Freitag, 26. Februar 2010

THÜRINGER ANSICHTEN

Auf der Eckardtsburg bei Eckardtsberga.


Ist das ein Geist, der auf der Eckardtsburg bei Eckardtsberga sein Wesen treibt?


Ein Blick hinab ins Thüringer Becken! Von der Eckardtsburg!

Sehr geehrte Frau Käßmann!

Ich bedauere es sehr, daß sie als Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende zurückgetreten sind. Sicher haben Sie die Entscheidung getroffen, die Ihrem Gewissen entspricht, mit der Sie am besten leben können, und das respektiere ich. Zumal Sie mit dieser Tat sehr viel Anstand und Charakter gezeigt haben, und so mancher unserer "Amtsträger" in diesem Lande könnte sich daran ein Beispiel nehmen.

Ich möchte auch sagen, daß ich Sie in diesen Positionen vermissen werde. Sie haben Ihre Ämter immer auf besondere Weise mit Leben und Inhalt gefüllt. Sie waren, ja, Sie sind eine von jenen, die nicht nur nach Amt und Würden um deren selbst willen gestrebt haben. Nein, Sie haben sich engagiert, um etwas zu bewegen, um Veränderung zu bringen und vielleicht sogar, um die Welt ein wenig besser zu machen. Dabei haben Sie immer Ihr Herz auf der Zunge getragen, was Ihnen so manche Kritik beingebracht und Sie in so manches Fettnäpfen hat treten lassen. Trotzdem sind Sie unbeirrt weitergegangen durch die Höhen und Tiefen des Lebens, das Ihnen viel Licht geschenkt, aber auch viele Lasten auferlegt hat.
Durch Ihren Mut in Ihrem Amt wie in Ihrem Leben waren Sie für viele ein Vorbild - auch für mich, obwohl ich Ihnen oftmals eher kritisch gegenüber stand. Aber für mich ist lebendiger Dissenz höher zu bewerten als lebloser, monotoner Konsenz.
Gerade durch Ihre Haltung, die vielen auch unbequem war, haben Sie die Dinge vorangetrieben. Sie waren ein Wetzstein für kritische Geister unter den Christen beiderlei Ausrichtungen.
Sie waren eine Stimme, die gehört wurde.

Ich kann und will nicht glauben, daß dies nun alles vorüber sein soll.

Ich habe relativ spät erfahren, was sich zugetragen hat. Sie sind mit 1,54 Promille Alkohol im Blut in eine Polizeikontrolle geraten, nachdem Sie über eine rote Ampel gefahren waren.
Es versteht sich wohl von selbst, daß dies kein Kavaliersdelikt ist, vor allem, wenn man bedenkt, zu wieviel schweren und tödlichen Unfällen Alkohol im Straßenverkehr führt, und wie viele Menschen deswegen immer wieder schuldlos zu Schaden oder zu Tode kommen. Es gibt an dieser Tat nichts zu beschönigen.
Aber es gibt auch nichts zu verdammen.
Wenn man eine solche Tat begeht, Reue zeigt, die Verantwortung übernimmt und die Strafe dafür trägt, ist die Schuld abgeglichen.

Ich gebe zu, ich war höchst konsterniert, als ich erfuhr, was sich zugetragen hatte, und ich gebe auch zu, daß mir der eine oder andere spöttische Gedanke gekommen ist. Ich bedauere dies, aber es ist nun einmal so, wie der Volksmund sagt: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Dann ist es wieder so: Wer von uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Sie sagen, Sie fürchten, daß nun, nach dieser aktenkundlich gewordenen Trunkenheitsfahrt, ihre moralische Integrität geschädigt sei.
Aber das ist nicht wahr.
Menschen machen Fehler. Aber trotzdem bleiben sie die, die sie sind.
Mag sein, daß es den einen oder anderen nun geben mag, der Ihnen nun mit Geringschätzung begegnet. Aber was macht das schon? Das ändert nicht den Menschen, der sie sind.
In einem seiner Bücher schreibt der Dalai Lama sinngemäß: Auch wenn die Tibeter ihn Ozean der Weisheit und die Chinesen den Wolf in Orange nennen, bleibt er doch nur ein einfacher Mensch.
So ist es mit uns allen. Wir sind nicht das, was die anderen von uns halten. Wir sind das, was wir selbst von uns halten.

Ihr Rücktritt, liebe Frau Käßmann, hat mich traurig gemacht, weil Sie damit ein Zeichen gesetzt haben, das nicht nur positiv ist.
Sicher bekommen Sie viel Lob für Ihr Rückgrat, für Ihre moralische Integrität.
Aber das Problem liegt tiefer: Die moralisch integren Menschen ergreifen die Verantwortung für ihr Verhalten, die moralisch verdorbenen Menschen tun es nicht. Deshalb treten die ehrenhaften Menschen zurück, und die anderen bleiben auf ihren Posten. Sie bleiben Ministerpräsidenten, Bundeskanzler, Außenminister. Sie übernehmen keine Verantwortung. Sie sitzen die Vorwürfe aus, sie bleiben - und sie sind es, die uns beherrschen.
So ist es.
Wir werden von seelisch und moralisch verdorbenen Menschen beherrscht, weil die guten Menschen sich zu leicht vertreiben lassen.

Aber es gibt doch einen anderen Weg.
Man muß doch für seine Fehler und Sünden einstehen können, ohne gleich der Welt und den Menschen den Rücken zu kehren.
Es gibt diesen Weg.
Es ist der Weg der Reue, der Buße und der Vergebung, die von Gott kommt.

Und es ist auch klar, daß nun die Medienwelt ihren Kübel Häme über Ihnen vergießen wird. Aber das können Sie nicht verhindern. Da müssen Sie durch. Denken Sie daran, wie unser Heiland verspotttet und gegeiselt wurde, und wie er es ertrug.

Christus starb am Kreuz, um uns von unseren Sünden zu befreien.
Aber dieses Geschenk Gottes müssen wir auch annehmen.

Was soll ich zum Schluß sagen?
Ich achte Ihre Entscheidung und bedauere Ihren Rücktritt. Ich hoffe, Sie bleiben uns erhalten als wache und mahnende Stimme im Sturm dieser Welt.
Bitte, fassen Sie meine Worte nicht als Anmaßung aus. Ich spreche als Christin zu Ihnen.
Wir brauchen gute, integre Menschen, die uns den Weg zeigen.
Bitte, bleiben Sie einer davon.

