Donnerstag, 28. Juni 2012

DAS FREMDE GLÜCK - der Thriller "DAS ALTE KIND" von Zoe Beck


Rezension zu Zoe Beck (2010) „Das alte Kind“
Erschienen bei Bastei Lübbe, Köln, ISBN 978-3-404-16443-1
Preis: 7,99 Euro

Thriller sind Unterhaltungsliteratur, und bei Bastei Lübbe erscheint nur Schund.
Zwei falsche Behauptungen in einem Satz, beide falsifiziert von Zoe Becks Roman und Thriller „Das alte Kind“ aus dem Jahre 2010.

Im Abstand von dreißig Jahren machen zwei Frauen – die erfolgreiche Kunsthändlerin Carla und die Lebenskünstlerin Fiona – die gleiche Erfahrung. Sie werden Opfer einer Straftat, doch niemand will ihnen Glauben schenken.
Carla, erst vor wenigen Wochen Mutter geworden, war wegen einer Wundrose lange in Quarantäne und von ihrer Tochter Felicitas getrennt. Als man ihr das Kind schließlich bringt, erschrickt sie zutiefst. Das ist nicht Felicitas. Die Situation spitzt sich zu, als sich herausstellt, daß das Kind obendrein an Progerie erkrankt ist – einer seltenen genetischen Störung, die den Betroffenen in großer Geschwindigkeit altern lässt. Carla macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter. Aber weil keiner, auch ihr Mann nicht, der sie nur aus Prestige-Gründen geheiratet hat, ihr Glauben schenkt, zerstört diese Suche ihr Leben und ihre Familie.
Fiona wacht eines Nachts mit zerschnittenen Pulsadern in der Badewanne auf. Gerade noch rechtzeitig gelingt es ihr, den Notarzt zu rufen. Sie überlebt, aber weil sie einmal in psychotherapeutischer Behandlung war, unterstellen ihr die Ärzte einen Selbstmordversuch. Keiner glaubt ihr, als sie behauptet, daß jemand einen Mordanschlag auf sie ausgeübt habe. Bis ihre Mitbewohnerin, die sich einen Sport daraus gemacht hat, Fiona zu imitieren, ermordet aufgefunden wird.
Die Schicksale der beiden Frauen sind mit einander verbunden. Sie führen zu einander auf Umwegen zu einander. Jede hat ihr eigenes Rätsel, aber sie haben auch ein gemeinsames, und als es Fiona mit Hilfe eines Freundes löst, brechen Abgründe auf.

Die Themen, die Zoe Beck in ihrem Roman mit einander verwebt, sind vielfältig. Psychische und genetische Erkrankungen, künstliche Befruchtung, Wissenschaftskriminalität, Spionage, familiäre Konflikte – es öffnet sich ein weites Spektrum des menschlichen Lebens.
So lebensnah sind auch die Figuren gezeichnet. Sie sind echt. Sie strahlen – je nachdem – Wärme oder Kälte aus. Als Leser kann man sich ihnen nicht entziehen, ihnen nicht gleichgültig begegnen. Sie haben Substanz. So wie die Geschichte auch. Substanz, ein fester Nährboden.
Dazu ist das Buch in einer sehr schönen, flüssigen und dennoch zeitgemäßen Sprache geschrieben. Zeitgemäß, aber ästhetisch. Wobei die Autorin auf wohltuende Weise allen übermodernen Schnickschnack weggelassen hat – ein Garant dafür, daß man das Buch noch ihn 20 Jahren wird lesen können.
Darüber hinaus ist das Buch Literatur. Die Autorin greift Motive auf, lässt hinein blicken in die Seelen ihre Akteure und gibt dem Leser die Möglichkeit, dazu zu lernen.
So begreift der Leser hoffentlich, daß Carlas Leben nicht zerstört wurde, weil man ihr das Kind stahl, oder weil sie meinte, daß man ihr ein fremdes Kind untergeschoben habe, sondern ihr Leben und sie selbst zerbrachen an der Kälte und Ignoranz ihres Ehemannes und der Gesellschaft, in der sie lebte.
Und das war es auch, was Fiona rettete. Fiona war gerettet in dem Augenblick, als sie einen Menschen traf, der ihr Glauben schenkte, auch wenn die Rettung nicht sofort geschah. Aber der Weg war geebnet.
Beck zeigt auch, was das häufigste Motiv ist, aus dem heraus Menschen Böses tun, bzw. anderen Böses antun: Sie tun es, weil für sie das eigene Leben von größerer Bedeutung ist als das Leben der anderen, weil ihr eigenes Glück ihnen so viel schwerer wiegt als das fremde. So handeln nicht nur die Schurken in dieser Geschichte, sondern so handelt beispielsweise auch Frederik, Carlas Ehemann, als er seine Frau opfert und in einer psychiatrischen Anstalt wegsperren läß, nur um seiner eigenen Karriere zu dienen.

