Montag, 7. Mai 2012

DIE NACHT IST NICHT ALLEIN ZUM BRANDSCHATZEN DA

Rezension




Günter Krieger (2012) „Gertrudisnacht“, erschienen im Dryas Verlag Frankfurt/Main
ISBN 978-3-949855-27-5
Preis 13,80 Euro

In der Nacht vom 16. zum 17. März des Jahres 1278 fiel der Graf Wilhelm von Jühlich (1210 – 1278) in Begleitung seiner beiden Söhne in Aachen ein, um in der Stadt für den deutschen König Rudolf I. von Habsburg (1218 – 1291) fällige Steuern einzutreiben. Die Stadt aber leistete Wiederstand und trieb den Grafen und seine Gefolgschaft hinaus. Dabei wurden der Graf und seine Söhne erschlagen – entweder von dem durch eine Sage berühmt gewordenen wehrhaften Schmied oder durch mehrere Metzger. So genau weiß man das nicht mehr.
Dieses Ereignis ist nicht mehr als eine Fußnote der Geschichte, dennoch wählte es der Autor Günter Krieger als Vorlage für seinen historischen Roman „Gertrudisnacht“.

Günter Krieger, Jahrgang 1965 und gebürtig aus Langerwehe stammend, ist Verfasser zahlreicher historischer Romane und Mitherausgeber von einer Handvoll Jugendbücher. Mit diesem Wissen im Hinterkopf überrascht es einem umso mehr, daß sein Roman „Gertrudisnacht“ so vollkommen mißlungen ist.

Die Gertrudisnacht selbst, also der Versuch des Grafen von Jühlich, Aachen zu plündern, spielt nur eine Nebenrolle in diesem Buch. Erst auf den letzten 50 Seiten ist man endlich in Aachen angekommen. Man – das sind in diesem Falle eine ganze Handvoll Leute, die auf mehr oder weniger verschlungenen Pfaden ihren Weg in die freie Reichsstatt finden. Und diese Leute sind ganz unterschiedlicher Herkunft.
Da wäre zum Beispiel Rupert, der umtriebige und triebgesteuerte Reliquienhändler, der der Inquisition in die Hände fällt, weil er Schweineborst als Barthaare des Teufels verkaufen wollte. Er hangelt sich von Stadt zu Stadt und von Bett zu Bett, und am Ende wird er natürlich gerettet und findet seine große Liebe.
Ruperts große Liebe – das ist Irma. Irma hat auch so einiges durch. Zuerst muß sie erleben, wie bei einer Brandschatzung ihr erster Liebhaber vor ihren Augen erschlagen wird. Sie kann fliehen, findet einige Tage in einem Kloster Unterschlupf. Als sie weiter wandert, natürlich will sie nach Aachen, fällt sie unter die Räuber und verliebt sich in Armin, einen der Wegelagerer. Wie es das Schicksal so will, wird auch Armin vor ihren Augen erschlagen. Doch das ist am Ende gar nicht mehr so tragisch, denn Rupert ist ja Armins Zwillingsbruder, und der – so hofft der mitfühlende Leser – darf hoffentlich noch ein paar Jahre leben.
Und dann ist da noch Bernhardt, ein Novize, der wegen zwanghafter Onanie aus dem Kloster geworfen wurde. Aber Bernhardt lernt, sich zu beherrschen und immer genau dann nicht zu Stelle zu sein, wenn er gebraucht wird.

Überhaupt geht es in dem Buch ganz gut zur Sache. Jeder ist ständig irgendwie mit der körperlichen Liebe befasst: sei es nun allein (Mönch Bernhardt) oder im Schweinestall (Mönch Bernhardt) oder mit der Tochter des Metzgers (Rupert) oder der Tochter des Rabbis (Rupert) oder der Tochter des Apothekers (Rupert) oder mit Irma (diverse Soldaten, Mönch Bernhardt, Rupert) oder mit Rupert (Irma, Tochter des Apothekers, Tochter des Rabbis, möglicherweise auch Mönch Bernhardt). So wundert man sich, daß die Handlung überhaupt irgendwie voran geht.
Aber wie gesagt: Handlung ist nicht viel. Nur irgendwelche zufälligen Ereignisse wurden von Autor so zusammengestrickt, das am Ende alles in Aachen zusammenläuft.

Dabei legt der Autor eine bemerkenswerte Blindheit gegenüber den Mechanismen des menschlichen Seelenlebens an den Tag. Oder er hat all seine Figuren als Borderliner angelegt.

Das Buch liest sich sehr mühsam. Die Sprache will altertümlich sein, aber es gelingt ihr nicht. Immer wieder bricht ein plattes Alltagsdeutsch durch und zerstört den letzten Rest von Ästhetik, den das Buch vielleicht noch hätte haben können.
Nun, man könnte über das Buch herzlich lachen, wenn seine Verfehlungen nicht so ernste Folgen hätten. Es wird nämlich hier Geschichte verfälscht dargestellt und ein völlig verfehltes Bild des Mittelalters geliefert. Ein Bild, wie es selbst für Mittelaltermärkte nicht zu ertragen wäre.

Daß es mit dem Buch nicht weit her sein kann, verrät schon das Titelbild. Da sitzt eine schlecht geschminkte, blonde Dorfschranze da in einem Kleid, das mittelalterlich sein soll und ihr mindestens drei Nummern zu groß ist, und schaut lustlos und fast schon ein wenig angewidert in dem Leser entgegen.
Nein, das ist kein gutes Buch. Es ist noch nicht einmal eine unterhaltsame Lektüre. Es ist ein Buch, das sich dahinschleppt wie ein endloses Vorspiel, und der Höhepunkt bleibt aus. Trotz all der sexuellen Eskapaden, in denen sich die Protagonisten ergehen – am Ende ist es nur ein Coitus Interruptus[1].
Und der wehrhafte Schmied, der ja angeblich so eine große Rolle in jener blutigen Nacht spielte, er ist nur ein Schatten. Er hätte einer der Protagonisten sein müssen. Und sei es auch nur als eine Gruppe von Metzgern.
Der Autor hat versagt. Er hat sein Ziel nicht erreicht. Der Leser erfährt nichts über diese Gertrudisnacht. Er erfährt auch nicht, warum das so ein besonderes Ereignis hätte sein können. Und es wird ihm noch nicht einmal das Vergnügen gegönnt, sich selbst bei der Lektüre in die Welt des Mittelalters hineinzuversetzen.

Es verwundert doch sehr, daß ein Verlag ein solches Buch tatsächlich publiziert. Ebenso verwundert es, daß es sogar in der Reihe Edition Quo Vadis erschienen ist. Der Autorenkreis Quo Vadis hat sich die Förderung des Historischen Romanes auf die Fahnen geschrieben. Warum er diesen Roman förderungswürdig erachtete, läßt sich allerdings schwer nachvollziehen.

Auf der Rückseite des Buches ist zu lesen, daß 50 Cent von jedem verkauften Buch als Spende an den Verein zur Restaurierung des Aachener Domes fließen:
Vorschlag der Rezensentin: Spenden Sie dem Aachener Verein lieber 5 Euro und geben Sie den Rest für einen schönen Roman von Robert Schneider oder Viola Alvarez aus.


Der Verlag: http://www.dryas.de/ 


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[1] Die Rezensentin entschuldigt sich für die genitalen Vergleiche, aber sie nimmt damit nur den Duktus des Buches auf.