Hochachtungsvoll,
Ilka Lohmann

Mittwoch, 17. Februar 2010

Politischer Aschermittwoch in Deutschland 2010

Heute war es mal wieder soweit. Zum politischen Aschermittwoch gaben sich die Großen aller Parteien die Ehre und hielten in den trauten Kreisen ihrer Gesinnungsnossen große Reden.

Auch Guido Westerwelle war dabei. Außenminister und Vizekanzler verpflichtet eben, und ganz stolz verkündete er, daß er nur auf dem Parkett der Außenpolitik zur Diplomatie verpflichtet sei. Hier im Lande könne er die Wahrheit sagen - grob und klartextmäßig wie am besten Stammtisch.

Aber wir sollten uns in Acht nehmen vor solchen Leuten, die meinen, sie dürften andere Menschen geruhsam verunglimpfen, beleidigen und diffamieren, wenn es um die Wahrheit ginge. Eine solche Wahrheit ist erfahrungsgemäß nicht viel wert, und dem gesunden Menschenverstand ist ohnehin klar, wie es um dem Wahrheitsgehalt von Herrn Westerwelles Schimpfreden auf Sozialstaat und Hartz-IV bestellt ist. Da bleibt nämlich nicht viel übrig.

Herr Westerwelle verkündete mit großen Worten, er gehöre einer christlich-liberalen und nicht einer sozial-liberalen Koalition an. Was das heißen soll, weiß er vielleicht selbst nicht. Man braucht nur mal im Neuen Testament nachzulesen. Dort findet sich nichts darüber, daß man die Armen diffamieren und gegen einander aufhetzen soll. Vielmehr steht dort, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt, als ein Reicher ins Himmelreich. Soviel zur christlichen Soziallehre.

Obendrein ist Christus für die Wahrheit gestorben, wie in den Evangelien nachzulesen. Christus schwieg, als Pilatus ihn fragte: "Was ist Wahrheit?" Herr Westerwelle hätte dem Stadthalter von Judäa wohl nur in drastischen Worten seine altrömische Dekadenz vorgeworfen.

Herr Westerwelle macht keinen Schritt zurück. Angriff sieht er als beste Verteidigung, und er macht so weiter, wie er nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Hartz-IV-Sätze als verfassungswidrig, als willkürlich festgesetzt und als gegen die Menschenwürde verstoßend bewertet hatte. Und er weiß auch, daß die Botschaft ankommt - an den Stammtischen in NRW und im Rest der Republik.

Sigmar Gabriel bemerkte sehr klug bei seiner Aschermittwochrede, daß das Ziel, das Westerwelle und Co. mit ihren Reden verfolgen, ganz klar darin liegt, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu demotivieren und von der Wahl fernzuhalten, damit langfristig nur noch ihre Klientel zur Wahl gehen und ihre Stimmen abgeben. Das stimmt. Denn die Untersuchungen zeigen, daß es gerade die armen Bevölkerungsschichten sind, die nicht zur Wahl gehen.

Aber nötig ist diese Mühe nicht. Durch ein ausgefeiltes System von Klientelpolitikl Lobbyismus und externes Beratertum ist das ganze System der repräsentativen Demokratie ohnehin schon unterminiert und existiert nur noch auf dem Papier. Das letzte, was Politiker interessiert, ist der Wählerwille.

Für Sarah Wagenknecht war Westerwellles Vizezanler- und Außenministerschaft der Beweis dafür, daß es keinen Gott gäbe, denn viele Stoßgebete zum Himmel, dieser Mann möge nie in Regierungsverantwortung geraten, sind ungehört geblieben. Das ist eine recht witzige Bemerkung, aber leider verbirgt sich dahinter eine bittere Wahrheit.

Dieser Mann, der in sich in so unverschämter, bornierter und dreister Weise über den Sozoialstaat und seine Errungenschaften hermacht, der die Armen aufhetzen will gegen die noch Ärmeren und der mit seiner Rede nichts als Unfrieden stiften will mit dem Ziel, eine Landtagswahl zu gewinnen, ist tatsächlich der Vizekanzler unseres Landes. Und während Frau Merkel noch zumindest versucht, die Kanzlerin aller Deutschen zu sein, zeigt Herr Westerwelle sehr deutlich, wessen Vizekanzler er ist. Und zu diesen Menschen zählen Bezieher von ALG-II offenbar nicht.

Aber die Sache ist die: Wir haben diesen Mann gewählt.

Jean Jacques Rousseau schreibt in seinem "Gesellschaftsvertrag", der übrigens Pflichtlektüre für jeden Staatsbürger sein sollte: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.

Haben wir ihn also verdient, diesen Herrn Westerwelle, der sich die Diplomatie für die Außenpolitik aufhebt und im eigenen Land den Volkston pflegt. Wir haben die Wahl, ihm nicht zuzuhören, seinen Worten keine Macht zu geben und seine sogenannten Wahrheiten als das zu entlarven, das sie sind - billige, volkstönende Stammtischparolen.

Dienstag, 16. Februar 2010

Guido Westerwelle und die Alten Römer

Toll trieben es die Alten Römer. Das wissen wir spätestens seit Asterix. Ihre Dekadenz war ebenso sprichwörtlich wie die Todesverachtung der Kelten. In ihren Arenen ließen sie nicht nur Gladiatoren auf Leben und Tod gegen einander kämpfen, sie warfen dort auch die Christen den Löwen zum Fraß vor und jubelten, wenn das Raubtier gewann. Sie hielten wahre Orgien ab, in denen sie aßen bis zum Erbrechen und darüber hinaus. Für diese Fälle gab es den Skalven mit dem Eimer und der Pfauenfeder. Sie ließen Sklaven für sich arbeiten. Sie hielten sich Lustknaben und Konkubinen, und nicht selten war - wie Pompej beweißt - das Freudenhaus die schönste Villa der Stadt.
Ja, die Alten Römer - sie lebten in Pomp und Verschwendung, und dafür wurden sie dann auch mit dem Untergang belohnt.

