Sonntag, 31. Januar 2010

Die neuen Götter

Für das Überleben einer Menschengruppe ist es entscheidend, wie sie es schafft, sich gegen die Unbilden der Natur zu behaupten. Sie müssen danach streben, sich ihrer Umgebung anzupassen und versuchen, so viel wie möglich unter ihre Kontrolle zu bringen.
Als die Menschen noch als Jäger und Sammler durch die Savannen und Steppen zogen, war ihr Leben da noch einfacher. Kamen sie mit den vegetativen und klimatischen Bedingungen einer Gegend nicht zurecht, zogen sie einfach weiter.
Dann vollzog sich die neolithische Revolution, aus den Jägern und Sammlern wurden Ackerbauern und Viehzüchter. Die Menschen wurden seßhaft, und plötzlich hing ihr ganzes Überleben vom Wetter ab. Nur eine gute Ernte konnte den Stamm bzw. die Gemeinschaft durch den Winter bringen und ihr Überleben sichern.
Weil es aber schon immer in der Natur des Menschen lag, nach Kontrolle zu streben, vor allem dann, wenn existenzielle Dinge auf dem Spiel stehen, versuchten nun auch bereits die Menschen der Vorzeit, Kontrolle über das Wetter zu erlangen.
Sie schrieben die Wetterphänomene dem Wirken von Naturgöttern zu und versuchten nun, durch Opfergaben und Zeremonien, diese milde und gnädig zu stimmen.
Solche Zeremonien werden bis in unsere Zeit durchgeführt. Ihre Spannweite reicht von den Regentänzen der amerikanischen Ureinwohner bis zu den Flubegehungen in katholischen Gegenden in Deutschland.

Die Wikinger und Germanen brachten Odin/Wotan, ihrem Sturmgott, sogar Menschenopfer dar, um ihn gnädig zu stimmen, und wenn ein heftiges Unwetter mit Blitz und Donner über das Land zog, sagten sie, Thor und Loki führen über den Himmel. Die Wettererscheinungen zu Mittwinter wurden mit der Wilden Jagd in Verbindung gebracht.

So war den Menschen eine Möglichkeit gegeben, das Wetter zu kontrollieren. Das vermittelte ihnen ein Gefühl von Sicherheit in einer von Unsicherheit und Gefahr geprägten Umwelt.

Auch heute noch hat das Wetter eine sehr existensbestimmende Bedeutung für uns. Das beginnt bei der Wetterfühligkeit, bei der Migräne vor dem Regenguß und endet bei der Furcht vor Mißernten un d Hungersnöten, die von Dürre und Unwettern hervorgerufen werden. Zudem sind schwere Unwetter immer wieder eine Bedrohung für der Menschen Hab und Gut und Leib und Leben.
Diese Dinge, die eine wirkliche Gefahr für uns sind, müssen wir, weil es unserer Natur entspricht - unserer Furcht, zu kontrollieren und in unsere Gewalt zu bringen suchen.

Nun glaubt in unserer westlichen Welt kaum einer mehr an Thor und Odin, und die, die es tun, bringen ihnen keine Opfer mehr dar mit der Bitte um günstige Winde. Der (angeblich) rational orientierte Mensch rümpft seine Nase ein wenig in Belustigung und Überheblichkeit über die katholischen Flurbegehungen und den Wetterzauber diverser eingeborener Stämme.

Aber irgendwie will man sich, bei aller Abgeklärtheit, doch nicht ganz frei machen von dem Unbehagen, daß durch heftige und die menschliche Existenz bedrohende Unwetter hervorgerufen wird.
Auch die rationalen Menschen suchen nach Kontrolle. Sie suchen nach einer Ursache für die Unwetter.
Die Menschen der Vorzeit glaubten darin den Zorn ihrer zu sehen. Heute glaubt man, darin das Wirken einere globalen Erwärmung zu sehen, die hervorgerufen wurde, so eine These, durch das unverantwortliche und klimaschädigende Verhalten der Menschen, die seit der Erfindung der Dampfmaschine die Atmosphäre mit CO2 geradezu verpesten.
Die globale Erwärmung, früher auch Klimakatastrophe genannt, ist somit der Zorn der Mutter Erde.