Gute Literatur gibt uns immer etwas mit auf dem Weg. Was Zoe Becks Roman „Das alte Kind“ uns mitgibt, ist dies: Leben werden nicht allein von denen zerstört, die uns übel gesinnt sind und uns Böses antun wollen, sondern vor allem von denen, die uns nahe stehen, die vorgeben, uns zu lieben und uns am Ende die Hilfe verweigern.


Dienstag, 26. Juni 2012

Der Neuschwanstein-Kot Oder: Was dabei herauskommt, wenn man nur mit Wikipedia recherchiert und den Rest dazuphantasiert


Rezension zu Arno Loeb (2012) Der Neuschwanstein-Code
Erschienen bei Unsichtbarverlag, Dietdorf, ISBN 978-3-94920-4
Preis: 12,95 Euro



Wer sich schon einmal mit dem Verlagswesen befasst hat und selbst schreibt, der stellt sich und Verlegern immer wieder einen Frage: Wie muß ein Manuskript sein, damit es veröffentlicht wird.
Man bekommt dann viele kluge und nichtssagende Antworten. Es müsse ansprechend sein, es müsse in die Verlagsphilosphie passen, es müsse gut gemacht sein, gute Sprache, gute handwerkliche Arbeit. Und dann der Spruch: Ein gutes Manuskript wird auch seinen Verlag finden.

Es gibt jetzt eine neue Linie für Normalnull in der Qualität eines Romanmanuskripts. Festgelegt und beinahe sogar noch selbst unterboten hat sie der Autor und Tausendsassa Arno Loeb mit seinem „Roman“ „Der Neuschwanstein-Code“.
Auf fast 400 Seiten entwickelt der Verfasser eine Geschichte, die an Hirnrissigkeit, Zusammenhanglosigkeit und Imbezilität kaum zu überbieten ist.
Das fängt schon bei den Figuren an.
Heldin ist eine Amerikanerin, die auf Schloß Neuschwanstein als Fremdenführerin arbeitet. Leider ist sie mental etwas minderbemittelt, was sich zum Beispiel darin äußert, daß sie kein Englisch kann. So muß sie beispielsweise erst von einer japanischen Manga-Zeichnerin die wahre Bedeutung des Wortes „horny“ erfahren. Außerdem ist sie ein sehr schlichtes Gemüt und nur zu wenig rationalen Überlegungen fähig.
Die Manga-Zeichnerin ist eine von drei Japanern in der Geschichte, die anderen beiden, ihre Bruder und ihr Vater, sind – natürlich, möchte man fast schreien! – Sushi-Koch und Karate-Meister. (Vielleicht hat sie noch einen zweiten Bruder, der Ninja ist und deshalb nicht in der Handlung auftaucht.) Mit dem Karate-Meister fängt die Fremdenführerin dann auch – wieder möchte man „natürlich!“ schreien – etwas an.
Es gibt dann noch einen schrulligen Polizisten und einen kauzigen Erfinder und natürlich jede Menge homosexuelle Randfiguren. Muß ja auch so sein, denn immerhin war Ludwig II. schwul und hatte sonst nicht viel, um eine Persönlichkeit zu entwickeln.
Und es gibt auch einen Schurken, dem eine nordische Walküre zur Seite steht.
Also die Zahl der schwachsinnigen, halbentwickelten Charaktere in diesem Buch ist Legion.