Natürlich müssen wir versuchen, solche Zustände in diesem, unserem Lande zu verhindern. Denn die Gefahr ist real, wie erst kürzlich Guido Westerwelle, seines Zeichens Außenminister, Vize-Kanzler und Bundesvorsitzender der FDP, anmerkte. Dabei hat er vor allem eine Bevölkerungsgruppe im Auge - die Bezieher von ALG II, kurz auch Hartz-IV-Empfänger genannt.
Diese Menschen haben keine Arbeit, also jede Menge Zeit, und mit 359 Euro im Monat haben sie es sich in der sozialen Hängematte so richtig gemütlich gemacht und lassen es sich jetzt gut gehen. Wein, Weib und Gesang! Löwen gegen Christen! Nur über Skalven mit Pfauenfedern hat man noch nichts gehört, aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit.

Die gute Nachricht dabei ist, daß diese Nevölkerungsgruppe, die auch gern als Bildungsferne Schicht bezeichnet wird, nun offenbar doch den Anschluß an die klassische abendländische Kultur gefunden hat. Sicher ließt man Ovids Liebeskunst, während man sich den gebratenen Fasan mit dem guten Chianti schmecken läßt, und bestürzte Sachbearbeiter des Arbeitsamtes müssen miterleben wie ihnen Zitate von Seneca und Marc Aurel - natürlich auf Latein - entgegengeschleudert werden. Ultra posse nemo obligatur.

So kann das doch nicht weitergehen. Der Meinung ist auch Herr Westerwelle. Deshalb fordert er lautstark und mit allem ihm zur Verfügung stehenden Populismus, daß sich da etwas ändern muß. Anlaß war ihm dafür das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Hartz-IV-Sätze als verfassungswidrig, weil willkürlich gesetzt bezeichnete. Damit verstoßen diese Regelsätze gegen das Grundgesetz und vor allem gegen das darin festgehaltene Gebot der Menschenwürde.
Nun will Westerwelle eine Debatte über den Sozialstaat anstoßen. Und dafür hat er auch seine guten Gründe.

Grund Nummer Eins: Herr Westerwelle sieht seine Felle davonschwimmen.
Noch nach der Bundestagswahl ließ er sich als großer Sieger feiern. Lauthals beschwor er das Wiedererstarken des "bürgerlichen" Lagers und versprach den Seinen eine Steuersenkung.
Da war das Leben noch in Ordnung.
Dann ging es Schalg auf Schlag. Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis. Westerwelle machte als Außenminister nicht gerade eine gute Figur und scheiterte auf dem diplomatischen Parkett. Dann kam das große Steuergeschenk an die Hoteliers - als Dankeschön für eine Millionen-Parteispende des Hotel-Unternehmers Möwenpick, und wie die versprochenen Steuersenkungen finanziert werden sollten, steht auch noch in den Sternen.
Es gibt also über die FDP und ihren Vorsitzenden nicht viel Gutes zu berichten. Zwar ist man in der Fraktion sehr stolz darauf, daß Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger von 250 Euro pro Lebensjahr auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht zu haben, aber das wird ohnehin nur einem Prozent (in Zahlen: 1%) der Betroffenen etwas nützen und ist insofern nur als pseudosoziales Feigenblatt zu betrachten - ein Gesetz ohne Nutzen.

Grund Nummer zwei: Die Partei des Herrn Westerwelle muß im Mai eine Wahl gewinnen, und zwar die Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen, und die Umfrageergebnisse sehen zur Zeit für die FDP alles andere als rosig aus.

Aber Herr Westerwelle ist nicht auf den Kopf gefallen. Er weiß, wie man Stimmen fängt - und zwar mit gnadenlosem Populismus.
Das führt uns zurück ins Alte Rom, denn Herr Westerwelle hat nicht ohne Grund die Dekadenz der sogenannten Unterschicht angeprangert.
Man nennt dies, mit Stammtischparolen Wählerstimmen sammeln. Ein Meister dieser Kunst ist der hessische Roland Koch. Aber so schlecht hat sich Herr Westerwelle auch nicht geschlagen, wenngleich ein paar Anzüge in der B-Note fällig sind. Daß er die Alten Römer bemüht hat, ist doch ein wenig zu sehr Strebertypennote.
Sicher muß der Vize-Kanzler für diese Bemerkung viel Kritik einstecken - auch von der Kanzlerin. Aber das gehört zum Spiel.
Wenn Politiker populistische Phrasen dreschen, geht es nicht um die Presse, andere Politiker oder gar um Experten, Betroffene und Interessenverbände. Die melden sich zwar zu Wort, aber sie sind nicht die Adressaten.

Die Adressaten sind vielmehr jene, deren Stimmen man in der Öfffentlichkeit nicht vernimmt. Zum einen ist es die gut-bürgerliche und neoliberal gesinnte FDP-Klientel, für die von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen und Bezieher von niedrigen Löhnen und schlecht bezahlten Arbeiten ohnehin nicht zur "Bürgergesellschaft" gehören und die damit auch keine Teilhabe daran verdient haben. Dann sind es Angehörigen der Mittelschicht, die am meisten zu verlieren haben in einer Gesellschaft, die immer mehr in zwei Hälften - die ganz Armen und die ganz Reichen - auseinanderbriht und die befürchten müssen, auf der Strecke zu bleiben. Es sind die Spießbürger aller Art, diemit Vorliebe auf die herabblicken, die ihrer Meinung nach gesellschaftlich unter ihnen stehen und die sich so gern in markigen Stammtisch-Sprüchen ergehen. Und schließlich sind es all jene Wenig- und Geringverdiener, damit so die Armen aufgehtzt werden gegen die noch Ärmeren.
Mit anderen Worten: Herr Westerwelle greift ganz bewußt gesellschaftliche Ressentiments und Vorurteile auf und macht sie sich zu Nutze. Er spielt mit der Stigmatisierung, die Hartz-IV-Empfänger in diesem Land erfahren und vewendet sie, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Er vergreift sich an den Schwächsten der Gesellschaft, um seine Position wieder zu festigen und um seiner Partei den Sieg bei der Landtagswahl in NRW zu sichern.
So formuliert klingt das schäbig, widerlich, abstoßend. Das ist ein verabscheuungswürdiges Verhalten, und jemand mit gesundem Menschenverstand kann sich nur schwer vorstellen, daß jemand, der bewußt und willentlich derartiges tut, noch ruhig schlafen oder sich zufrieden im Spiegel betrachten kann.
Nur vergißt man bei dieser Beurteilung eines: Herr Westerwelle ist ein Politiker. Folglich heiligt für ihn der Zweck die Mittel. Er muß an seine Wähler, an seine Klientel, denken und für die Politik machen, denn sonst wird er nicht mehr gewählt, und leider Gottes wählen Hartz-IV-Empfänger weder die FDP, wenn sie überhaupt noch wählen, und sie sind bedauerlicherweise auch nicht in der Lage, dieser Partei eine Millionenspende zukommen zu lassen. Wie alle anderen Politiker handelt Guido Westerwelle also nach bestem Wissen und Gewissen, und in unserer Gesellschaft des moralischen Anything-Goes ist Ethik ohnehin Ansichtssache.