Ja, die Diskussion über den Klimawandel hat bereits quasi-religiöse Züge angenommen. Die Erderwärmung sei eine Folge des klimaschädlichen Verhaltens des Menschen, sie sei die Strafe der Natur. (Dahinter verbirgt sich eine Neigung, die Natur als "Person" bzw. als Wesen zu betrachten. Eine nicht zu verleugnende Tendenz zum Animismus.)
Man redet von Klimasündern und darüber, daß man vor allem in der westlichen Welt Verzicht bei manchem liebgewonnenen Komfort üben müsse, um Buße für die begangenen Untaten und Sünden zu leisten.
Überhaupt steht der westliche Lebensstil auf dem Pranger. Wenn man schon ein Auto haben muß, dann am besten eines mit Hybridantrieb. Besser wäre es aber, man ginge zu Fuß oder führe mit dem Fahrrad. Dann schädige die Viehzucht das Klima, vor allem, wenn sie überhand nimmt. Man warnt davor, was passieren würde, wollten auf einmal eine Milliarde Inder ebensoviel Fleisch essen wie ein durchschnittlicher Mitteleuropäer.

Und es geht noch weiter. Die Theorie von der durch den Menschen verursachten Klimaerwärmung ist zu einem Dogma geworden, dem zu widersprechen für einen Wissenschaftler heftige Konsequenzen hat. Ja, es droht geradezu der Ausschluß aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Al Gore ist zum Apostel der Globalen Erwärmung geworden, und die Verbreitung seiner unbequemen Wahrheit hat ihm mehr Popularität eingebracht als seine zwei Amtszeiten als Vize-Präsident der Vereinigten Staaten an der Seite von Bill Clinton.
Nur da, wo sich Dogmen erheben, endet die Wissenschaft, und es beginnt die Religion.

Um das klar zu stellen: Ich bin nicht gegen den Umweltschutz. Als Christin liegt mir viel daran, die Schöpfung zu bewahren. Wir brauchen tiefe Wälder, grüne Wiesen, saubere Flüsse. Wir brauchen alle Tiere und Pflanzen, mit denen wir uns diesen Planeten teilen. Wir brauchen diese Wunder, um glücklich und als wahrhafte Menschen leben zu können. Wir müssen die Verbindung zur Natur bewahren, weil sie unsere Wiege ist.

Aber ich bin auch eine Anhängerin der Aufklärung, und als solche ist für mich die Vernunft die eine Größe, die unser Verhalten bestimmen sollte.
Vernunft endet da, wo Debatten unsachlich und emotional geführt werden. Sie endet da, wo sich Dogmen entwickeln und gegenteilige, abweichende Meinungen nicht mehr gehört werden. Sie endet da, wo Klimawissenschaftler ihre Daten fälschen, nur um ihre Theorien gesichert zu wissen.
Sie endet da, wo man Zeigefinger erhebt und von Sünden und Verfehlungen spricht, und sie endet da, wo man abweichende Meinungen stumm machen will.

Das globale Klima ist ein sehr komplexes System. Die Anzahl der Variablen, die darauf Einfluß haben, ist schier nicht zu erfassen.
Ich denke, Klimaschutz ist wichtig.
Ich denke aber auch, daß wir viel zu wenig wissen, um wirklich etwas tun zu können. Bei all den Dingen, die das globale Klima beeinflussen, ist es doch viel zu kurz gedacht, das alles nur auf den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Man muß eben auch in Betracht ziehen, daß die globale Erwärumung ein ganz natürlicher Prozeß ist, denn es ist ein Fakt, daß es im Laufe der Erdgeschichten viele Perioden gegeben hat, in denen es wärmer war oder viel kälter als in unserer Zeit.
Die Erde ist nun einmal kein statisches System.
Vielleicht ist es auch ein Zeichen der menschlichen Hybris, überhaupt zu glauben, das Klima (a) beeinflußt zu haben und (b) es auch weiterhin beeinflussen zu können.
Schließlich muß nur mal ein sehr großer Vulkan ausbrechen, und alles ist wieder ganz anders.