Kurz zur Handlung:
Ludwig der II. habt beim Bau von Neuschwanstein den Schatz der Nibelungen gefunden und unter dem Schloß versteckt. Damit das Versteck geheim bleibt, hat er die Information mit Friedrich Nietzsche und Richard Wagner geteilt. Alle drei hatten den Teil eines Rätsels, das zusammengesetzt die Lage des Schatzes verraten sollte.
Diese Rätselteile tauchen nun wieder auf, und natürlich wollen alle den Schatz haben.
Die Jagd führt durch ganz Europa. Man schändet Cosima Wagners Grab, und als man am Ende in der Schatzhöhle zusammenkommt, ist der ganze Schatz schon weg. Der wahnwitzige Erfinder hat den Schatz auch ohne Rätsel gefunden und ihn benutzt, um seine Forschung voranzutreiben, z.B. um ein U-Boot zu bauen, mit dem er im Starnberger See herumfahren kann.

An dieser Stelle möchte ich einen Absatz aus dem Buch zitieren, um ein Beispiel für die wirre Sprache, in der es abgefasst ist, zu geben:
Sie zog den Tarnmantel, den ihr Bruno umgeworfen hatte, eng an sich. Komischerweise fiel ihr jetzt ein, dass ihr Bruno erklärt hatte, er vermutete, dass dieser Sternenstaub die herumwirbelnden Atome von Materien so anordnete, dass ein menschliches Auge genau durch die Zwischenräume der Atome blickte, wodurch der Unsichtbarkeits-Effekt entstand. Allerdings wirkte der Tarnmantel nur in einem Umkreis von höchstens fünfzig Zentimetern, meistens weniger. Und am besten in Verbindung mit der Körperwärme von Menschen. Das war ein Problem für große und dicke Menschen, hatte Bruno geschildert. Die wurden nicht ganz unsichtbar. Weil der Tarnmantel von allem Seiten wirkte, konnten Menschen  mit einem Durchmesser von einem Meter problemlos unsichtbar werden[1]. Walle schlich sich hinter die Statue des Flöten spielenden Krishna.“ (S. 361)
In dieser Sprache ist das ganze Buch abgefasst. Es ist deshalb sehr schwer zu lesen,

Man merkt: Der Autor will „abgefahren“ schreiben, was immer das bedeuten mag. Deshalb spielt auch eine Gothic-Band eine Rolle, tauchen schwule Mangas auf und hat jeder ein iPhone[2].
„Der Neuschwanstein-Code“ ist kein gutes Buch, um Zeit damit zu verbringen, einfach weil es kein gutes Buch ist.
Nichts an diesem Buch ist interessant. Die Figuren sind blaß, dümmlich und voll von Klischees. Die Handlung ist so wirr, daß ihr noch nicht einmal der Verfasser selbst folgen konnte. Die Sprache ist schlimm. Obendrein ist das Buch sehr schlecht lektoriert, voller Druckfehler und grammatischer Fehler.
Das ist sehr bedauerlich, denn man hätte viel machen können aus der Geschichte. Aber dazu hätte es Gewissenhaftigkeit und einer gewissen Bemühung seitens des Autors bedurft, die dieser leider nicht zu invenstieren bereit war.
Schade.
Eine Chance auf ein spannendes Buch vertan.

Ich rate von der Lektüre ab.

http://shop.unsichtbar-verlag.de/product_info.php?products_id=28




[1] Anmerkung: Nur um mal die Rechnung nachzuvollziehen… Ein Mensch mit einem Durchmesser von einem Meter hat einen Umfang von über drei Metern. Also „dick“ muß da schon „seeeeehr dick“ sein. Interessant wäre allerdings, was man sehen würde, wenn so ein Mensch den oben beschriebenen Tarnmantel trüge. Vermutlich seine Innereien. Also, wenn Ihnen mal ein einsamer Verdauungstrakt entgegen kommt, dann ist das vermutlich ein sehr, sehr dicker Mensch mit Tarnmantel.
[2] Hoffentlich bekommt Herr Loeb dafür einen kleinen Bonus von Apple.