Sonntag, 7. Februar 2010

Mehr als ein Wort

Ich möchte eine Geschichte erzählen, die ich sehr liebe. Es ist keine Geschichte aus meinem eigenen Leben, sondern aus dem Leben meines Großvaters Bruno Silber, und sie hat mich durch mein ganzes Leben begleitet.
Dies ist die Geschichte, die davon berichtet, warum mein Großvater Katholik war.

Mein Großvater stammte aus Sömmerda. Er wurde 1922 geboren, und in der damaligen Zeit war diese thüringer Kleinstadt weitestgehend evangelisch. Allerdings gab es eine kleine Katholische Gemeinde.
Die Familie meines Großvaters gehörte der evangelischen Kirche an, aber sein Vater, der als Polier arbeitete, hatte eine Frau aus dem Breisgau geheiratet. Er hatte sie kennengelernt, als er, wie es damals noch bei Handwerkern üblich war, auf der Walz, der Wanderung, gewesen war.
Mutter Eva, wie die Frau später, in ihrem hohen Alter respektvoll genannt wurde, war katholisch, aber das junge Paar entschied sich, seine Kinder evangelisch taufen zu lassen. Schließlich war man in einer evangelisch dominierten Gegend. Allerdings gab Mutter Eva ihren Glauben nicht auf. Sie schloß sich der kleinen katholischen Gemeinde von Sömmerda an und besuchte dort regelmäßig die Messe.

Das erste Kind, es war ein Mädchen, kam zur Welt und empfing, wie seine Eltern es beschlossen hatten, das Sakrament der Taufe aus der Hand des evangelischen Pastors.
Aber das waren andere Zeiten, die Kindersterblichkeit war groß. Das Mädchen infizierte sich mit der Diphterie, und es gab keine Hoffnung, daß es überleben würde.
Dann kam die Nacht, in der das Ende des kleinen Kindes absehbar war. Den jungen Eltern war es unerträglich, ihre Tochter ohne geistlichen Beistand sterben zu lassen, und so machte sich der Vater meines Großvaters auf den Weg, um den Pastor herbeizuholen, damit er sein Kind segnen sollte.
Doch der Pastor hatte keine Zeit. Er hatte eine andere Verabredung zu erfüllen und lehnte es ab, die Sterbende zu besuchen.
Unverrichteter Dinge kehrte der Vater meines Großvaters nach zurück zu seiner Frau. Die beiden beratschlagten, was zu tun sei, und kamen überein, den katholischen Pfarrer zu bitten, ihrer Tochter in den letzten Stunden beizustehen.
Der Vater meines Großvaters machte sich auf den Weg, und der katholische Pfarrer war sofort bereit, mit ihm zu gehen. Er spendete dem Kind die Sterbesakramente und blieb bei der Familie, bis der Tod das Mädchen ereilt hatte.

Da faßte der Vater meines Großvaters einen Entschluß. Er sagte zu seiner Frau: "Wenn die evangelische Kirche unsere sterbenden Kinder nicht haben will, dann braucht sie auch unsere lebenden Kinder nicht."
So geschah es, daß ihre weiteren fünf Kinder, unter ihnen mein Großvater, katholisch getauft wurden, und deshalb war mein Großvater Katholik.

Als Kind war ihm, denke ich, sein Glaube sehr wichtig. Er besuchte eine katholische Volksschule, war Mitgleid der Katholischen Jugend (bis diese verboten wurde), und war sogar Messdiener, wovon er viele Geschichten zu erzählen wußte. Und er kannte seine Bibel besser als so mancher.

Aber dann kam der 2. Weltkrieg. Mein Großvater wurde eingezogen und mußte als Funker an die Ostfront. Dort sah er seine besten Freunde fallen und wurde selbst, kaum 22 Jahre alt, schwer verwundet - diese Kriegsverletzung hatte ihn für das Leben gezeichnet.
Und nach all dem Schrecken wandte er sich ab von Gott, weil er nicht begreifen konnte, wie dieser, der doch allmächtig sei, so etwas zulassen konnte. "Ohne seinen Willen fällt kein Vogel vom Himmel", so hat er es immer gesagt. "Wie konnte er es dann zulassen, daß so viele junge Männer so elend verrecken mußten?"
Ich denke mir aber im Stillen, so sehr hadert nur jemand mit Gott, dessen Glauben wirklich stark, tief und allumfassend war.

1 Kommentar:

  1. Die Sinnlosigkeit der Kriege wird aus meiner Sicht am besten im Zauberberg von Thomas Mann deutlich. Wo ist da der Sinn für die ganzen Darstellungen von Lebensprinzipien und -anschauungen, für unseren Protag das Streben nach Heilung, wenn auf den letzten Seiten für immer er, Hans Castorp, im 1. Weltkrieg auf dem Schlachtfeld von der Bühne - Verbleib und Schicksal unbekannt - verschwindet.

    Liebe Grüße
    Reinhard (tjm.)

    AntwortenLöschen