Damit wären wir wieder bei den alten Römern.
Vielleicht noch einmal ein paar Worte darüber, warum das mächtige Imperium Romanum zuerst zerfiel und dann zugrunde ging. Der Grund war keinesfalls, daß die Armen des Landes, die Skalven, die Landarbeiter, die Tagelöhner und die Bettler in Saus und Braus lebten. Vielmehr wurde das Reich zerstört von der Dekadenz seiner politischen Kaste, die am Ende nur noch nach der Macht um der Macht willen strebte und nur auf den eigenen Vorteil und den ihrer Günstlinge und Gefolgsleute aus war.
Sic transit gloria mundi.

Ein Blick in die Geschichte lohnt sich doch immer wieder.

Montag, 15. Februar 2010

Dresden und seine Nazis

Für dieses Jahr ist der Spuk erst einmal vorbei. In Dresden wurde des Bombemangriffs durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg und der Opfer, die dieser forderte, gedacht, und einer Menschenkette von zehntausend "aufrechten Demokraten" gelang es, einen "Aufmarsch" der Neo-Nazis zu verhindern.

So weit. So gut.

Oder etwa doch nicht?

Ich persönlich sehe das leider nicht so unproblematisch und bin vielmehr der Ansicht, daß wir alle - als Menschen und als Gesellschaft - umdenken sollten in der Art und Weise, wie wir mit dem "Phänomen" Neo-Nazismus umgehen.

Beginnen wir bei den Anfängen? Woher kommt der Neo-Nazismus?
Die Anfänge dieser Strömung reichen sicherlich bis in das Jahr 1945 zurück. Die NPD wurde im Jahre 1964 gegründet. Die DVU existiert seit dem Jahr 1971.
Aber als Phänomen der Jugendkultur ist der Neo-Nazismus erst seit Anfang der 1990er Jahre in Erscheinung getreten.
Das war die Wende-Zeit.
Zeiten politischer Umbrüche führen immer wieder dazu, daß sich die Kontinentalplatten einer Gesellschaft verschieben und die Abgründe derselben zum Vorschein kommen. Das ist der eine Faktor.
Der zweite Faktor war die Presse. In den Nachwendewirren begannen viele Jugendliche Ostdeutschlands zu randalieren, um ihre Wut, Enttäuschung und Trauer auszudrücken. Sie hatten immerhin eine Welt - ihre Welt - zerfallen sehen, und viele standen nun vor dem Nichts der Ungewissheit.
Einige sogenannte investigative Journalisten, auf der Suche nach der Story, traten nun an diese Jugendlichen mit der Frage heran: "Seid Ihr Neo-Nazis?" Sie konnten nicht ahnen, was sie damit bei diesen Jugendlichen auslösten. Denn diese hatten nun etwas, was ihnen fehlte - einen Sinn für ihre Zerstörungen. Als nächstes brannten die Ausländerwohnheime und der Neo-Nazismus in den "Neuen Bundesländern" trat seinen Siegeszug an.

Seitdem versucht unsere Gesellschaft nun vergeblich, dieser Ströumg Herr zu werden. Es gab einige nur als halb.....ig zu bezeichnende Versuche des BNDs, die NPD zu verbieten. Es wurden Aussteigerprogramme geschaltet. Überall begannen die "Demokraten" zusammenzurotten. Zum rechten Extremismus gesellte sich der linke Extremismus in Gestalt der Antifa.
Das Ende vom Lied ist nur eine weitere Eskalation der Gewalt. Und Gewalt ist hier passiv und aktiv zu verstehen.
Nicht nur der übt Gewalt aus, der aktiv gegen einen anderen vorgeht und ihn beispielsweise verletzt. Auch der übt Gewalt aus, der passiv gegen einen anderen wirkt.

Wo ist nun das Problem?
Das Problem sind wir. Wie immer.
Ja.
Der Neo-Nazismus ist nur ein Symptom unseres Problems.

Werfen wir einen Blick auf die "aufrechten Demokraten", die sich immer dann zusammenrotten, wenn irgendwo eine Nazi-Demonstration angekündigt ist.
Wofür sie einstehen, wissen sie selbst nicht. Sie wissen nur eines: Sie sind gegen die Nazis. Und damit meinen sie, auf der richtigen Seite zu stehen. Das ist gut fürs Ego und fürs Selbstbild. Aber der gesellschaftliche Nutzen ist doch eher gering zu bewerten.
Und was ist mit den Damen und Herren der Antifa? Die haben letztlich auch keine anderen Ambitionen aus die Demokraten. Aber gerade sie sollten sich mitunter ernsthafte Gedanken machen. Schon rein auf sprachlicher Ebene. In dem Wort "Antifaschismus" steckt auch der Faschismus, was man den Methoden der Antifa auch deutlich anmerkt.

(Anmerkung: Ich habe miterlebt, wie die antifaschistische Hochschulgruppe meiner alten Universität einen altgedienten Professor, der von seinen Studenten und Kollegen respektiert und geliebt wurde und der zu DDR-Zeiten ein aktiver Bürgerrechtler war, im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Hörsaal "gemobbt" hatte, nur weil eines seiner Essays in einer Zeitschrift erschienen war, die zuvor den Artikel eines Holocaust-Leugners abgedruckt hatte. Das Essay des Professors, der Philosophie lehrte, hatte damit nicht das Geringste zu tun. Aber darum ging es den Anti-Faschisten nicht. Sie wollten ihn weg haben und scheuten da vor keinen Mitteln zurück. Sie verteilten diffamierende Flugschriften, spühten Sprüche gegen den Professor an das Philosophische Institut und wollten sogar die Studenden - ich selbst habe das erdulden müssen - mit allen Mitteln daran hindern, ihre Lehrveranstaltungen zu besuchen. Der Erfolg war, daß der alte Mann sehr krank wurde und seinen Dienst quittieren mußte. Das Philosophische Institut hatte einen wertvollen Honorar-Professor verloren.)

