebenshungriger Kinder. Aber seine Erziehungsmethoden sind erfolgreich. Für seine Kinder ist er eine moralische Instanz. Sie wissen, wenn Atticus etwas nicht gut heißt, dann ist es etwas moralisch Falsches, etwas, das man eigentlich nicht tun sollte. Sie tun es zwar dennoch, aber sie lernen, nicht leichtfertig zu sein und ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen.
Atticus ist weise, und deshalb weiß er, dass es besser für seine Kinder ist, wenn er streng ist und auch von ihnen die Einhaltung ethischer Maßstäbe verlangt. Auch wenn er damit den Kindern Härten aufbürdet. Strafen, unter denen sie wirklich leiden müssen. So muss der Junge Jem einen Monat lang mit der kranken, alten Nachbarin Mrs. Dubose verbringen und ihr vorlesen, weil er ihren Vorgarten verwüstet hat. Zwar war diese Verwüstung eine Reaktion auf die Beschimpfungen, die die alte, von Schmerzen geplagte Frau den Kindern immer wieder zurief, aber Atticus hatte Jem aufgeklärt und ihm klare Anweisungen erteilt. Und so musste Jem nicht nur Demut, sondern auch Mitgefühl lernen, und er musste lernen, sich in die Haut eines anderen Menschen zu versetzen, auch wenn er gegen diesen eine Abneigung empfand.
Atticus aber bezeichnete Mrs. Dubose als "die tapferste Frau", die er kannte. Sie war zeit ihres Lebens morphiumsüchtig gewesen, wollte aber nun, da der Tod auf ihrer Schwelle stand, frei von der Sucht aus dem Leben scheiden, weshalb sie ein unglaubliches Martyrium des Entzugs auf sich nahm. Da lernten die Geschwister den Blick hinter die Fassade.
Atticus beherrschte diesen Blick wie kein anderer. Er war ein großherziger und freundlicher Mann, der letzte Gentleman von Alabama.
Als der Roman im Jahre 1960 erschien, war er ein unglaublicher Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte. Aber die Topic traf einen Nerv der Zeit. Nur wenige Jahre vor der Bürgerrechtsbewegung wurden hier Themen wie Rassismus, Gerechtigkeit und Humanismus aufgegriffen. Ein Gesellschaftssystem wurde hinterfragt und abgeklopft auf seine Menschlichkeit hin.
Auf der einen Seite ist es ein Roman wie "Huckleberry Finn". Da sind die drei Kinder Jem, Scout und Dill (eine literarische Hommage an Harper Lees Jugendfreund Truman Capote), die in ihrer Kleinstadt nach Abenteuern und gruseligen Geschichten suchen, die immer wieder das Nachbarhaus umschwirren, in dem Boo Radley lebt, aber es nie verläßt. Eine Welt mit Baumhäusern und Dampfgeistern und Spuk und Geschichten, in die aber zwei Dinge einbrechen: das Erwachsenwerden und der Prozess um Tom Robinson, einen Schwarzen, dem vorgeworfen wird, ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben.
Attcius übernimmt die Verteidigung des Farbigen, wohl wissend, dass es ein Kampf auf verlorenen Posten sein wird. Er weiß, nie wurde ein Farbiger frei gesprochen, wenn sein Gegner vor Gericht ein Weißer war. Er weiß, dass Tom unschuldig ist, aber dennoch verurteilt werden wird. Aber trotzdem nimmt er den Kampf auf. Der einzige, der mutig genug dazu ist. Als sich das rumspricht, werden selbst seine Kinder auf der Straße und in der Schule beleigt und diffamiert. Aber Scout ist ein Tomboy wie aus dem Buche, und ebenso tapfer wie ihr Vater. Sie scheut sich nicht, jeden zu verprügeln, der ihren Vater beleidigt.
Der Prozess erregt viel Aufsehen in der Stadt. Atticus kann nachweisen, dass es Mayella Ewell, das weiße Mädchen, war, welches versuchte, Tom zu verführen, und die damit gegen ein ungeschriebenes, ehernes Gesetz der Südstaaten verstieß. Aber auch in der Betrachtung dieser Figur siegt das Mitgefühl: Mayella zeigt sich als einsames, trauriges, junges Mädchen, das keine Freunde hat und von seinem Vater sexuell missbraucht wird.
Tom wird zwar schuldig gesprochen, aber die Geschworenen haben über eine Stunde lang diskutiert, ehe sie zu ihrem Urteil kamen, und das war ein Erfolg.
Aber es geht um mehr als um Rassismus. Es geht um die Frage, was ein ehrbares, aufrechtes Leben ist. Atticus beantwortet sie durch sein Vorbild. Suchte man in der Literatur nach einer Figur, die ihm gleich käme, würde man bei Jesus ankommen.
55 Jahre alt ist dieser Roman. Lohnt es sich da noch, diesen zu lesen?
Ja.
Und heute brauchen wir Atticus Finch noch viel mehr, als es uns scheinen mag. Denn die Rechtschaffenheit ist aus unserer Gesellschaft verschwunden. Und Eltern lehren ihre Kinder lieber, das zu tun, was einfach ist, als das zu tun, was richtig und gut ist. Heute machen es Eltern ihren Kindern zu leicht. Sie nehmen sie in Schutz, auch wenn das falsch ist, auch wenn ihre Kinder moralisch verwerfliche Dinge getan haben. Aber was bringen sie ihnen damit bei? Das es okay ist, anderen weh zu tun, Hauptsache, man selbst kommt ungeschoren heraus aus alldem. An einer schlechten Note ist der Lehrer schuld, nicht das Kind, das zu faul zum Lernen war. Auf diese Weise erziehen wir eine Generation von unmoralischen, verdorbenen und verzogenen Nichtsnutzen, die nur auf den eigenen Vorteil gehen und nichts wissen von der Welt und den Menschen, die nur eigenes Ego füttern und jede Form von Kritik und Zurechtweisung als Diffamierung betrachten. So erzieht man Narzisten und Soziopathen.Was das für unsere Gesellschaft bedeutet, wird sich erst noch zeigen. Es wird nichts Gutes sein.
Deshalb brauchen wir Atticus Finch.
Deshalb brauchen wir "Wer die Nachtigall stört".