Vielleicht sollten wir endlich mit diesen Debatten aufhören. Die Weltklima-Konferenz war ein großer Fehlschlag. Warum? Weil letztlich jeder will, daß alles so bleibt, wie es ist.
Das ist aber die größte Illusion.
Eine buddistische Weisheit lautet: Das einzig Beständige ist der ewige Wandel.
(Anmerkung: Es ist doich auffällig, daß Klima- und Umweltschützer in erster Linie darauf drängen, einen Status quo zu erhalten bzw. einen vergangenen Zustand wieder hervorzubringen.)

Wir sollten endlich dem Wandel ins Auge blicken. Wir sollten akzeptieren, daß sich die Erde erwärmt, daß der Meeresspiegel steigt, daß die Gletscher schmelzen, daß das Eis des Südpols schmilzt (was übrigens auch ein natürlicher Vorgang ist).
Ja, wir sollten dem Wandel entgegen blicken und uns darauf einstellen. Etwas anderes wird uns nicht übrig bleiben.
Und wenn es durch Reduktion des CO2-Ausstoßes tatsächlich gelingen sollte, das Ansteigen der Temparatur zu verlangsamen, dann insgesamt umso besser.

Dinge verändern sich.
Das Leben ist gefährlich und unvorhersehbar. Keiner kann sagen, was morgen passiert.
Aber wir dürfen zuversichtlich sein. Die Menschen als Spezies haben mehrere Eiszeiten und Warmzeiten überstanden, haben Vulkanausbrüche und Meteorabstürze überlebt. Sie werden überleben, ganz gleich, wie sich das Klima verändert.
Veränderung ist nicht das Übel. Das Übel ist unsere Unfähigkeit, sie zu akzeptieren. Damit nämlich verschenken wir die Möglichkeit, damit umzugehen und zu lernen.

Und was unsere neuen Götter betrifft, sollten wir bedenken: Glaube ist ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht des Menschen. Aber dahinter steht die Freiheit, zu glauben oder es nicht zu tun.
Es könnte ratsam sein, gerade dann, wenn alle dem Zeitgeist hinterher in eine Richtung rennen, inne zu halten und sich das anzuschauen, wovor diese Menschen eigentlich davonlaufen.

Samstag, 23. Januar 2010

Von den Anfängen

Dann will mal, um ein Versprechen zu erfüllen, ein wenig aus meinem Leben erzählen.
Ich werde dabei mal am Anfang beginnen.

Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen - in einem kleinen Dorf in der Nähe von Weimar. Wir lebten dort auf eine Weise zusammen, die man heute kaum noch antrifft. Vier Generationen unter einem Dach: Meine Urgroßmutter, meine Großeltern, mein Onkel - und dann noch meine Schwester und ich.
Wir hatten einen Garten, einen Hühnerhof und Kaninchen. Im Frühjahr hatten wir oftmals auh Enten, die meine Großmutter als Kücken kaufte. Allerdings überlebten die das Jahr nicht. Was im Licht des Lenz noch munter durch das Gras sprang, fand sich im Kerzenschein der Weihnachtszeit wieder auf meinem Bett aus Rotkraut und Klößen. Wie das in Thüringen eben so ist.
Mir standen besonders die Kaninchen nahe. In den Ferien war es meine Aufgabe, früh am Morgen durch die Gegend zu streifen, um Löwenzahn für diese zu sammeln.
Es gab viel Grün um unser Dorf, und man brauchte gar nicht weit laufen, um das Gefühl zu bekommen, ganz allein und menschenverlassen zu sein.