Da nämlich verbirgt sich auch des Pudels Kern.
Was ist das Wesen des Neo-Nazismus? Ressentiments gegen das Fremde.
Nun, wir alle haben Ressentiments gegen das Fremde, Andersartige. Selbst den "aufrechten Demokraten" geht es so. Und sei es, daß sie Ressentiments gegen Neo-Nazis haben.
Es fängt im Kleinen an. Der Atheist hat Ressentiments gegen den Gläubigen. Der Sektenbeauftragte hat Ressentiments gegen den Scientologen. Reiche haben Ressentiments gegen Arme. Arme haben Ressentiments gegen die, die noch ärmer sind. Wir alle haben Ressentiments gegen Menschen, die anders denken, anders handeln und anders aussehen als wir. Da verbirgt sich ein kleiner Neo-Nazi in uns allen.
Das ist erst einmal kein Drama, solange wir, was das betrifft, ehrlich zu uns selbst sind. Wenn wir uns unsere Vorurteile und Ressentiments eingestehen, können wir lernen, damit umzugehen und sie langfristig zu überwinden. Nur so können wir offen und voller Akzeptanz mit anderen Menschen umgehen und ihnen entgegentreten. Nur so können wir beginnen, die anderen anzunehmen, wie sie sind, ohne sie zu bewerten bzw. abzuwerten. (Es ist eine Neigung des Menschen, das, was anders ist, erst einmal anzuwerten.)

Aber ich befürchte, davon sind wir noch weit, weit entfernt.

Wenn wir den Neo-Nazi in uns selbst verleugnen, dann passiert genau das, was heute geschieht. Dann rotten wir uns zusammen, nennen uns "Demokraten" und Anti-Faschisten und sind einfach mal - in Ermangelung anderer Ideen - gegen Nazis.
Gleichzeitig, und das ist wohl wenigen bewußt, verstoßen so die "Demokraten" gegen die Prinzipien der Demokratie, zu denen Meinungsfreiheit, Freiheit der Rede und Glaubens- und Gewissensfreiheit zählen. Aber offenbar ist unsere Gesellschaft heute bereit, diese Freiheiten nur den Einstellungen zu geben, die sie für gut und richtig hält.
Meiner Ansicht nach aber zeigt sich die Stärke einer Demokratie gerade in der Art und Weise, wie es ihr gelingt, souverän - also ohne Ressentiments - mit anderen Einstellungen umzugehen.

Es bringt also nichts, weiter "gegen Nazis" zu sein. Was man bekämpft, macht man stark.
Gerade diese Ausgrenzung, die der Neo-Nazismus immer wieder erfährt, trägt dazu bei, seine Attraktivität gerade bei Jugendlichen, die sich in dieser Gesellschaft nicht zu Hause fühlen können oder wollen, zu erhöhen.

Offenheit sollte also der Weg sein - zuerst sich selbst, und dann den anderen gegenüber. Indem wir lernen, zu unseren eigenen Schattenseiten als Menschen zu stehen, wird es uns auch gelingen, die Schattenseiten unserer Gesellschaft zu akzeptieren und diese - als Gewinn für alle - kreativ zu integrieren.

Allerdings wird dies in absehbarer Zeit nicht geschehen, weil Zeitgeist und Weltbild unserer Gesellschaft zu stark von den Demokraten und Antifaschisten geprägt und bestimmt werden, also von jenen, die Toleranz und Akzeptanz nur Meinungen und Einstellungen gegenüber gelten lassen, die ihren gleichen, und die auf diese Weise die Grundwerte der demokratischen Gesellschaft mißachten.
Und was Dresden betrifft, so wird dort im Jahr 2011 das Spiel von vorn beginnen.
Aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben.

Sonntag, 7. Februar 2010

Mehr als ein Wort

Ich möchte eine Geschichte erzählen, die ich sehr liebe. Es ist keine Geschichte aus meinem eigenen Leben, sondern aus dem Leben meines Großvaters Bruno Silber, und sie hat mich durch mein ganzes Leben begleitet.
Dies ist die Geschichte, die davon berichtet, warum mein Großvater Katholik war.

Mein Großvater stammte aus Sömmerda. Er wurde 1922 geboren, und in der damaligen Zeit war diese thüringer Kleinstadt weitestgehend evangelisch. Allerdings gab es eine kleine Katholische Gemeinde.
Die Familie meines Großvaters gehörte der evangelischen Kirche an, aber sein Vater, der als Polier arbeitete, hatte eine Frau aus dem Breisgau geheiratet. Er hatte sie kennengelernt, als er, wie es damals noch bei Handwerkern üblich war, auf der Walz, der Wanderung, gewesen war.
Mutter Eva, wie die Frau später, in ihrem hohen Alter respektvoll genannt wurde, war katholisch, aber das junge Paar entschied sich, seine Kinder evangelisch taufen zu lassen. Schließlich war man in einer evangelisch dominierten Gegend. Allerdings gab Mutter Eva ihren Glauben nicht auf. Sie schloß sich der kleinen katholischen Gemeinde von Sömmerda an und besuchte dort regelmäßig die Messe.

Das erste Kind, es war ein Mädchen, kam zur Welt und empfing, wie seine Eltern es beschlossen hatten, das Sakrament der Taufe aus der Hand des evangelischen Pastors.
Aber das waren andere Zeiten, die Kindersterblichkeit war groß. Das Mädchen infizierte sich mit der Diphterie, und es gab keine Hoffnung, daß es überleben würde.
Dann kam die Nacht, in der das Ende des kleinen Kindes absehbar war. Den jungen Eltern war es unerträglich, ihre Tochter ohne geistlichen Beistand sterben zu lassen, und so machte sich der Vater meines Großvaters auf den Weg, um den Pastor herbeizuholen, damit er sein Kind segnen sollte.
Doch der Pastor hatte keine Zeit. Er hatte eine andere Verabredung zu erfüllen und lehnte es ab, die Sterbende zu besuchen.
Unverrichteter Dinge kehrte der Vater meines Großvaters nach zurück zu seiner Frau. Die beiden beratschlagten, was zu tun sei, und kamen überein, den katholischen Pfarrer zu bitten, ihrer Tochter in den letzten Stunden beizustehen.
Der Vater meines Großvaters machte sich auf den Weg, und der katholische Pfarrer war sofort bereit, mit ihm zu gehen. Er spendete dem Kind die Sterbesakramente und blieb bei der Familie, bis der Tod das Mädchen ereilt hatte.