In amerikanischen Schulen war das Buch immer wieder umstritten, weil das Wort "Nigger" darin auftaucht. Deshalb steht es in einigen Staaten sogar auf dem Index. Und ich bin mir sicher, auch der deutsche Buchhandel wird bald mit einer "entschärften" Übersetzung aufwarten können. Aber hier geht es nicht um Pipi und den Südseekönig. Das N-Wort taucht in dem Roman auf, weil es in der Zeit, die geschildert wird, auftaucht. Und wir brauchen es, um zu lernen. Mit dem Ausmerzen böser Worte merzt man noch lange nicht böse Gedanken aus. Im Gegenteil. Dadurch werden die Gedanken nur noch gefährlicher, weil sie sich nicht mehr durch Aussprechen zeigen können. Die bösen Gedanken, für die es keine Worte gibt, werden böse Taten. Aus dem von oben befohlenen Schweigen über Rassismus und Menschenhass werden brennende Ausländerwohnheime.
"Wer die Nachtigall stört" ist ein Buch für unsere Zeit. Es gibt Menschen, für die hat es die gleiche Bedeutung wie die Bibel. Die Rezensentin bekennt, dass sie zu diesen Menschen gehört.
(erschienen als Taschenbuch im Verlag ROROR, 6. Auflage 2010, 528 Seiten,
ISBN 978-3499254185, Preis 10 Euro)
Es gibt diese Autoren, die schreiben und schreiben und kein Ende finden, die einen Roman nach dem anderen veröffentlichen, und nichts kommt dabei heraus, als immer wieder die gleiche Geschichte. Irgendwas mit Liebe, Vampiren oder Fantasy. Literarische Belanglosigkeiten, die zwar ihre Leser finden - für den Augenblick, die abver so schnell auch vergessen werden, wie sie aufgetaucht sind.
Und dann gibt es da die Literatur, die bleibt. Die Jahrzehnte, ja Jahrhunderte überdauern kann. Diese Literatur erzählt Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, weil sie von der Seele und den Menschen erzählen, von Gut und Böse, Licht und Schatten, Recht und Unrecht und auch von einer Liebe, die höher ist als Fleischlichkeit, von einem Schrecken auch, der aber tiefer geht als funkelnde Vampire. Das sind die Klassiker, die mitunter in unserer so geistfeindlichen Gesellschaft skeptisch beäugt werden. Und es gibt diese Fälle, in denen ein Roman genügt, um seinen Verfasser unsterblich zu machen.
Fahrenheit 415 ist so ein Fall. Hätte Bradbury nichts anderes als dieses Buch geschrieben, wüssten wir dennoch um seinen Namen und würden ihn verehren.
Und so steht es auch um Harper Lee.
Harper Lee, 1926 - wie meine Großmutter, die Queen, die Bachmann und Norma Jean Baker - in Alabama geboren, war ein echtes Südstaatenkind. Ihr Vater war Rechtsanwalt, und ihm setzte sie in ihrem einzigen Roman "Wer die Nachtigall stört" ein literarisches Denkmal, das seines gleichen sucht.
Atticus Finch - der Held ohne Waffen, der nur mit seiner eigenen Rechtschaffenheit auf friedliche Weise kämpf gegen das Böse, die Ungerechtigkeit, die Gewalt und die Ignoranz der Menschen. Er zeigt den Menschen, was Rechtschaffenheit ist, indem er selbst ein rechtschaffenes Leben führt und immer bemüht ist, ethisch das Richtige zu tun. Und das fällt ihm nicht immer leicht, dem allein erziehenden Vater zweier aufgeweckter und lebenshungriger Kinder. Aber seine Erziehungsmethoden sind erfolgreich. Für seine Kinder ist er eine moralische Instanz. Sie wissen, wenn Atticus etwas nicht gut heißt, dann ist es etwas moralisch Falsches, etwas, das man eigentlich nicht tun sollte. Sie tun es zwar dennoch, aber sie lernen, nicht leichtfertig zu sein und ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen.
Atticus ist weise, und deshalb weiß er, dass es besser für seine Kinder ist, wenn er streng ist und auch von ihnen die Einhaltung ethischer Maßstäbe verlangt. Auch wenn er damit den Kindern Härten aufbürdet. Strafen, unter denen sie wirklich leiden müssen. So muss der Junge Jem einen Monat lang mit der kranken, alten Nachbarin Mrs. Dubose verbringen und ihr vorlesen, weil er ihren Vorgarten verwüstet hat. Zwar war diese Verwüstung eine Reaktion auf die Beschimpfungen, die die alte, von Schmerzen geplagte Frau den Kindern immer wieder zurief, aber Atticus hatte Jem aufgeklärt und ihm klare Anweisungen erteilt. Und so musste Jem nicht nur Demut, sondern auch Mitgefühl lernen, und er musste lernen, sich in die Haut eines anderen Menschen zu versetzen, auch wenn er gegen diesen eine Abneigung empfand.
Atticus aber bezeichnete Mrs. Dubose als "die tapferste Frau", die er kannte. Sie war zeit ihres Lebens morphiumsüchtig gewesen, wollte aber nun, da der Tod auf ihrer Schwelle stand, frei von der Sucht aus dem Leben scheiden, weshalb sie ein unglaubliches Martyrium des Entzugs auf sich nahm. Da lernten die Geschwister den Blick hinter die Fassade.
Atticus beherrschte diesen Blick wie kein anderer. Er war ein großherziger und freundlicher Mann, der letzte Gentleman von Alabama.
Als der Roman im Jahre 1960 erschien, war er ein unglaublicher Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte. Aber die Topic traf einen Nerv der Zeit. Nur wenige Jahre vor der Bürgerrechtsbewegung wurden hier Themen wie Rassismus, Gerechtigkeit und Humanismus aufgegriffen. Ein Gesellschaftssystem wurde hinterfragt und abgeklopft auf seine Menschlichkeit hin.
Auf der einen Seite ist es ein Roman wie "Huckleberry Finn". Da sind die drei Kinder Jem, Scout und Dill (eine literarische Hommage an Harper Lees Jugendfreund Truman Capote), die in ihrer Kleinstadt nach Abenteuern und gruseligen Geschichten suchen, die immer wieder das Nachbarhaus umschwirren, in dem Boo Radley lebt, aber es nie verläßt. Eine Welt mit Baumhäusern und Dampfgeistern und Spuk und Geschichten, in die aber zwei Dinge einbrechen: das Erwachsenwerden und der Prozess um Tom Robinson, einen Schwarzen, dem vorgeworfen wird, ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben.