Die früheste Erinnerung aus meiner Kindheit habe ich an meine Urgroßmutter. Ich muß sehr klein gewesen sein - noch ein Säugling. Aber ich erinnere mich daran, wie sie mich nach oben trug und mein Blick durch das Fenster im Treppenhaus hinaus auf die Krone der Birke im Hof fiel.

Zwei weitere einschneidende Erlebnisse meiner Kindheit waren diese: Zum einen der Tod meines Großonkels, den ich miterlebt habe, und zum anderen, als mich meine Mutter auf dem Friedhof vergessen hatte.
Ja, durchaus morbide Erlebnisse, die eine gewisse Düsternis und einen Hang zum Makabren und Dunklen in meinem Gemüt zurückgelassen haben.

Mit Literatur kam ich sehr früh in Berührung, weil mein Großvater, ein ehemaliger Lehrer, auch der Bibliothekar in unserem Dorf war. (Neben vielen anderen Dingen. Ich werde meinem Großvater bestimmt später einen eigenen Text widmen.)
Natürlich laß er meiner Schwester und mir Märchen vor. Er erzählte auch viele, die nicht in den Büchern standen.
Und selbstverständlich sorgte er dafür, daß wir, sobald wir lesen konnten, mit der entsprechenden Lektüre ausgestattet wurden.

Ich zeigte mich ein wenig frühreif. Eines der ersten Bücher, das ich las, war Goethes "Faust". Ich wählte es vor allem aus dem Grund, weil mein Großvater meinte, ich verstünde es noch nicht. Zum Teil hatte er damit recht.
Er hatte unrecht, weil man als Kind den "Faust" sehr wohl verstehen kann.
Er hatte recht, weil man als Kind den "Faust" nur auf sehr einfache Weise verstehen kann.
Allerdings ist es gut, mit dieser Lektüre so früh wie möglich zu beginnen, denn der "Faust" war Goethes Lebenswerk. Es brauchte ein langes Leben, den "Faust" zu schreiben, und ich denke, es braucht auch ein Leben, um dieses Große Werk in all seinen Tiefen zu verstehen.

Das erste, was mir mein Großvater in die Hand drückte, waren die Bücher von Tschingis Aitmatow. "Der Weiße Dampfer", "Djamila", "Der Erste Lehrer" und verschiedene Erzählungen. Später kamen dann "Die Richtstatt" und "Der Tag zieht den Jahrhundertweg" hinzu.
Seitdem ist Aitmatow mein Lieblingsschriftsteller. Bis vor kurzem hatte ich all seine Bücher. (Ein Brand hat einige davon zerstört.)
Ich lese Aitmatow noch immer und immer wieder, denn ich finde in seinen Büchern etwas, das ich anderswo vergeblich suche. Und er erinnert mich daran, daß ich es finden kann.
Das besondere an Aitmatows Schriften ist, daß sie nicht irgendwo in der Welt spielen, sondern in der Heimat des Autors. Es sind Geschichten aus der Steppe, aus Kirgisien, dem einsamen Land - aus der Welt, in der Aitmatow aufwuchs und lebte. Er erzählte nicht nur von der Gegenwart dieser Menschen, sondern auch von ihrer Vergangheit, von ihren Mythen, ihrem Glaube, ihren Traditionen. Und alles ist so reich, so farbenfroh und lebendig.
Und das ist doch etwas, mit dem wir hier in unserem grauen Deutschland so arge Nöte haben. Wir haben verlernt, uns als Volk mit Vergangenheit zu sehen, und wenn wir von unserer Vergangenheit reden, dann nur von den schwarzen oder besser gesagt braunen Jahren zwischen 1933 und 1945.
Wir sollten alle wieder mehr Aitmatow lesen und uns daran erinnern, daß Überlieferung mehr ist als das.
Der Großvater in "Der Weiße Dampfer" lehrt seinen Enkel, den Jungen ohne Namen, wie wichtig es ist, die Namen seiner Väter zu kennen. Denn wer die Namen seiner Väter nicht kennt, weiß auch, daß man sich nicht an ihn erinnern wird. Und das macht die Menschen nachlässig. Das bringt sie dazu, schlimme Dinge zu tun, zu betrügen, zu morgen, zu raffen, denn sie können sich ja sicher sein, daß diese Taten der Nachwelt nicht überliefert werden.
Deshalb ist es wichtig, sich zu erinnern. Und zwar an alles.
Vielleicht wäre es auch ratsam, unseren "Herren" hin und wieder zu sagen: "Man wird sich an euch erinnern."

