Dienstag, 16. Februar 2010

Guido Westerwelle und die Alten Römer

Toll trieben es die Alten Römer. Das wissen wir spätestens seit Asterix. Ihre Dekadenz war ebenso sprichwörtlich wie die Todesverachtung der Kelten. In ihren Arenen ließen sie nicht nur Gladiatoren auf Leben und Tod gegen einander kämpfen, sie warfen dort auch die Christen den Löwen zum Fraß vor und jubelten, wenn das Raubtier gewann. Sie hielten wahre Orgien ab, in denen sie aßen bis zum Erbrechen und darüber hinaus. Für diese Fälle gab es den Skalven mit dem Eimer und der Pfauenfeder. Sie ließen Sklaven für sich arbeiten. Sie hielten sich Lustknaben und Konkubinen, und nicht selten war - wie Pompej beweißt - das Freudenhaus die schönste Villa der Stadt.
Ja, die Alten Römer - sie lebten in Pomp und Verschwendung, und dafür wurden sie dann auch mit dem Untergang belohnt.

Natürlich müssen wir versuchen, solche Zustände in diesem, unserem Lande zu verhindern. Denn die Gefahr ist real, wie erst kürzlich Guido Westerwelle, seines Zeichens Außenminister, Vize-Kanzler und Bundesvorsitzender der FDP, anmerkte. Dabei hat er vor allem eine Bevölkerungsgruppe im Auge - die Bezieher von ALG II, kurz auch Hartz-IV-Empfänger genannt.
Diese Menschen haben keine Arbeit, also jede Menge Zeit, und mit 359 Euro im Monat haben sie es sich in der sozialen Hängematte so richtig gemütlich gemacht und lassen es sich jetzt gut gehen. Wein, Weib und Gesang! Löwen gegen Christen! Nur über Skalven mit Pfauenfedern hat man noch nichts gehört, aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit.

Die gute Nachricht dabei ist, daß diese Nevölkerungsgruppe, die auch gern als Bildungsferne Schicht bezeichnet wird, nun offenbar doch den Anschluß an die klassische abendländische Kultur gefunden hat. Sicher ließt man Ovids Liebeskunst, während man sich den gebratenen Fasan mit dem guten Chianti schmecken läßt, und bestürzte Sachbearbeiter des Arbeitsamtes müssen miterleben wie ihnen Zitate von Seneca und Marc Aurel - natürlich auf Latein - entgegengeschleudert werden. Ultra posse nemo obligatur.

So kann das doch nicht weitergehen. Der Meinung ist auch Herr Westerwelle. Deshalb fordert er lautstark und mit allem ihm zur Verfügung stehenden Populismus, daß sich da etwas ändern muß. Anlaß war ihm dafür das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Hartz-IV-Sätze als verfassungswidrig, weil willkürlich gesetzt bezeichnete. Damit verstoßen diese Regelsätze gegen das Grundgesetz und vor allem gegen das darin festgehaltene Gebot der Menschenwürde.
Nun will Westerwelle eine Debatte über den Sozialstaat anstoßen. Und dafür hat er auch seine guten Gründe.

Grund Nummer Eins: Herr Westerwelle sieht seine Felle davonschwimmen.
Noch nach der Bundestagswahl ließ er sich als großer Sieger feiern. Lauthals beschwor er das Wiedererstarken des "bürgerlichen" Lagers und versprach den Seinen eine Steuersenkung.
Da war das Leben noch in Ordnung.
Dann ging es Schalg auf Schlag. Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis. Westerwelle machte als Außenminister nicht gerade eine gute Figur und scheiterte auf dem diplomatischen Parkett. Dann kam das große Steuergeschenk an die Hoteliers - als Dankeschön für eine Millionen-Parteispende des Hotel-Unternehmers Möwenpick, und wie die versprochenen Steuersenkungen finanziert werden sollten, steht auch noch in den Sternen.
Es gibt also über die FDP und ihren Vorsitzenden nicht viel Gutes zu berichten. Zwar ist man in der Fraktion sehr stolz darauf, daß Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger von 250 Euro pro Lebensjahr auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht zu haben, aber das wird ohnehin nur einem Prozent (in Zahlen: 1%) der Betroffenen etwas nützen und ist insofern nur als pseudosoziales Feigenblatt zu betrachten - ein Gesetz ohne Nutzen.

Grund Nummer zwei: Die Partei des Herrn Westerwelle muß im Mai eine Wahl gewinnen, und zwar die Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen, und die Umfrageergebnisse sehen zur Zeit für die FDP alles andere als rosig aus.