Attcius übernimmt die Verteidigung des Farbigen, wohl wissend, dass es ein Kampf auf verlorenen Posten sein wird. Er weiß, nie wurde ein Farbiger frei gesprochen, wenn sein Gegner vor Gericht ein Weißer war. Er weiß, dass Tom unschuldig ist, aber dennoch verurteilt werden wird. Aber trotzdem nimmt er den Kampf auf. Der einzige, der mutig genug dazu ist. Als sich das rumspricht, werden selbst seine Kinder auf der Straße und in der Schule beleigt und diffamiert. Aber Scout ist ein Tomboy wie aus dem Buche, und ebenso tapfer wie ihr Vater. Sie scheut sich nicht, jeden zu verprügeln, der ihren Vater beleidigt.
Der Prozess erregt viel Aufsehen in der Stadt. Atticus kann nachweisen, dass es Mayella Ewell, das weiße Mädchen, war, welches versuchte, Tom zu verführen, und die damit gegen ein ungeschriebenes, ehernes Gesetz der Südstaaten verstieß. Aber auch in der Betrachtung dieser Figur siegt das Mitgefühl: Mayella zeigt sich als einsames, trauriges, junges Mädchen, das keine Freunde hat und von seinem Vater sexuell missbraucht wird.
Tom wird zwar schuldig gesprochen, aber die Geschworenen haben über eine Stunde lang diskutiert, ehe sie zu ihrem Urteil kamen, und das war ein Erfolg.
Aber es geht um mehr als um Rassismus. Es geht um die Frage, was ein ehrbares, aufrechtes Leben ist. Atticus beantwortet sie durch sein Vorbild. Suchte man in der Literatur nach einer Figur, die ihm gleich käme, würde man bei Jesus ankommen.
55 Jahre alt ist dieser Roman. Lohnt es sich da noch, diesen zu lesen?
Ja.
Und heute brauchen wir Atticus Finch noch viel mehr, als es uns scheinen mag. Denn die Rechtschaffenheit ist aus unserer Gesellschaft verschwunden. Und Eltern lehren ihre Kinder lieber, das zu tun, was einfach ist, als das zu tun, was richtig und gut ist. Heute machen es Eltern ihren Kindern zu leicht. Sie nehmen sie in Schutz, auch wenn das falsch ist, auch wenn ihre Kinder moralisch verwerfliche Dinge getan haben. Aber was bringen sie ihnen damit bei? Das es okay ist, anderen weh zu tun, Hauptsache, man selbst kommt ungeschoren heraus aus alldem. An einer schlechten Note ist der Lehrer schuld, nicht das Kind, das zu faul zum Lernen war. Auf diese Weise erziehen wir eine Generation von unmoralischen, verdorbenen und verzogenen Nichtsnutzen, die nur auf den eigenen Vorteil gehen und nichts wissen von der Welt und den Menschen, die nur eigenes Ego füttern und jede Form von Kritik und Zurechtweisung als Diffamierung betrachten. So erzieht man Narzisten und Soziopathen.Was das für unsere Gesellschaft bedeutet, wird sich erst noch zeigen. Es wird nichts Gutes sein.
Deshalb brauchen wir Atticus Finch.
Deshalb brauchen wir "Wer die Nachtigall stört".
In amerikanischen Schulen war das Buch immer wieder umstritten, weil das Wort "Nigger" darin auftaucht. Deshalb steht es in einigen Staaten sogar auf dem Index. Und ich bin mir sicher, auch der deutsche Buchhandel wird bald mit einer "entschärften" Übersetzung aufwarten können. Aber hier geht es nicht um Pipi und den Südseekönig. Das N-Wort taucht in dem Roman auf, weil es in der Zeit, die geschildert wird, auftaucht. Und wir brauchen es, um zu lernen. Mit dem Ausmerzen böser Worte merzt man noch lange nicht böse Gedanken aus. Im Gegenteil. Dadurch werden die Gedanken nur noch gefährlicher, weil sie sich nicht mehr durch Aussprechen zeigen können. Die bösen Gedanken, für die es keine Worte gibt, werden böse Taten. Aus dem von oben befohlenen Schweigen über Rassismus und Menschenhass werden brennende Ausländerwohnheime.
"Wer die Nachtigall stört" ist ein Buch für unsere Zeit. Es gibt Menschen, für die hat es die gleiche Bedeutung wie die Bibel. Die Rezensentin bekennt, dass sie zu diesen Menschen gehört.
Mittwoch, 28. August 2013
WARUM NUR LACHTE ICH
frei nach John Keats's "Why did I laugh..."
Warum nur lachte ich in dieser Nacht?
Kein Gott, kein Dämon kann mir Antwort geben.
Die Hölle schweigt, es schweigt des Himmels Pracht.
Oh Herz! Mein Herz! Warum mußt du erbeben?
Oh Herz! Mein Herz! Wie sind wir so allein!
Oh Dunkelheit! Wie sehr bin ich dein eigen!
Ich seufze schwer in unsterblicher Pein,
und Hölle, Himmel, Herzensgrund - sie schweigen.
Warum ich lachte? Eng ist Lebens Grund,
und nur dem Geist kann höchte Freud gefallen.
Ich wünscht, ich stürb in mitternächtlich Stund
und säh die Welt verdorben und zerfallen.
Oh Vers, oh Ruhm und Schönheit - hohe Sendung.
Doch höher Tod, des Lebenden Vollendung,
Übertragung: Ilka Lohmann
Dienstag, 2. April 2013
"Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"
Johannisgemeinde Niederroßla
Predigtreihe 2013 - Das Vaterunser
Predigt vom 17. Februar 2013
Heute obliegt es mir, über Sünde und
Vergebung zu reden. Heute an diesem besonderen Sonntag, dem ersten Sonntag der
Fasten- oder Passionszeit. Es ist dies die Zeit, in der wir uns auf das
Osterfest vorbereiten, die traurigste, dunkelste Zeit des Kirchenjahres. In
dieser Zeit gedenken wir des Leidens und des Todes Christi. Am Ende werden wir
Seine Auferstehung feiern.
Christus ist für unsere Sünden am Kreuz
gestorben. Die Auferstehung ist das Zeichen der Vergebung, das Zeichen von
Gottes Gnade und von Gottes Liebe zu uns – seinen Kindern.
„Vergib uns unsere Schuld, so wie auch wir
vergeben unseren Schuldigern.“
Diese Zeile aus dem Vaterunser gehört zum
täglichen Gebet aller Christen. In jedem Gottesdienst werden diese Worte gesprochen.
