Rezension zu Zoe Beck (2010) „Das alte Kind“
Erschienen bei Bastei Lübbe, Köln, ISBN 978-3-404-16443-1
Preis: 7,99 Euro
Thriller sind Unterhaltungsliteratur, und bei Bastei Lübbe
erscheint nur Schund.
Zwei falsche Behauptungen in einem Satz, beide falsifiziert
von Zoe Becks Roman und Thriller „Das alte Kind“ aus dem Jahre 2010.
Im Abstand von dreißig Jahren machen zwei Frauen – die
erfolgreiche Kunsthändlerin Carla und die Lebenskünstlerin Fiona – die gleiche
Erfahrung. Sie werden Opfer einer Straftat, doch niemand will ihnen Glauben
schenken.
Carla, erst vor wenigen Wochen Mutter geworden, war wegen
einer Wundrose lange in Quarantäne und von ihrer Tochter Felicitas getrennt.
Als man ihr das Kind schließlich bringt, erschrickt sie zutiefst. Das ist nicht
Felicitas. Die Situation spitzt sich zu, als sich herausstellt, daß das Kind
obendrein an Progerie erkrankt ist – einer seltenen genetischen Störung, die
den Betroffenen in großer Geschwindigkeit altern lässt. Carla macht sich auf
die Suche nach ihrer Tochter. Aber weil keiner, auch ihr Mann nicht, der sie
nur aus Prestige-Gründen geheiratet hat, ihr Glauben schenkt, zerstört diese
Suche ihr Leben und ihre Familie.
Fiona wacht eines Nachts mit zerschnittenen Pulsadern in der
Badewanne auf. Gerade noch rechtzeitig gelingt es ihr, den Notarzt zu rufen.
Sie überlebt, aber weil sie einmal in psychotherapeutischer Behandlung war,
unterstellen ihr die Ärzte einen Selbstmordversuch. Keiner glaubt ihr, als sie
behauptet, daß jemand einen Mordanschlag auf sie ausgeübt habe. Bis ihre
Mitbewohnerin, die sich einen Sport daraus gemacht hat, Fiona zu imitieren,
ermordet aufgefunden wird.
Die Schicksale der beiden Frauen sind mit einander
verbunden. Sie führen zu einander auf Umwegen zu einander. Jede hat ihr eigenes
Rätsel, aber sie haben auch ein gemeinsames, und als es Fiona mit Hilfe eines
Freundes löst, brechen Abgründe auf.
Die Themen, die Zoe Beck in ihrem Roman mit einander
verwebt, sind vielfältig. Psychische und genetische Erkrankungen, künstliche
Befruchtung, Wissenschaftskriminalität, Spionage, familiäre Konflikte – es
öffnet sich ein weites Spektrum des menschlichen Lebens.
So lebensnah sind auch die Figuren gezeichnet. Sie sind
echt. Sie strahlen – je nachdem – Wärme oder Kälte aus. Als Leser kann man sich
ihnen nicht entziehen, ihnen nicht gleichgültig begegnen. Sie haben Substanz.
So wie die Geschichte auch. Substanz, ein fester Nährboden.
Dazu ist das Buch in einer sehr schönen, flüssigen und
dennoch zeitgemäßen Sprache geschrieben. Zeitgemäß, aber ästhetisch. Wobei die
Autorin auf wohltuende Weise allen übermodernen Schnickschnack weggelassen hat
– ein Garant dafür, daß man das Buch noch ihn 20 Jahren wird lesen können.
Darüber hinaus ist das Buch Literatur. Die Autorin greift
Motive auf, lässt hinein blicken in die Seelen ihre Akteure und gibt dem Leser
die Möglichkeit, dazu zu lernen.
So begreift der Leser hoffentlich, daß Carlas Leben nicht
zerstört wurde, weil man ihr das Kind stahl, oder weil sie meinte, daß man ihr
ein fremdes Kind untergeschoben habe, sondern ihr Leben und sie selbst
zerbrachen an der Kälte und Ignoranz ihres Ehemannes und der Gesellschaft, in
der sie lebte.
Und das war es auch, was Fiona rettete. Fiona war gerettet
in dem Augenblick, als sie einen Menschen traf, der ihr Glauben schenkte, auch
wenn die Rettung nicht sofort geschah. Aber der Weg war geebnet.
Beck zeigt auch, was das häufigste Motiv ist, aus dem heraus
Menschen Böses tun, bzw. anderen Böses antun: Sie tun es, weil für sie das
eigene Leben von größerer Bedeutung ist als das Leben der anderen, weil ihr
eigenes Glück ihnen so viel schwerer wiegt als das fremde. So handeln nicht nur
die Schurken in dieser Geschichte, sondern so handelt beispielsweise auch
Frederik, Carlas Ehemann, als er seine Frau opfert und in einer psychiatrischen
Anstalt wegsperren läß, nur um seiner eigenen Karriere zu dienen.
Gute Literatur gibt uns immer etwas mit auf dem Weg. Was Zoe
Becks Roman „Das alte Kind“ uns mitgibt, ist dies: Leben werden nicht allein
von denen zerstört, die uns übel gesinnt sind und uns Böses antun wollen,
sondern vor allem von denen, die uns nahe stehen, die vorgeben, uns zu lieben
und uns am Ende die Hilfe verweigern.
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