Günter Krieger (2012) „Gertrudisnacht“, erschienen im Dryas
Verlag Frankfurt/Main
ISBN 978-3-949855-27-5
Preis 13,80 Euro
In der Nacht vom 16. zum 17. März des Jahres 1278 fiel der
Graf Wilhelm von Jühlich (1210 – 1278) in Begleitung seiner beiden Söhne in
Aachen ein, um in der Stadt für den deutschen König Rudolf I. von Habsburg
(1218 – 1291) fällige Steuern einzutreiben. Die Stadt aber leistete Wiederstand
und trieb den Grafen und seine Gefolgschaft hinaus. Dabei wurden der Graf und
seine Söhne erschlagen – entweder von dem durch eine Sage berühmt gewordenen
wehrhaften Schmied oder durch mehrere Metzger. So genau weiß man das nicht
mehr.
Dieses Ereignis ist nicht mehr als eine Fußnote der
Geschichte, dennoch wählte es der Autor Günter Krieger als Vorlage für seinen
historischen Roman „Gertrudisnacht“.
Günter Krieger, Jahrgang 1965 und gebürtig aus Langerwehe
stammend, ist Verfasser zahlreicher historischer Romane und Mitherausgeber von
einer Handvoll Jugendbücher. Mit diesem Wissen im Hinterkopf überrascht es
einem umso mehr, daß sein Roman „Gertrudisnacht“ so vollkommen mißlungen ist.
Die Gertrudisnacht selbst, also der Versuch des Grafen von
Jühlich, Aachen zu plündern, spielt nur eine Nebenrolle in diesem Buch. Erst
auf den letzten 50 Seiten ist man endlich in Aachen angekommen. Man – das sind
in diesem Falle eine ganze Handvoll Leute, die auf mehr oder weniger
verschlungenen Pfaden ihren Weg in die freie Reichsstatt finden. Und diese
Leute sind ganz unterschiedlicher Herkunft.
Da wäre zum Beispiel Rupert, der umtriebige und
triebgesteuerte Reliquienhändler, der der Inquisition in die Hände fällt, weil
er Schweineborst als Barthaare des Teufels verkaufen wollte. Er hangelt sich
von Stadt zu Stadt und von Bett zu Bett, und am Ende wird er natürlich gerettet
und findet seine große Liebe.
Ruperts große Liebe – das ist Irma. Irma hat auch so einiges
durch. Zuerst muß sie erleben, wie bei einer Brandschatzung ihr erster
Liebhaber vor ihren Augen erschlagen wird. Sie kann fliehen, findet einige Tage
in einem Kloster Unterschlupf. Als sie weiter wandert, natürlich will sie nach
Aachen, fällt sie unter die Räuber und verliebt sich in Armin, einen der
Wegelagerer. Wie es das Schicksal so will, wird auch Armin vor ihren Augen
erschlagen. Doch das ist am Ende gar nicht mehr so tragisch, denn Rupert ist ja
Armins Zwillingsbruder, und der – so hofft der mitfühlende Leser – darf
hoffentlich noch ein paar Jahre leben.
Und dann ist da noch Bernhardt, ein Novize, der wegen
zwanghafter Onanie aus dem Kloster geworfen wurde. Aber Bernhardt lernt, sich
zu beherrschen und immer genau dann nicht zu Stelle zu sein, wenn er gebraucht
wird.
Überhaupt geht es in dem Buch ganz gut zur Sache. Jeder ist
ständig irgendwie mit der körperlichen Liebe befasst: sei es nun allein (Mönch
Bernhardt) oder im Schweinestall (Mönch Bernhardt) oder mit der Tochter des
Metzgers (Rupert) oder der Tochter des Rabbis (Rupert) oder der Tochter des
Apothekers (Rupert) oder mit Irma (diverse Soldaten, Mönch Bernhardt, Rupert)
oder mit Rupert (Irma, Tochter des Apothekers, Tochter des Rabbis,
möglicherweise auch Mönch Bernhardt). So wundert man sich, daß die Handlung
überhaupt irgendwie voran geht.