Christus selbst hat uns gelehrt, so zu beten. Und man kann meiner bescheidenen
Meinung nach Jesu Worte bei der Einsetzung des Vaterunsers so deuten, daß er
meinte, dieses Gebet sei genug, es umfasse alles, worum man Gott bitten kann.
Und wie wichtig gerade der Punkt der Vergebung ist, zeigt sich daran, Jesus
diesen noch einmal aufgreift, wenn er sagt: „Denn wenn ihr den Menschen ihre
Vergehung vergebt, so wird euer himmlischer Vater euch vergeben; wenn ihr aber
den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht
vergeben.“ (Matt. 6, 14/15)
Und es kommt nicht von ungefähr, daß Jesus
gerade hier so eine starke Betonung zeigt.
Wenn man sich auf die Suche macht, findet man
sehr viele Zitate zum Thema Vergebung.
·
Vergib
deinen Feinden, aber vergiß nicht ihre Namen. John F. Kennedy
· Wenn man
jemandem alles verziehen hat, ist man mit ihm fertig. - Sigmund Freud
· Es gibt
Augenblicke, in denen man nicht nur sehen, sondern ein Auge zudrücken muß. -
Benjamin Franklin
· Der
Schwache kann nicht verzeihen, Verzeihung ist eine Eigenschaft des Starken –
Mahatma Gandhi
·
Was
unsere Seele am schnellsten und schlimmsten abnützt, das ist: Verzeihen ohne zu
vergessen. - Arthur Schnitzler
· Wer
seinen Nächsten verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, der irrt nie. - Karl
Heinrich Waggerl
· In
gewisser Weise bedeutet Vergebung einfach, daß wir beschließen, den Hass in
unserem Inneren nicht länger mitzuschleppen, weil wir begriffen haben, daß er
uns vergiftet. - Jack Kerouac.
Manch einer mag sich fragen: Warum soll ich
jeden Tag darum beten, daß mir meine Schuld vergeben wird? Soviel kann doch
keiner sündigen?
Aber ist das so einfach? Der amerikanische
Psychologe John Frazier sorgt mit der Aussage für Aufsehen, wir würden im
Durchschnitt 200mal am Tag lügen. Sicher, das ist inzwischen widerlegt worden.
Aber vielen von uns fällt es schwer, immer bei der Wahrheit zu bleiben.
Und dann sind da noch die vielen kleinen und
großen alltäglichen Zwischenfälle, die uns ärgern oder sogar das Leben
vergällen können. Und hin und wieder muß sich da jeder auch mal an seine eigene
Nase packen. Keiner ist frei von Schuld und Sünde.
Wer davon überzeugt ist, immer alles richtig
zu machen und alles besser zu wissen und dessen Problem immer die anderen sind,
der sollte sich unbedingt an einen Psychologen seines Vertrauens wenden, denn
es steht die Möglichkeit einer psychischen Störung.
Mehrere Begriffe sind mit dem ganzen Thema
verbunden, die eventuell der Klärung bedürfen:
·
Sünde
·
Schuld
·
Reue
·
Buße
·
Vergeben
und Verzeihen.
Sünde ist dabei sicher der am schwersten zu
erfassende Begriff. Sünde. Es ist altmodisch geworden, von Sünde zu reden. Die
meisten Sünden, die der Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts sich noch
eingesteht, betreffen die Ernährung und die Umwelt. Gemeinhin herrscht die Vorstellung,
gerade die katholische Kirche wäre eine Expertin dieses Themas, doch schlägt
man im Katechismus nach, findet man da auch nur Unklarheiten. Da heißt es, eine
Sünde sei ein Ungehorsam gegen Gott, eine Handlung wider die Vernunft. Eine
Sünde ist es, sich willentlich den Gesetzen und dem Willen Gottes entgegen zu
stellen. Dann wird unterschieden zwischen läßlichen Sünden, zum Himmel
schreienden Sünden und schweren Sünden. Von besonderer Schwere sind die Sünden
gegen den Heiligen Geist. All das weiß der Katechismus. Aber konkrete
Handlungsanweisungen fehlen.
Wann also begehe ich eine Sünde? Ich würde es
so fassen: Immer dann, wenn ich aus der Liebe Gottes und den Gesetzen von Sitte
und Anstand heraustrete.
Und ich bin mir sicher, daß wir viel mehr Sünden
begehen, als wir bemerken. Andere sehen es vielleicht, wenn wir uns an der
einen oder anderen Stelle gegen unseren Nächsten versündigt haben. Wenn wir
andere verleumden und ihnen Böses tun, wenn wir unseren negativen Seiten
erlauben, die Oberhand zu ergreifen.
Immer wieder trifft man auf Menschen, die
versündigen sich an ihrem Nächsten. Und dennoch meinen sie, sie seien im Recht.
Sie machen anderen Menschen, die sie nicht mögen, das Leben schwer, und denken,
sie hätten alles Recht dazu, dies zu tun, weil sie juristisch nicht haftbar
gemacht werden können. Und es ist eine Tragik unserer Zeit, daß Sitte und
Anstand und Ehrenhaftigkeit nichts mehr gelten und auch nicht eingeklagt werden
können. Solche Menschen fühlen sich durchaus wohl in ihrer Haut. Sie liegen
nachts auf weichen Kissen und schlafen den Schlaf der Gerechten, während die,
die unter ihnen zu leiden haben, wach liegen und sich sorgen.
Dennoch haben diese Menschen Schuld auf sich
geladen. Schuld zum empfinden, setzt allerdings voraus, ein Gewissen zu haben.
Ein wirkliches Gewissen. Es setzt voraus, daß man in der Lage ist, seine
eigenen Handlungen zu reflektieren, sich selbst zu reflektieren, und letztlich
muß man dazu in der Lage sein, sich selbst die Frage zu stellen: Habe ich hier
recht gehandelt? Welche Folgen hat mein Handeln? Welche Folgen hat es, wenn ich
dieses oder jenes tue oder unterlasse. Letztlich geht es bis auf die Ebene
unserer Gedanken, Träume und Vorstellungen. Und dabei muß ich mir doch nur
diese eine Frage stellen: Was für ein Mensch will ich sein? Und dann muß ich
mich einfach nur dem entsprechend verhalten.
