Samstag, 6. Februar 2010

Eine Frage der Abweichung

Wir Menschen haben viele Bedürfnisse. Zuerst kommen unsere körperlichen Bedürfnisse nach Schlaf, Nahrung, Sexualität und Geborgenheit. Sind diese erfüllt, streben wir danach, unseren Bedürfnissen nach Sicherheit und Ordnung nachzukommen. An dritter Stelle stehen unsere sozialen Bedürfnisse nach Freundschaft, Liebe, Kommunikation und Intimität. Diesen folgt das Bedürfnis nach Anerkennung, Lob, Wohlstand, Einfluß und so weiter.
Sind all diese Bedürfnisse gestillt, ist es noch immer und an oberster Stelle das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, das uns weitertreibt.
Diese Bedürfnishierarchie wurde von Abraham Maslow (1908 - 1970) entwickelt und in den Vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgestellt.
Und wenngleich dieses Modell auch nicht unumstritten ist, so wird doch eines daraus deutlich: Ehe sich der Mensch den höheren Dingen zuwenden kann, braucht er Anerkennung.

Anerkennung erfahren wir durch Lob, Komplimente und nicht zuletzt durch Zustimmung. Deswegen erfahren wir es auch als Ablehnung, wenn andere unsere Einstellung nicht teilen.
Es kann also mitunter eine Frage des Selbstwertschutzes sein, wenn man versucht, andere Einstellungen, Meinungen oder Weltanschauungen zu bekämpfen.
In der Regel verbirgt sich dahinter eine gewisse Unsicherheit bezüglich der eigenenen Einstellungen. Um es deutlicher zu sagen: Wer sich seiner selbst und seiner Überzeugungen sicher ist, der kann mit anders gelagerten Überzeugungen und Meinungen gut und kreativ umgehen. Der kann andere akzeptieren, ohne darin eine Gefährdung seiner Persönlichkeit zu sehen.
Der Mensch, der dazu nicht in der Lage ist, braucht die Bestätigung seiner Einstellung, um sich als Persönlichkeit wahrzunehmen, um seinen Selbstwert zu schützen. Wird er mit einer anderen Einstllung konfrontiert, sieht er darin eine Gefährdung seiner selbst und seiner eigenen Einstellung. Es entsteht in ihm das, was Sozialpsychologen Kognitive Dissonanz nennen. Dies ist ein unangenehmes Gefühl, das es abzustellen gilt. Dazu gibt es mehrere Strategien. Die einfachste ist es, den Träger der anderen Meinung abzuwerten und als minderwertig zu betrachten, so daß seine Einstellung für einen selbst keine Rolle mehr spielt. Das ist mit dem geringsten Aufwand verbunden.

Und noch ein anderes Konzept der Sozialpsychologie möchte ich hier zur Sprache bringen: die Ambiguitätstoleranz (entwickelt von Adorno). Das Maß der Ambiguitätstoleranz gibt an, wie sehr ein Mensch in der Lage ist oder eben nicht in der Lage ist, mit Viel- bzw. Mehrdeutigkeit umzugehen. Das hat auch etwas mit der Vielfalt von Meinungen zu tun. Jemand mit einer hohen Ambiguitätstoleranz hat kein Problem damit, wenn andere Menschen andere Einstellungen haben und ihr Leben auf andere Weise führen. Menschen mit einem niedrigen Wert in dieser Eigenschaft hingegen sehen in jeder Form der Abweichung ihren Einstellungen, Meinungen und Lebensführungen gegenüber eine Gefährdung.
(Adorno hat dies anhand der sogenannten A-Skala gemessen.)

Zeit für ein Fazit:
Wir Menschen sehnen uns nach Anerkennung, und wir erfahren diese Anerkennung auch dadurch, daß wir unsere Meinungen, Einstellungen und Weltanschauungen in anderen Menschen wiederfinden. Das vermittelt uns ein Gefühl der Vertrautheit.
Leider ist es aber nun einmal eine Tatsache, daß wir alle irgendwie doch unterschiedliche Köpfe sind. Wollte man alle Menschen brechen, die in dem einen oder anderen Punkt mit einem selbst nicht überein stimmen, stünde man bald allein da, und das kann es doch auch nicht sein.
Wir müssen uns einfach klar machen, daß die Einstellungen anderer keinen Einfluß auf uns haben. Wir sind wir, und die anderen sind nicht wir. Was wir denken, tun oder glauben, hängt einzig und allein von uns selbst ab, und andere haben da über selbst nur so viel Macht und Einfluß, wie wir ihnen zugestehen.
Das ist dann nämlich auch die Lösung.
Obendrein kann es auch sehr interessant sein, sich mit andersdenkenden Menschen auseinanderzusetzen, denn schließlich ist es nicht nur so, daß Freiheit auch die "Freiheit der Andersdenkenden" (Rosa Luxemburg) ist, Fortschritt und Weiterentwicklung kann es nur durch den Widerstreit geben.

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