Aber wie gesagt: Handlung ist nicht viel. Nur irgendwelche
zufälligen Ereignisse wurden von Autor so zusammengestrickt, das am Ende alles
in Aachen zusammenläuft.
Dabei legt der Autor eine bemerkenswerte Blindheit gegenüber
den Mechanismen des menschlichen Seelenlebens an den Tag. Oder er hat all seine
Figuren als Borderliner angelegt.
Das Buch liest sich sehr mühsam. Die Sprache will
altertümlich sein, aber es gelingt ihr nicht. Immer wieder bricht ein plattes
Alltagsdeutsch durch und zerstört den letzten Rest von Ästhetik, den das Buch
vielleicht noch hätte haben können.
Nun, man könnte über das Buch herzlich lachen, wenn seine
Verfehlungen nicht so ernste Folgen hätten. Es wird nämlich hier Geschichte
verfälscht dargestellt und ein völlig verfehltes Bild des Mittelalters
geliefert. Ein Bild, wie es selbst für Mittelaltermärkte nicht zu ertragen
wäre.
Daß es mit dem Buch nicht weit her sein kann, verrät schon
das Titelbild. Da sitzt eine schlecht geschminkte, blonde Dorfschranze da in
einem Kleid, das mittelalterlich sein soll und ihr mindestens drei Nummern zu
groß ist, und schaut lustlos und fast schon ein wenig angewidert in dem Leser
entgegen.
Nein, das ist kein gutes Buch. Es ist noch nicht einmal eine
unterhaltsame Lektüre. Es ist ein Buch, das sich dahinschleppt wie ein endloses
Vorspiel, und der Höhepunkt bleibt aus. Trotz all der sexuellen Eskapaden, in
denen sich die Protagonisten ergehen – am Ende ist es nur ein Coitus
Interruptus[1].
Und der wehrhafte Schmied, der ja angeblich so eine große
Rolle in jener blutigen Nacht spielte, er ist nur ein Schatten. Er hätte einer
der Protagonisten sein müssen. Und sei es auch nur als eine Gruppe von
Metzgern.
Der Autor hat versagt. Er hat sein Ziel nicht erreicht. Der
Leser erfährt nichts über diese Gertrudisnacht. Er erfährt auch nicht, warum
das so ein besonderes Ereignis hätte sein können. Und es wird ihm noch nicht
einmal das Vergnügen gegönnt, sich selbst bei der Lektüre in die Welt des
Mittelalters hineinzuversetzen.
Es verwundert doch sehr, daß ein Verlag ein solches Buch
tatsächlich publiziert. Ebenso verwundert es, daß es sogar in der Reihe Edition
Quo Vadis erschienen ist. Der Autorenkreis Quo Vadis hat sich die Förderung des
Historischen Romanes auf die Fahnen geschrieben. Warum er diesen Roman
förderungswürdig erachtete, läßt sich allerdings schwer nachvollziehen.
Auf der Rückseite des Buches ist zu lesen, daß 50 Cent von
jedem verkauften Buch als Spende an den Verein zur Restaurierung des Aachener
Domes fließen:
Vorschlag der Rezensentin: Spenden Sie dem Aachener Verein lieber 5 Euro und geben Sie den Rest für einen schönen Roman von Robert Schneider oder Viola Alvarez aus.
Vorschlag der Rezensentin: Spenden Sie dem Aachener Verein lieber 5 Euro und geben Sie den Rest für einen schönen Roman von Robert Schneider oder Viola Alvarez aus.
Der Verlag: http://www.dryas.de/
Das Buch: http://www.dryas.de/gertrudisnacht/
Blogg dein Buch: http://www.bloggdeinbuch.de/
[1] Die
Rezensentin entschuldigt sich für die genitalen Vergleiche, aber sie nimmt
damit nur den Duktus des Buches auf.