Dann sind da noch jene, die nicht in der Lage
dazu sind, Schuld zu empfinden, die immer alles auf die anderen schieben müssen
und den anderen sogar die Schuld oder Verantwortung für ihre eigenen Missetaten
und für ihr eigenes unrechtes Verhalten zusprechen.
Dann sind da noch jene, die anderen eine
Schuld und ein Fehlverhalten unterstellen, daß diese gar nicht begangen haben.
Schuld ist ein Gefühl, das uns abtrennt von
unseren Nächsten. Durch Schuld erniedrigen wir uns vor denen, an denen wir uns
versündigt haben. Schuld setzt uns die Lage, Abbitte leisten zu müssen. Wir
liefern uns aus durch die Schuld. Wir sind die Täter und liefern uns der Gnade
unserer Opfer aus. Aber es nicht die Schuld, die uns diese Lage bringt, es die
die Sünde, die wir gegangen haben, und deretwegen nun die Schuld an unserem
Gewissen nagt.
Aber das ist noch mehr. Das Eingestehen, eine
Schuld zu tragen, nennt man Reue. Reue bedeutet, daß wir erkennen, wir haben
einen Fehler gemacht. Wir haben uns nicht richtig verhalten. Wir haben anderen
Menschen Schaden oder sogar schweres Leid zugefügt.
Reue ist ein schreckliches Gefühl. Ich bin
mir sicher, jeder von uns trägt etwas in sich, daß er sehr bereut, und am
schwersten ist die Reue, für die wir keine Buße mehr tun können.
Buße, das ist auch die Strafe, die wir für
eine Sünde verdienen. Eine Strafe, die der Schuld angemessen sein muß. Aber
auch das ist wieder eine schwer zu beantwortende Sprache. Es gibt einfache
Antworten, wie beispielsweise den Bußgeldkatalog. Aber auch da kann man die
Frage stellen: Wie angemessen sind die Summen, die dort verlangt werden? Wer
legt das fest? Die Beträge werden ja in schöner Regelmäßigkeit erhöht. Kann es
daran liegen, daß es wirklich immer verwerflicher wird, ohne Parkscheibe zu
parken?
Aber all das sind Randthemen, wenn es um die
Vergebung geht. Vergeben werden muß eine Schuld. Und wie? Christus gibt die
Antwort: Bedingungslos. Wir müssen vergeben, damit uns vergeben wird.
An zahlreichen Stellen aus der Bibel ist das
zu belegen. Man denke an das Gleichnis des ungehorsamen Knechtes, an die
Geschichte von dem verlorenen Sohn, an die verhinderte Steinigung der
Ehebrecherin.
Es heißt in der Bibel: „Richte nicht, auf das
du nicht gerichtet werdest, denn mit dem Maß, mit dem du mißt, sollst du
gemessen werden.“
Oder die goldene Regel: „Und wie ihr wollt,
dass euch die Menschen tun sollen, tut ihnen ebenso.“
„Ertragt einander und vergebt euch
gegenseitig, wenn einer eine Klage gegen den anderen hat; wie auch der Herr euch
vergeben hat, so auch ihr“, heißt es im Brief an die Kolosser.
„Ihr seht den Splitter im Auge eures Nächsten,
aber nicht den Balken im eigenen.“
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um
Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht dem Bösen, sondern wenn
jemand doch auf deine rechte Backe schlagen wird, dem biete auch die andere
dar, und dem., der mit dir vor Gericht gehen und dein Untergewand nehmen will,
dem lass auch den Mantel! Und wenn jemand dich zwingen wird, eine Meile zu
gehen, mit dem geh zwei.“
Als Petrus Christus fragte, wie oft man
seinem Bruder vergeben soll, antwortete dieser: „Siebzig mal sieben mal.“
Und den Menschen gab er den Rat: Ehe sie im
Tempel ihre Gebete verrichtete und ihre Opfer darbrachten, sollten sie zuerst
den Streit mit ihrem Nächsten schlichten und sich versöhnen.
Sehr eindrücklich ist die Geschichte von dem
Mann, dem der König eine hohe Schuld erließ. Als der Mann dann seinerseits eine
weit geringere Schuld von einem seiner Schuldiger einforderte, strafte ihn der
König, indem er seine eigene Forderung an den Mann erneuerte, und dieser kam in
den Schuldturm.
Christus, Gott will, daß wir einander
vergeben. Die Sünde ist der Makel an der Schöpfung, der durch die Vergebung
getilgt. Und sie beginnt bei uns. Das ist Gottes Gerechtigkeit. Wir bekommen
das, was wir selbst anderen geben. Wenn wir vergeben, werden wir Gottes
Vergebung teilhaftig sein. Da, wo wir Gnade erweisen, werden wir Gnade
erhalten. Aber auch unsere Engherzigkeit, unsere Rachsucht, unser böser Wille
werden zu uns zurück kehren.
Die Sünde macht uns unfrei. Die Sünde führt
zu Lastern, die uns binden, die unserem freien Willen entgegen stehen. Wir sind
da frei, wo wir Gottes Willen tun. Und Gott will, daß wir einander in Liebe zur
Seite stehen.
Jesus Christus spricht: „Ich gebe euch ein
neues Gebot: Daß ihr einander lieben sollt.“
Vergebung. In der katholischen Kirche ist das
eine sehr greifbare, gegenwärtig erfahrbare Angelegenheit durch das Sakrament
der Beichte, die übrigens auch die evangelische Kirche kennt, nur nicht in Form
eines Sakraments. Und sie wird es da nicht so exzessiv ausgeführt.
Über die Beichte sind viele Gerüchte
unterwegs. Am beliebtesten ist die Geschichte, daß durch die Beichte selbst ein
Mensch, der einen Mord begangen hat, von dieser Sünde frei gesprochen werden
könne, ohne Sühne leisten zu müssen. Ich erinnere mich, daß dieses Thema auch
während meines Konvertitenunterrichts, den ich bei dem verstorbenen Pfarrer
Adolf Rudolf in Apolda absolvierte, aufkam. Pfarrer Rudolf erklärte mir damals
folgendes: Ja, ein Mörder kann durch die Beichte Vergebung und Absolution
seiner Sünde erhalten, aber erst, nachdem er verurteilt wurde und seine Strafe
abgesessen hat.