Gut. Das sollte fürs erste reichen.
Später werde ich weiter erzählen.

Freitag, 22. Januar 2010

TÖNERNES HERZ

Im Sonnenaufgang
sinken Schatten
auf meinen Weg.

Kein Licht
ist mein
tönernes Herz.

Ich werde
unter dem Feuer
zerbersten,

und meine Seele
wird Staub sein
auf den Steinen der Zeit.

Mittwoch, 20. Januar 2010

DANN WIE EIN STEIN

Langsam
verklingt
in mir
die
Nacht.

Noch einmal
ahne ich,
daß Tau
auf mich
niederfällt.

Ich singe,
und Nebel
steigt auf
über dem Fluß.

Ich erhebe mich
mit dem Lied
der letzten
lachenden Lerche.

Dann,
wie ein Stein
über den
weiten
Steppen aus Schnee,
stürze
ich nieder
und
zerschelle.

Samstag, 9. Januar 2010

GISELA KRAFT

(1936 bis 2010)
IN MEMORIAM

In der Nacht vom 4. auf den 5. Januar starb die Weimarer Lyrikerin Gisela Krafft.
Ihr ganzes Leben hatte sie der Literatur geweiht, und auch mir ist sie eine Mentorin gewesen. Ich verdanke ihr viel, habe ich doch durch sie gelernt, mir selbst zuzuhören und meinen Gefühlen zu vertrauen.
Und ich habe von ihr gelernt, daß Gedichte mehr als Worte sind, daß sie ein Leben machen und daß sie - wie Kinder - hinaus laufen wollen, um zu lachen, zu weinen, zu lieben, zu spielen und zu sterben.

Gisela Kraft hat diese Welt verlassen, aber ihre Gedichte, Geschichten, Romane und Erzählungen bleiben bei uns, um uns zu trösten.

Requiescat in pace.
Et lux perpetua luceat ea.

Mittwoch, 6. Januar 2010

WIR

Wir brannten,
wo andere schliefen;

und wo andere sangen,
gruben wir
tief in die Erde.

Doch wir fanden
weder Wasser,
noch Gold.

Seht ihr,
nun wandern wir wieder
und suchen
die Nacht,
um zu schlafen.

Samstag, 2. Januar 2010

ZUM NEUEN JAHR

Ich wünsche allen meinen Freunden und Lesern viel Glück, Erfolg, Liebe, Gesundheit, Zufriedenheit und Wohlergehen für das Neue Jahr 2010.

Erlaubt es mir, meine Grüße mit den Worten der Großen Hilde Domin abzuschließen!

Semper Fidelis,
Ilka Lohmann

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BITTE
von
Hilde Domin

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten
taugt nicht

Es taugt die Bitte
daß bei Sonnenaufgang die taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden

Und daß wir aus der Flut
daß wir aus der Löwengrube
und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.

Quelle: Hilde Domin (2009) Sämtliche Gedichte (Herausgegeben vonNikola Herweg und Melanie Reinhold, mit einem Nachwort von Ruth Klüger) S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Freitag, 1. Januar 2010