Da faßte der Vater meines Großvaters einen Entschluß. Er sagte zu seiner Frau: "Wenn die evangelische Kirche unsere sterbenden Kinder nicht haben will, dann braucht sie auch unsere lebenden Kinder nicht."
So geschah es, daß ihre weiteren fünf Kinder, unter ihnen mein Großvater, katholisch getauft wurden, und deshalb war mein Großvater Katholik.

Als Kind war ihm, denke ich, sein Glaube sehr wichtig. Er besuchte eine katholische Volksschule, war Mitgleid der Katholischen Jugend (bis diese verboten wurde), und war sogar Messdiener, wovon er viele Geschichten zu erzählen wußte. Und er kannte seine Bibel besser als so mancher.

Aber dann kam der 2. Weltkrieg. Mein Großvater wurde eingezogen und mußte als Funker an die Ostfront. Dort sah er seine besten Freunde fallen und wurde selbst, kaum 22 Jahre alt, schwer verwundet - diese Kriegsverletzung hatte ihn für das Leben gezeichnet.
Und nach all dem Schrecken wandte er sich ab von Gott, weil er nicht begreifen konnte, wie dieser, der doch allmächtig sei, so etwas zulassen konnte. "Ohne seinen Willen fällt kein Vogel vom Himmel", so hat er es immer gesagt. "Wie konnte er es dann zulassen, daß so viele junge Männer so elend verrecken mußten?"
Ich denke mir aber im Stillen, so sehr hadert nur jemand mit Gott, dessen Glauben wirklich stark, tief und allumfassend war.

Samstag, 6. Februar 2010

Eine Frage der Abweichung

Wir Menschen haben viele Bedürfnisse. Zuerst kommen unsere körperlichen Bedürfnisse nach Schlaf, Nahrung, Sexualität und Geborgenheit. Sind diese erfüllt, streben wir danach, unseren Bedürfnissen nach Sicherheit und Ordnung nachzukommen. An dritter Stelle stehen unsere sozialen Bedürfnisse nach Freundschaft, Liebe, Kommunikation und Intimität. Diesen folgt das Bedürfnis nach Anerkennung, Lob, Wohlstand, Einfluß und so weiter.
Sind all diese Bedürfnisse gestillt, ist es noch immer und an oberster Stelle das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, das uns weitertreibt.
Diese Bedürfnishierarchie wurde von Abraham Maslow (1908 - 1970) entwickelt und in den Vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgestellt.
Und wenngleich dieses Modell auch nicht unumstritten ist, so wird doch eines daraus deutlich: Ehe sich der Mensch den höheren Dingen zuwenden kann, braucht er Anerkennung.

Anerkennung erfahren wir durch Lob, Komplimente und nicht zuletzt durch Zustimmung. Deswegen erfahren wir es auch als Ablehnung, wenn andere unsere Einstellung nicht teilen.
Es kann also mitunter eine Frage des Selbstwertschutzes sein, wenn man versucht, andere Einstellungen, Meinungen oder Weltanschauungen zu bekämpfen.
In der Regel verbirgt sich dahinter eine gewisse Unsicherheit bezüglich der eigenenen Einstellungen. Um es deutlicher zu sagen: Wer sich seiner selbst und seiner Überzeugungen sicher ist, der kann mit anders gelagerten Überzeugungen und Meinungen gut und kreativ umgehen. Der kann andere akzeptieren, ohne darin eine Gefährdung seiner Persönlichkeit zu sehen.
Der Mensch, der dazu nicht in der Lage ist, braucht die Bestätigung seiner Einstellung, um sich als Persönlichkeit wahrzunehmen, um seinen Selbstwert zu schützen. Wird er mit einer anderen Einstllung konfrontiert, sieht er darin eine Gefährdung seiner selbst und seiner eigenen Einstellung. Es entsteht in ihm das, was Sozialpsychologen Kognitive Dissonanz nennen. Dies ist ein unangenehmes Gefühl, das es abzustellen gilt. Dazu gibt es mehrere Strategien. Die einfachste ist es, den Träger der anderen Meinung abzuwerten und als minderwertig zu betrachten, so daß seine Einstellung für einen selbst keine Rolle mehr spielt. Das ist mit dem geringsten Aufwand verbunden.

Und noch ein anderes Konzept der Sozialpsychologie möchte ich hier zur Sprache bringen: die Ambiguitätstoleranz (entwickelt von Adorno). Das Maß der Ambiguitätstoleranz gibt an, wie sehr ein Mensch in der Lage ist oder eben nicht in der Lage ist, mit Viel- bzw. Mehrdeutigkeit umzugehen. Das hat auch etwas mit der Vielfalt von Meinungen zu tun. Jemand mit einer hohen Ambiguitätstoleranz hat kein Problem damit, wenn andere Menschen andere Einstellungen haben und ihr Leben auf andere Weise führen. Menschen mit einem niedrigen Wert in dieser Eigenschaft hingegen sehen in jeder Form der Abweichung ihren Einstellungen, Meinungen und Lebensführungen gegenüber eine Gefährdung.
(Adorno hat dies anhand der sogenannten A-Skala gemessen.)

Zeit für ein Fazit:
Wir Menschen sehnen uns nach Anerkennung, und wir erfahren diese Anerkennung auch dadurch, daß wir unsere Meinungen, Einstellungen und Weltanschauungen in anderen Menschen wiederfinden. Das vermittelt uns ein Gefühl der Vertrautheit.
Leider ist es aber nun einmal eine Tatsache, daß wir alle irgendwie doch unterschiedliche Köpfe sind. Wollte man alle Menschen brechen, die in dem einen oder anderen Punkt mit einem selbst nicht überein stimmen, stünde man bald allein da, und das kann es doch auch nicht sein.
Wir müssen uns einfach klar machen, daß die Einstellungen anderer keinen Einfluß auf uns haben. Wir sind wir, und die anderen sind nicht wir. Was wir denken, tun oder glauben, hängt einzig und allein von uns selbst ab, und andere haben da über selbst nur so viel Macht und Einfluß, wie wir ihnen zugestehen.
Das ist dann nämlich auch die Lösung.
Obendrein kann es auch sehr interessant sein, sich mit andersdenkenden Menschen auseinanderzusetzen, denn schließlich ist es nicht nur so, daß Freiheit auch die "Freiheit der Andersdenkenden" (Rosa Luxemburg) ist, Fortschritt und Weiterentwicklung kann es nur durch den Widerstreit geben.