Aber Herr Westerwelle ist nicht auf den Kopf gefallen. Er weiß, wie man Stimmen fängt - und zwar mit gnadenlosem Populismus.
Das führt uns zurück ins Alte Rom, denn Herr Westerwelle hat nicht ohne Grund die Dekadenz der sogenannten Unterschicht angeprangert.
Man nennt dies, mit Stammtischparolen Wählerstimmen sammeln. Ein Meister dieser Kunst ist der hessische Roland Koch. Aber so schlecht hat sich Herr Westerwelle auch nicht geschlagen, wenngleich ein paar Anzüge in der B-Note fällig sind. Daß er die Alten Römer bemüht hat, ist doch ein wenig zu sehr Strebertypennote.
Sicher muß der Vize-Kanzler für diese Bemerkung viel Kritik einstecken - auch von der Kanzlerin. Aber das gehört zum Spiel.
Wenn Politiker populistische Phrasen dreschen, geht es nicht um die Presse, andere Politiker oder gar um Experten, Betroffene und Interessenverbände. Die melden sich zwar zu Wort, aber sie sind nicht die Adressaten.

Die Adressaten sind vielmehr jene, deren Stimmen man in der Öfffentlichkeit nicht vernimmt. Zum einen ist es die gut-bürgerliche und neoliberal gesinnte FDP-Klientel, für die von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen und Bezieher von niedrigen Löhnen und schlecht bezahlten Arbeiten ohnehin nicht zur "Bürgergesellschaft" gehören und die damit auch keine Teilhabe daran verdient haben. Dann sind es Angehörigen der Mittelschicht, die am meisten zu verlieren haben in einer Gesellschaft, die immer mehr in zwei Hälften - die ganz Armen und die ganz Reichen - auseinanderbriht und die befürchten müssen, auf der Strecke zu bleiben. Es sind die Spießbürger aller Art, diemit Vorliebe auf die herabblicken, die ihrer Meinung nach gesellschaftlich unter ihnen stehen und die sich so gern in markigen Stammtisch-Sprüchen ergehen. Und schließlich sind es all jene Wenig- und Geringverdiener, damit so die Armen aufgehtzt werden gegen die noch Ärmeren.
Mit anderen Worten: Herr Westerwelle greift ganz bewußt gesellschaftliche Ressentiments und Vorurteile auf und macht sie sich zu Nutze. Er spielt mit der Stigmatisierung, die Hartz-IV-Empfänger in diesem Land erfahren und vewendet sie, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Er vergreift sich an den Schwächsten der Gesellschaft, um seine Position wieder zu festigen und um seiner Partei den Sieg bei der Landtagswahl in NRW zu sichern.
So formuliert klingt das schäbig, widerlich, abstoßend. Das ist ein verabscheuungswürdiges Verhalten, und jemand mit gesundem Menschenverstand kann sich nur schwer vorstellen, daß jemand, der bewußt und willentlich derartiges tut, noch ruhig schlafen oder sich zufrieden im Spiegel betrachten kann.
Nur vergißt man bei dieser Beurteilung eines: Herr Westerwelle ist ein Politiker. Folglich heiligt für ihn der Zweck die Mittel. Er muß an seine Wähler, an seine Klientel, denken und für die Politik machen, denn sonst wird er nicht mehr gewählt, und leider Gottes wählen Hartz-IV-Empfänger weder die FDP, wenn sie überhaupt noch wählen, und sie sind bedauerlicherweise auch nicht in der Lage, dieser Partei eine Millionenspende zukommen zu lassen. Wie alle anderen Politiker handelt Guido Westerwelle also nach bestem Wissen und Gewissen, und in unserer Gesellschaft des moralischen Anything-Goes ist Ethik ohnehin Ansichtssache.

Damit wären wir wieder bei den alten Römern.
Vielleicht noch einmal ein paar Worte darüber, warum das mächtige Imperium Romanum zuerst zerfiel und dann zugrunde ging. Der Grund war keinesfalls, daß die Armen des Landes, die Skalven, die Landarbeiter, die Tagelöhner und die Bettler in Saus und Braus lebten. Vielmehr wurde das Reich zerstört von der Dekadenz seiner politischen Kaste, die am Ende nur noch nach der Macht um der Macht willen strebte und nur auf den eigenen Vorteil und den ihrer Günstlinge und Gefolgsleute aus war.
Sic transit gloria mundi.

Ein Blick in die Geschichte lohnt sich doch immer wieder.

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