Übrigens: Der Strafvollzug ist ein gutes Beispiel
dafür, daß die Gerechtigkeit Gottes anders, gerechter und gnädiger ist als die
der Menschen. Ein Mensch, der einmal wegen eines Verbrechens verurteilt wird,
trägt dies als Makel immer mit sich. Er gilt als vorbestraft. Die Tat bleibt
verankert in seinem Führungszeugnis und ist dort für beinahe jedermann
einsehbar. Und das noch Jahre, nachdem die Strafe für das begangene Verbrechen
durchstanden wurde.
Und wie gehen wir selbst mit verurteilten
Verbrechern um? Natürlich sind sie in unseren Augen stigmatisiert. Wer schon
einmal im Gefängnis saß, ist übel beleumundet. Solche Menschen haben Probleme,
eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden, was am Ende in einen
Teufelskreis mündet.
Sicher ist Vorsicht angemahnt in solchen
Fällen.
Ich sage nur: Gott geht anders mit uns um.
Wenn wir gefehlt und gesündigt haben, vergibt er unsere Schuld und tilgt sie
gänzlich.
Aber um noch einmal auf die Beichte zurück zu
kommen: Ich erinnere mich sehr gut an meine Erstbeichte. Ich war schrecklich
aufgeregt, weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Ich habe versucht, mit
anderen darüber zu sprechen, aber das war schwer. Keiner wollte über die
Beichte reden. Ich hatte mir dann eine Liste gemacht. Als ich dann aber meinem
Beichtvater gegenüber saß, wollte mir davon nichts mehr einfallen. Alles war in
meiner Erinnerung wie ausgelöscht. Aber Pfarrer Rudolph gelang es, mich zu
beruhigen und den Druck herauszunehmen, und so wurde diese Beichte zu einer
sehr schönen Erfahrung. Ich hatte wirklich das Gefühl, von der Gnade Gottes
berührt worden zu sein. Und als ich ging, war mir leichter ums Herz, und ich
fühlte mich freier.
Ich nahm aber auch eine Gefahr war, nämlich
die, daß das Bewußtsein der eigen Schuld zu einem Zwang, zu einem neurotischen
Verhalten werden kann.
Die Unsicherheit im Umgang mit diesem
Sakrament hat mich nie verlassen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß die
Beichte, auch wenn sie von vielen mitunter kritisch gesehen wird, mit einem
verständnisvollen und großherzigen Beichtvater ein sehr schönes Erlebnis sein
kann.
Heute ist der erste Sonntag der Fasten- oder
Passionszeit. In dieser Zeit, den vierzig Tagen vor Ostern, gedenken wir
dessen, was Christus litt für uns am Kreuz. Ich wir sollten auch bedenken,
warum er litt und was dann geschah. Er litt, er starb am Kreuz, und er ist
auferstanden von den Toten.
Eine Frage möchte ich hier stellen. Straft
uns Gott für unsere Sünden? Straft uns Gott, wenn wir anderen die nötige
Vergebung versagen?
Nun, wir strafen uns selbst durch
Unversöhnlichkeit. Wie so eine Strafe aussieht, habe ich selbst miterlebt. Ich
hatte einen Großvater, den ich nicht kannte. Er war der leibliche Vater meines
Vaters. Er war in seinen aktiven Jahren Direktor an einer großen Schule in
Apolda und deshalb vielen Menschen ein Begriff. Leute, die mich neu
kennenlernten, fragten mich – und manche tun es noch immer – ob ich die Enkelin
des Lehrers Lohmann sei. Ich sage dann einfach: „Ja, das bin ich.“ Aber ich bin
diesem Mann niemals begegnet.
Er und meine Großmutter hatten heiraten
müssen, weil sie schwanger geworden war. Zwanzig Jahre lang ging das trotzdem
einigermaßen gut. Aber dann verliebte er sich in die Frau seines Schwagers, des
Bruders meiner Großmutter. Und sie verliebte sich in ihn. Bald hatten die
beiden ihre Ehepartner verlassen und lebten zusammen. Sie blieben zusammen bis
zu seinem Tod vor vier Jahren. Aber durch diese Geschichte zerbrach ein Teil
meiner Familie – lange, bevor ich geboren wurde. Mein Großvater nahm es meinem
Vater und dessen Schwester übel, daß sie die Partei ihrer Mutter ergriffen
hatten und wollte von da an nichts mehr von ihnen wissen. Von jener Zeit an
sprach er mit keinem von ihnen mehr ein Wort. Allen Familienfesten und den in
unserer Familie üblichen Familientreffen blieb er fern, obwohl er immer wieder
eingeladen wurde. Er lernte meine Schwester und mich niemals kennen. Ich glaube
auch nicht, daß er meine Mutter kannte. Einmal war in der Zeitung ein Bild, das
mir mein Großvater mütterlicherseits zeigte. Er war ebenfalls Lehrer. Die
beiden kannten sich, wenn sie auch an verschiedenen Schulen arbeiteten.
Aber das war die Strafe. Wegen seiner
Unversöhnlichkeit nahm mein Großvater die Isolation von seiner gesamten Familie
und Sippe in Kauf. Er nahm in Kauf, niemals ein Großvater zu sein, niemals
seine Enkel oder die Ehepartner seiner Kinder kennengelernt zu haben. Und er
nahm in Kauf, daß keiner von seinen leiblichen Angehörigen an seinem Sarg
stand, als er beigesetzt wurde.
Wir glauben an die Vergebung der Schuld. Wir
bekennen dies jedes Mal, wenn wir das Glaubensbekenntnis aussprechen. Und im
gleichen Gebet geben wir zu verstehen, daß wir Gott auch als Richter
betrachten.
Gebete automatisieren sich so leicht. Ich
selbst ertappe mich oft dabei, daß ich während des Credo oder des Paternoster
ganz wo anders bin mit meinen Gedanken. Aber vielleicht ist es hilfreich, wenn
wir uns hin und wieder vor Augen halten und bewusst machen, was wir da
eigentlich sagen, um zur Einsicht zu gelangen.
Denn oftmals ist es der Mangel an Einsicht
der eigenen Schuld, der eigenen Verfehlung, der uns abhält, zu bereuen und
anderen zu vergeben.
Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit einem
Jungen, dreizehn Jahre alt. Er beklagte sich darüber, daß er bestraft worden
war, weil er einen Jungen, der ihm eine Mütze weggenommen hatte, beinahe unter
einen vorbeifahrenden LKW gestoßen hatte. Ihm war klar, daß es nicht richtig
war, anderen die Mütze weg zu nehmen. Ihm war ein Unrecht widerfahren, aber
weil er auf die falsche Weise, nämlich wiederum durch ein Unrecht, nach
Vergeltung suchte, blieb ihm die Wertschätzung des eigenen Verlustes verwehrt.