Mein Weg zu Gott - unfinished

Mein Glauben spielt in meinem Leben eine große Rolle. So war es von Kindheit an. Dabei war mir der Glaube nie irgend eine politische Bekundung, sondern mehr eine Vergewisserung meiner selbst. Es war und ist mein Refugium, mein Fluchtpunkt, mein Ort der Kraft, mein Geheimer Garten. Wo immer ich auch war in meinem Leben, und was immer ich erlebt habe, ich konnte mich immer an Gott wenden und Trost finden.

Hier habe ich viel meinem Vater Georg Lohmann zu verdanken, der mich an die Lektüre der Bibel herangeführt hat. Es begann damit, daß er meiner Schwester und mir die Geschichten aus dem Neuen und Alten Testtament vor dem Einschlafen vorgelesen hat.
Am liebsten mochte ich die Gleichnisse, in denen Christus zu seinen Jüngern sprach. Ich spürte die Weisheit dieser Worte, und es war, als spräche Christus geradewegs zu mir.
Ich möchte aber festhalten, daß es nicht das Ziel meines Vaters war, mich vom christlichen Glauben zu überzeugen. Meine Familie ist an sich nicht so christlich eingestellt. Er wollte mich in erster Linie mit dem Christentum als einer Grundlage unserer abendländischen Kultur vertraut machen. Und das ist ein großer Schatz, den ich sehr hege und pflege.
(Anmerkung: Man stelle sich einen Menschen vor, für den das Christentum mit all seinen Legenden, Geschichten, Bildern und Bräuchen ein Buch mit Sieben Sigeln sei. Erst einmal würde diese Person diese Metapher gar nicht verstehen. Zweitens stünde diese Person vollkommen ratlos vor den Kunstwerken von Dürer, Leonardo oder Gründwald und wüßte nichts mit Rilkes "Marienleben" oder "Stundenbuch" anzufangen.)

Zum Glauben kam ich dann von allein. Ganz selbstverständlich ging ich zur Christenlehre, und ich fing auch sehr früh an, in die Kirche zu gehen. Ich ging allein. Meine Eltern waren aus der Kirche ausgetreten, mein Großvater hatte, nach eigener Aussage, nicht viel mit der Kirche am Hut, und meine Großmütter gingen auch nicht zum Gottesdienst.
Aber ich liebte es.
In unserem Dorf fand der Gottesdienst in einem zweiwöchentlichen Intervall statt. Für mich war es einfach großartig. Ich weiß nicht, was es war. War es die Liturgie? Waren es die Lieder? War es die Predigt? War es die Teilhabe an einer heiligen Handlung? Wenn ich die Kirche verließ, war mir jedesmal, als würde ich schweben, als wandelte ich im reinsten Licht. Mein Herz und meine Seele waren froh und leicht.
Anders war es nur an den Karfreitagen. Da war ich traurig und weinte still über das Leid und den Tod Christi, der auch für meine Sünden gestorben war.

Vielleicht sollte ich erwähnen, daß es zu jener Zeit - lange vor der Wende - nicht gerade un problematisch war, sich so offen zur Kirche zu bekennen. In meiner Schule war es schon ein Stigma, ein Christenlehrekind zu sein.
Aber mir machte das nichts aus. Es half mir vielmehr, meinen Glauben zu stärken.
"Selig seid ihr, wenn ihr um meines Namens willen verfolgt werdet." Dies waren die Worte Jesu Christi. Sie gaben mir eine unglaubliche Kraft, und ich weiß genau, damals hätte ich um nichts in der Welt meinem Glauben entsagt. Gerade durch diese von mir empfundene Verfolgung als Christin konnte ich mich meines Glaubens vergewissern, denn dadurch wurde ich selig, und ich wußte, daß der Segen Gottes auf mir lag.

Später faßte ich sogar den Plan, Theologie zu studieren und Pastorin zu werden. Ich habe diesen nicht verwirklicht. Und zum Teil war das gut so für mich. Denn das war nicht der Weg, der für mich vorgesehen war.

Meine Familie war, wie bereits erwähnt, nicht besonders religiös. Eigentlich war sie überhaupt nicht nervös. Einige grundlegenden Empfindungen schlugen sich nieder in einer Vorliebe für Kirchenmusik und die Architektur sakraler Bauten, wobei die Musik das Feld meines Vaters war, und mein Großvater hegte eine große Leidenschaft für alte Kirchen. Wir unternahmen auch viele Ausflüge zu alten Kirchen, zu den großen Domen, zu Kirchen- und Klosterruinen, und ich lernte den Unterschied zwischen Romanik und Gotik, noch ehe ich in der Lage dazu war, Rad zu fahren.
Andererseits hatte meine Familie, zumindest väterlicherseits, feste protestantische Wurzeln. Die Vorfahren meines Vaters waren nahezu alle Lehrer oder Pastoren. Die Familie meiner Mutter war ebenfalls protestatisch - mit Ausnahme meines Großvaters, der katholisch war. (Dazu gibt es eine Geschichte, die ich an anderer Stelle erzählen werde.)
Soviel zu den Hintergründen.
Meine Schwester allerdings ist nicht christlich gesinnt, obwohl sie - als Künstlerin ist das unvermeidlich - ein sehr spiritueller Mensch ist.

Als ich dann zu studieren begann, trat mein Glaube in den Hintergrund. Er blieb immer da, aber er verlor die Dominanz, die ihm zuvor inne gewesen war.
Zugleich begannen für mich schwere Jahre, in denen ich einen großen Teil meiner Familie verlor. Es geschah in dieser Zeit, daß ich eine Freundin besuchte, die für ein Semester in Canterbury studierte. Natürlich besucht man, wenn man in Canterbury ist, auch die große Kathedrale. An einem Samtagabend war ich angekommen, und meine Schulfreundin hatte sich gleich zum Auftakt für mich ausgedacht, mit mir am Sonntag zum Gottesdienst zu gehen. Das Erlebnis war überwältigend . Es war nicht nur dieser prachtvolle Kirchenbau, der mich in seinen Bann zog, es war nicht nur die Predigt, die vom Erzbischof von Canterbury höchstselbst gehalten wurde, es war auch nicht nur die Schönheit des Gottesdienstes - es waren die Tiefe und das Alter dieses Ortes. Ja, der Geist, der in Canterbury herrschte, ging auf mich über, und ich besuchte in der Zeit, die ich in dieser schönen Stadt verbrachte, regelmäßig die Kathedrale - nicht nur zu den Gottesdiensten.
Die Kathedrale von Canterbury ist ein sehr kraftvoller Platz. Seit vielen Jahrtausenden haben Menschen dort zu ihren Göttern gebetet, und auch ich fühlte dort die Nähe Gottes so stark, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte.
So wurde mir klar, daß ich den Glauben in mein Leben zurückkehren lassen mußte.

