Dienstag, 30. August 2011

KÄSSMANN-TEXTE, DIE SICH ERGIESSEN IN WELLNESS-BELIEBIGKEIT

REZENSION
Margot Käßmann: Sehnsucht nach Leben – mit Bildern von Eberhardt Münch. 176 S. geb. m.Schutzumschl. Adeo Verlag. Asslar 2011. 17,99 €. ISBN 978-3-942208-26-0


Es hat eine lange Tradition, daß Priester und Pastoren Bücher schreiben. Bücher, die der Erbauung dienen sollen und der Vermittlung von religiösem Wissen. Eine Pastorin, die in dieser Hinsicht besonders eifrig ist, ist Margot Käßmann, Jahrgang 1958. Die promovierte und habilitierte Theologin, ehemalige Bischöfin von der evangelischen Landeskirche von Hannover und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD kann, nach den Angaben der DNB, auf sage und schreibe 141 Publikationen zurückblicken.

In ihrer jüngsten Publikation schreibt Käßmann nun über die Sehnsucht. „Sich sehnen", so schreibt sie in der Einleitung, „ist etwas sehr Emotionales. Da geht es um ganz Eigenes, da schwingen Lebensfragen, Hoffnungen mit." (S. 7)

In zwölf Abschnitten, die man mit ganz viel gutem Willen als essayistische Versuche bezeichnen könnte, widmet sich Käßmann nun ganz allzumenschlichen Themen wie Heimat, Liebe, Gott, einem Engel und anderen Gemeinplätzen, die sie allesamt auf spielerisch-oberflächliche Weise zum Thema „Sehnsucht" in Beziehung setzt. So schwammig, wie die Begriffe sind, die Frau Käßmann hier zusammengetragen hat, so schwammig bleiben die einzelnen Texte. Auf 176 Seiten versammelt dieses Buch alle pseudospirituellen Wohlfühlklischees, die man sich nur denken kann. Und Frau Käßmann, die auch hin und wieder persönliche Banalitäten preisgibt, wird nicht müde, alles ermutigend und faszinierend und bedeutsam zu finden.

Auf Seite 33 fällt ein bedeutungsschwangerer Satz: „Mich bedrückt, wenn Menschen ein Leben lang schweigen sollen und es heißt, dies sei eine gottesfürchtige Haltung." Zum Kontext: Der Abschnitt ist mit „Sehnsucht nach Stille" betitelt, und jener Satz ist ein Kommentar zu gewissen katholischen Mönchsorden, deren Angehörige ein Schweigegelübde abgelegt haben. Nun ist es in der Tat so, daß diese Mönche größtenteils schweigen, allerdings verrichten sie dennoch sprechend und singend ihre Stundengebete. Nur, und darin unterscheiden sich diese Ordensmänner von Frau Käßmann, vermeiden sie es, belanglose und überflüssige Dinge zu äußern.

Nein, Frau Käßmann hat nicht vor, sich in die Große Kartause zurückzuziehen. Lieber läßt sie wissen, was sie ermutigt und wie sehr sie ihre muslimischen Nachbarn faszinieren. Und allzu gern berichtet sie von den Erfahrungen, die sie in den USA oder bei anderen Auslandsaufenthalten gesammelt hat. Und auf gar keinen Fall darf sie ihr praktisches Gutmenschentum unerwähnt lassen.

Sie trägt gern, schreibt sie, den Titel Weltverbesserer, den die ungerechte Umwelt ihrem naiven Friedensglauben angedeihen läßt. Und das kann uns alle sehr ermutigen. Da ist eine Frau, die ist für den Frieden und die Moslems und natürlich für Marius Müller-Westernhagen. Und die ist stolz auf jede Kritik, wenn sie meint, nichts wäre gut in Afghanistan. Und die uns alle Anteil haben läßt an der Behütung, die sie durch ihren Glauben erfährt.

Käßmanns Buch „Sehnsucht nach Leben" hat nichts zu bieten, was auch nicht schon in anderen Schriften ähnlicher Couleur geäußert wurden wäre. „Sorge dich nicht, lebe" von Dale Carnegie oder „Die Macht des positiven Denkens" von Joseph Murphy - um nur zwei Beispiele zu nennen. Neu könnte der evangelisch-theologische Kontext sein, wenn er denn in diesem Buch vorhanden wäre. Aber jeder Sozialpädagoge jedweder Konfession könnte diese Textsammlung verfaßt haben.

Besonders überflüssig sind die Texte, die Frau Käßmann zur Grundlage ihrer Argumentationen gemacht hat. Sie beruft sich auf Autoren wie Hilde Domin, Herta Müller oder Ernst Bloch. Diese Texte sind deshalb überflüssig, weil sie, so bedeutsam sie auch sein mögen, keine theologische Relevanz haben. Aber sie fügen sich gut ein in den Eindruck der Gefälligkeit, den dieses Buch zu vermitteln sucht. Gelegentlich führt Frau Käßmann auch den großen Reformator Martin Luther auf der Zunge, bzw. auf der Feder, doch leider hat sie vergessen, den Luther-Zitaten eine Quelle zuzuweisen.

Nun, was ist abschließend über das Buch zu sagen? Es enthält ein gutes Dutzend seichter Texte zu seichten Themen. Man muß kein habilitierter Theologe sein, um dergleichen zu schreiben. Jeder, der gern in Blasen redet, könnte ähnliches verfassen. Ein alternativer Titel für diese Publikation wäre „Sehnsucht nach Inhalt" - denn genau das ist es, was das Buch am meisten vermissen läßt.

Aber was macht diese Texte so leer? Nun, weil sie sich ergießen in Wellness-Beliebigkeit, genau vorbei an dem, was die Menschen wirklich bewegt in ihrem Inneren. Ein Buch, genau an der Seele des Menschen vorbei geschrieben. Irgendwie sei alles doch gar nicht mehr so schlimm, wenn man nur für den Frieden und die Moslems ist und sich in Toleranz gegenüber allen möglichen gesellschaftlichen Randgruppen übt. Christentum, das nicht mehr als bloße Religion ist. Religion, von der nichts weiter als blasse, gesichtslose Spiritualität übrigbleibt. Spiritualität, die sich zusammenfassen läßt mit dem Satz: Das Leben könnte ja so schön sein, wenn die Menschen nur ein weniger.... wie Margot Käßmann wären. Nur sehr seichte Gemüter und sehr gefühlsarme Menschen werden Trost finden in dieser Schrift.

Lobend seien allerdings die feinen, farbenfrohen Bilder des Malers Eberhard Münch erwähnt, die sehr schön und farbenfroh sind und zur Betrachtung einladen.


Erstveröffentlichung dieses Textes am 30. August 2011 auf www.freigeist-weimar.de
http://www.freigeist-weimar.de/beitragsanzeige/kaessmann-texte-die-sich-ergiessen-in-wellness-beliebigkeit/