In der Mathematik wird aus Minus mal Minus
ein Plus, aber nicht in den Fragen der Ethik.
Jetzt wird es Zeit, zu einem Schluß zu
kommen. Das ist mitunter das schwierigste – ein Ende finden, vor allem bei so
einem Thema, über das so viel zu sagen wäre. Und ich bin mir bewusst, daß ich
in meiner Predigt hier nur an der Oberfläche kratzen kann.
Lassen Sie mich deshalb einen ungewöhnlichen
Weg gehen.
Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Fan
von Kriminalromanen. Und eine besondere Stellung nehmen die Romane und
Erzählungen von Lady Agatha Christi ein, die sich um den belgischen Detektiven
Hercule Poirot drehen. Der eine oder andere von ihnen kennt vielleicht die
wunderbaren Filme mit Sir Peter Ustinov oder David Suchet.
Poirot ermittelt oft in einem gehobenen
Milieu, im Umkreis der Reichen, Schönen und Begüterten. Und am Ende inszeniert
er die Aufklärung der Fälle auf seine besondere und etwas theatralische Weise.
Sagen wir, das Mordopfer war ein
Industrieller mit großem Vermögen und einer umfangreichen Familie. Poirot,
nachdem seine kleinen grauen Zellen den Mörder entlarvt haben, ruft nun alle
Verdächtigen zusammen: Ehepartner, Kinder, Nichten, Neffen, Kollegen, Freunde,
Liebschaften und Kammerdiener. Und dann, ehe der den Namen des wirklichen
Täters nennt, geht er von einem zum anderen. Jedem hält er vor, daß er oder sie
Motiv und Gelegenheit gehabt habe, um den Mord zu begehen. Am Ende ist keiner
unschuldig. Der Mörder ist nicht allein der Verruchte. Sie alle sind es. Er ist
ihnen nur bei der finsteren Tat zuvor gekommen.
So bleibt bei Poirot keiner unverschont.
„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den
ersten Stein.“ Das könnte auch Poirot, von Lady Agatha immer wieder als
gläubiger Katholik porträtiert, zu dem Kreis seiner Verdächtigen sagen. Und er
sagt es damit auch uns, den Lesern.
Wir alle sind Sünder, ob wir uns nun dessen
bewusst sind oder nicht. Deshalb haben wir die Vergebung nötig. Wir brauchen
sie, um im Frieden mit einander, mit uns selbst und mit Gott zu leben.
Vielleicht hilft uns dabei der Gedanke, daß
wir vor Gott bereits gerechtfertigt sind. Durch die Taufe sind wir seine Kinder
geworden. Seine Türen, seine Arme, sein Herz stehen uns allezeit offen. Es
liegt nun an uns, an unserer Entscheidung, ob wir hindurchgehen wollen oder
nicht.
So groß ist Gottes Liebe zu uns, daß er
seinen eigenen Sohn hingab, um uns zu erretten. Das Opfer, das er Abraham am
Ende doch nicht abverlangte, war er bereit, für uns zu geben.
Christus, das wahre Osterlamm. Das Lamm
Gottes, das die Sünde der Welt trägt und tilgt.
Auf das Agnus Die folgt in der Katholischen
Messliturgie ein kleines Gebet, daß auch die evangelische Kirche kennt, nur
leider nicht so oft ausspricht:
„Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst
unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Mich
bewegt es immer sehr, diese Worte zu sprechen. Es gibt mir Kraft. Es gibt mir
Kraft, zu wissen, zu spüren, daß Gott nichts unmöglich ist, daß keine Schuld so
groß sein kann, als das Er sie tilgen könnte.
Lassen Sie mich zum Ende noch eine kurze
Geschichte aus dem Sufismus erzählen.
Ibn Asakir überliefert in seinem Ta’rih nach
einem Gfährten von as-Sibli, daß er ihn nach seinem Tod im Schlaf sah. Er
fragte ihn: „Was hat Gott mit dir gemacht?“
Da antwortete er: „Er hat mich vor sich
hingestellt und gesagt: Abu Bakr! Weißt du, weswegen ich dir vergebe?
Für mein redliches Handeln?
„Nein!“
Für meine Ausschließlichkeit in meinem
Gottesknechtsein?
„Nein!“
Für meine Wallfahrten, mein Fasten und mein
Gebet?
„Nein! Nicht dafür habe ich dir vergeben.“
Für meinen Auszug zu den Redlichen und meine
dauernden Reisen auf der Suche nach dem Wissen!?
„Nein!“
O Herr! Das sind doch die rettenden
Handlungen, auf die ich über alles andere gesetzt habe. Ich glaube, du habest
mir ihretwegen vergeben und dich meiner erbarmt.
Er aber sagte: „Wegen alldem habe ich dir
nicht vergeben.“
Mein Gott! Wofür dann?
„Erinnerst du dich, wie durch die Gassen von
Baghdad gegangen bist und eine kleine Katze gefunden hast, die von Kälte ganz
schwach war und die sich von Mauer zu Mauer schlich, weil es so kalt war und so
viel Schnee lag? Du hast sie aus Erbarmen genommen und sie in das Fell
gesteckt, das du trugst, um sie vor dem Kälteschmerz zu schützen.
Ich bejahte.
Da sagte er: „Weil du dich jener Katze
erbarmt hast, habe ich mich deiner erbarmt.“
Und der Frieden Gottes, der höher ist als
alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Freitag, 23. November 2012
PROFESSOR FÜNDERICH
Anmerkung:
Hin und wieder suche ich meine Festplatte durch, und dann stoße ich gelegentlich auf einen Text wie diesen hier.
Ich denke, er entstand irgendwann im Jahre 2010. Es ging, meine ich mich zu erinnern, dabei nur darum, etwas zu schreiben, das mich aufheiterte.
Ja, der Text legt Zeugnis ab von einem doch recht fragwürdigen Humor.
Hin und wieder suche ich meine Festplatte durch, und dann stoße ich gelegentlich auf einen Text wie diesen hier.
Ich denke, er entstand irgendwann im Jahre 2010. Es ging, meine ich mich zu erinnern, dabei nur darum, etwas zu schreiben, das mich aufheiterte.
Ja, der Text legt Zeugnis ab von einem doch recht fragwürdigen Humor.
Der Herr Professor Füderich,
der war ein arger Wüterich.