Als ich wieder zu Hause in Thüringen war, begann ich, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen, doch ich will ehrlich sein. Ich habe es kein Jahr lang ausgehalten.
Es hatte sich viel verändert seit den Tagen meiner Kindheit.
Für den Weg zur Kirche hin und zurück brauchte ich eine halbe Stunde, und genauso lang dauerte auch der Gottesdienst. Wenn es denn ein Gottesdienst war. Es herrschte in der Gemeinde der unsägliche Brauch, Familiengottesdienste abzuhalten, deren Ziel es offensichtlich war, Kinder zu bespaßen, die nicht still sitzen konnten.
Jedenfalls fand ich da nicht, was ich suchte: innere Einkehr, Stille, Zwiesprache mit Gott, Meditation.
Also blieb ich zu Hause und lebte meinen Glauben für mich allein.

In dieser Zeit überredete mich eine Freundin dazu, einen Meditationskurs an der Volkshochschule von Jena zu besuchen. Dabei machte sie mich mit ihrer Meditationslehrerin bekannt, und für mich begann eine Zeit der intensiven buddhistischen Praxis und Theorie. Dadurch ist mir viel Gutes wiederfahren. Ich wurde meiner Prüfungsangst Herrin, und ich begann zu lernen, mit Trauer und Verlust umzugehen. (Das lerne ich übringens noch immer.)
Ich erfuhr auch die Weisheit, daß man manchmal einige Schritte zurück machen muß, um seinen Weg zu erkenne.
Denn nun wurde mir eines bewußt: Wenn ich wirklich einen spirituelle Heimat finden wollte, dann war das nur möglich innerhalb der christlich-abendländischen Kultur.

Aber die Zeiten waren nicht leicht für mich und forderten ihren Tribut. Ich brauchte einen Urlaub, und ich hatte die Idee, diesen Urlaub in einem Kloster zu verbringen. Ich suchte eine ganze Weile, bis ich das Kloster Sankt Marien zu Helfta (bei Eisleben) fand.
So kam es also: Ich, die eingefleischte Protestantin, reisete geradewegs in das Herz des kalten Lutherlandes in ein katholisches Zisterziensierinnenkloster, und als ich nach Hause zurück kehrte, war ich fest entschlossen, zum katholischen Glauben überzutreten.
Ich hatte eine wundervolle Zeit in Helfta. Ich ließ meinen Tagesablauf von den Gottesdiensten und Stundengebeten der Ordensschwestern bestimmen, und die sprituelle Leere, unter der ich so gelitten hatte, füllte sich mit der Mystik und der Gottesliebe, welche an diesem Ort so sehr lebendig waren.
(Auch darüber werde ich zu einem anderen Zeitpunkt mehr berichten.)

Wieder zurück in meiner Heimatstadt, nahm ich sofort Kontakt auf mit dem Pfarrer der Katholischen Gemeinde, dem mittlerweile verstorbenem Pfarrer Rudolf, und schon eine Woche später begann mein Unterricht.
So ist das. Wenn man zum Katholischen Glauben übertreten will, muß man ein Jahr lang regelmäßig zum Konvertitenunterricht gehen, und für mich war das eine sehr wertvolle und kostbare Erfahrung. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit und mit dem Pfarrer viele interessante und spirituelle Gespräche gehabt.
Aber ebenso wichtig waren für mich die Begnungen mit den anderen Gemeindemitgliedern. Ich lernte viele interessante Menschen kennen, und ich konnte viel von ihnen lernen. Vieles hat sich dadurch in mir verändert, viele Ansichten haben sich relativiert.
Allmählich begann ich Dinge zu verstehen, die mir vorher unverständlich waren.
So begriff ich, warum das protestantische Abendmahl und die katholische Feier der Eucharistie nicht miteinander vermischt werden dürfen, und warum in der Nachfolge Christi katholische Priester eine andere Stellung haben als evangelische.
Wie gesagt: Durch meinen Großvater war mir der Katholizismus nicht fremd, und ich habe ohnehin nie verstanden, warum die Evangelische Kirche die Heilige Jungfrau Maria, die schließlich die Mutter Gottes ist, nicht ihrer Stellung gemäß würdigt.

Das Jahr ging vorrüber. Ich legte meine Erstbeichte ab, und an einem Tag - es war der 1. Advent - erlebte ich meinen Kirchenübertritt, meine Erstkommunion und meine Firmung. Es war ein schöner Tag. Schön war auch, daß mich meine Freunde und meine Familie dabei begleiteten.

Ja, jetzt bin ich angekommen.
Ich bin Katholikin in einer Zeit, in der das ein sehr kontroverses Bekenntnis ist.
Aber es erfüllt mich mit Freude, einer streitbaren Kirche anzugehören, die wie ein Fels ist im Strom der Zeit.
Und wenn man mich in Bedrängnis bringen will, dann erwacht in mir das Gefühl meiner Kindheit. Das gehört dann eben dazu.

Ich bin angekommen, und ich bin noch immer auf dem Weg.
Glaube ist auch eine nicht enden wollende Suche nach dem Glauben.
Und das ist doch irgendwie ein guter Schlußsatz.

MIT EINEM LÄCHELN AM ENDE

Die fernen Lieder der Nacht
rühren nicht
an meine Träume.

Stille wird in mir sein -
unter dem sinkenden Mond
und den fallenden Sternen.

Oh, Dunkelheit,
warum nur
bust du Labsal
meiner geschundenen Seele?
Sollte ich Sonnenkind
nicht offenen Auges und Herzens
dem Lichte
entgegen eilen?

Aber Schatten bin ich
unter Schatten.
Überall suche und finde ich
Tiefe.

Dem Licht
ist mein Leben entsprungen.
Was macht es da schon,
wenn
anderswohin
mein Weg
mich leitet?