Der steckte Fräulein Heidelgund
ein Stück Plutonium in den Mund.
Und seinen Bruder Adular,
den fraß er auf mit Haut und Haar.
Und seine Katze Isabelle
würgt’ er auf seines Hauses Schwelle.
Hund Bertram hat auch nichts zu lachen,
der muß täglich den Affen machen.
Auch Oberförster Hansemann
hat er ein schweres Leid getan,
als er ihn wohl im Mittagsschlaf
mit einem Stein am Schädel traf.
Dem Bürgermeister Brümmelschwein,
dem fraß er an das rechte Bein,
und Oberschwester Lilofee
fehlt seinetwegen auch ein Zeh.
Nur seine Schwester blieb verschont,
weil sie seit Jahr’n im Westen wohnt.
Donnerstag, 25. Oktober 2012
DENN DU KENNST DEN TAG
von Ilka Lohmann
Rezension zu:
„ENDTAG: Wenn jeder weiß, wann er stirbt – Ein Szenario“ von
Ivo W. Greiter
erschienen bei TYROLIA-VERLAG
Innsbruck, Wien, 2012
ISBN: 978-3-7022-3204-7, Preis 17,95
Euro
„Der Tod ist gewiss, ungewiss seine
Stunde“, weiß der Volksmund zu berichten. Der Tod ist es, der dem
Leben Sinn gibt. Weil aber keiner von uns weiß, wann es soweit ist,
hängt er wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.
Wie wäre es nun, wenn wir wüßten,
WANN wir sterben? Würde das dem Tod seinen Schrecken nehmen?
Ja, meint Ivo W. Greiter in seinem Buch
– er nennt es ein Szenario - „Endtag“. Es beginnt ein wenig wie
Science Fiction. Die Wissenschaft hat herausgefunden, wie man –
mittels eines einfachen Bluttests – die Lebensspanne bestimmen
kann, die einem Menschen zugemessen ist. Was zunächst eine Option
ist, wird zunächst in Österreich – der Autor ist Österreicher –
und später in der ganzen Europäischen Union Gesetz. Obligatorisch
wird nun bei jedem Neugeborenen nach der Geburt – intra-uterin ist
dies nicht möglich – dessen Lebenskapazität bestimmt. Mit
weitreichenden Folgen für die Gesellschaft.
Nun beginnt Greiter zu mutmaßen. In
vielen Episoden berichtet er von Menschen, die aus dem Leben das
Beste machte, die ihre Angelegen rechtzeitig regeln oder noch mal
kurz vor Schluß ein Verbrechen begehen. Lange und kurze
Lebensspannen prallen auf einander. Menschen, die nur 30 werden,
finden keine Partner mehr. Alle Fragen werden gestellt: Wie sieht es
aus mit der Altersversorgung? Was ist mit der beruflichen Beförderung
von Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben? Wie sieht es aus
mit Kandidaten für politische Ämter? ….
Der Autor vermittelt den Eindruck, als
würde erst die Gewißheit der Todesstunde das Leben wirklich
bedeutsam machen. Er will uns sagen, wir – die wir nicht wissen,
wann wir sterben werden – lebten in den Tag hinein, würden unsere
Zeit nicht nutzen, würden unser Leben vergeuden, weil wir nur daran
denken würden, daß wir noch unendlich viel Zeit hätten und
vielleicht unsterblich wären.
Die fiktiven Menschen in seinem Buch
aber sind ganz anders. Sie sind abgeklärt, zufrieden. Sie finden
sich auch mit einem kurzen Leben ab und sterben friedlich und
beglückt im Kreis ihrer Freunde und ihrer Familie.
Die Idee hinter diesem Buch mag sehr
interessant sein, aber das, was Herr Greiter daraus gemacht hat, ist
sehr fragwürdig.
Nicht die Gewißheit der Todesstunde
macht das Leben wertvoll, sondern ihre Ungewißheit. Es ist das
Gefühl, daß wir im Augenblick unsterblich sind, daß unserem Leben
immer wieder diese Tiefe gibt, die es haben sollte. Die Tiefe ist es,
auf des ankommt.
Greiter ist wohlmeinend. Doch da endet
es leider auch bereits.
Nicht die Ungewißheit ist es, die den
Tod schrecklich macht, sondern seine Unvermeidlichkeit. Natürlich
kann es das Denken verändern, wenn man genau um seine Todesstunde
weiß. Aber kann man das?
Greiter legt die Tode durch Unfälle,
Mord und Suizide auf 3% aller Todesfälle, und ich glaube, da liegt
ein Grunddenkfehler seines Ansatzes. Man muß nur an die Zahl der
Verkehrstoten denken. Man muß daran denken, daß Suizid die
Todesursache Nummer 1 bei Adoleszenten ist. Und was ist mit den
Menschen, die beispielsweise durch Anorexia Nervosa umkommen und
verhungern? Ohne Energiezufuhr kann kein Körper leben.
Außerdem sind alle Menschen in seinen
Szenarien intelligent, gebildet und gehören der gehobenen
Mittelschicht an, die es sich leisten kann, ihre letzten Lebensmonate
an der Riviera zu verbringen oder auf einer Kreuzfahrt durch die
Südsee zu verscheiden.
Manche Beispiele offenbaren auch eine
fragwürdige Moral. Da ist zum Beispiel ein Ehepaar, das 135000 Euro
braucht, um seine Pension aufzubessern. 120000 Euro haben sie durch
eine Erbschaft erworben, und als sie den Rest zusammen haben, legen
sie die Summe auf die hohe Kante und verprassen den Rest, denn sie
sind der Meinung, ihre Kinder sollten sich nicht auf eine Erbschaft
verlassen und statt dessen ihren Wohlstand selbst erarbeiten. Ich
glaube, man nennt so etwas Bigotterie.
Ansonsten hat man den Eindruck, als
würde in Greiters Welt nur noch gestorben. Alle sind derart auf
ihren Tod fixiert, daß sie kaum mehr dazu kommen, zu leben.
Greiters Ansatz ist durchaus
interessant. Und seine Botschaft ist durchaus wichtig: Fürchtet den
Tod nicht!
Besser wäre aber: Lebt!
Der Sinn des Lebens liegt im
Augenblick. Im Jetzt. Ich bin da. Das ist der Sinn des Lebens. Ich
bin nicht mehr da. Das ist der Sinn des Todes.
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Ivo W. Greiter,
Rezension,
Sachbuch,
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