Mittwoch, 26. September 2012

DIE MASKIERTE LADY

[Anmerkung: Nur ein gelegentliches Stück, einzig zum Zweck der Unterhaltung geschrieben. Sherlock-Holmes-Fans könnten eventuell ins Schmunzeln kommen. Ilka Lohmann]


Ich geb es ehrlich zu, mir fehlt zum Schreiben die Geduld, obwohl ich sehr ausdauernd sein kann. Heute allerdings muß ich zur Feder greifen, denn es ist nicht zu erwarten, daß mein alter Freund Dr. Watson selbst den Stift in die Hand nimmt, um diese denkwürdige Begebenheit niederzuschreiben.
Nun, dann will ich beginnen.
Ich hatte einige Wochen auf dem Lande verbracht, um meine Gesundheit zu befördern und war guter Dinge in die Bakerstreet zurückgekehrt. Doch schon in der Tür fiel mir auf, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte.
Etwas stimmte nicht, und wie ich rasch beobachtete, war es Watson. Er beachtete mich kaum, als ich unser Zimmer betrat, sondern saß in einer dumpf brütenden Stimmung, die ich an ihm nicht kannte, auf dem Sofa – den Blick starr auf das Fenster gerichtet.
Als ich seine Schulter antippte, fuhr er zusammen.
Ah, Holmes“, erwiderte er trübselig, „Sie sind wieder da.“
Allerdings“, sagte ich und setzte mich zu ihm. Seine Apathie mir gegenüber verärgerte mich. „Aber Sie sind es offensichtlich nicht ganz. Was ist denn das für eine Begrüßung.“
Jaja, schön, das Sie wieder da sind. Ich hab Sie vermißt wie nur etwas“, gab er mir lustlos zur Antwort.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich zurück. „Also gut, Watson, was ist los? Wollen Sie mir antworten oder muß ich die Kunst der Deduktion an Ihnen ausüben?“
Bloß nicht“, antwortete Watson, und begann seine Geschichte zu erzählen.
Es stellte sich heraus, daß Watson während meiner Abwesenheit einen Maskenball besucht hatte. Nur der Himmel weiß, wie er auf diese Idee gekommen ist. Jedenfalls hat er da eine Frau kennengelernt und sich prompt verliebt. Der arme, treuherzige, rührselige Watson. (Ich lache, während ich dies schreibe.) Nun plagte ihn großer Schmerz, denn er wußte rein gar nichts von ihr, kannte weder ihren Namen, noch ihr Gesicht, da sie eine Maske trug, und also wußte er nicht, wie er sie wiederfinden sollte. Zumal er auch nicht ein Wort mit ihr gewechselt hatte.
Ich schlug mit gespielter Entrüstung die Hände über dem Kopf zusammen. „Watson, wenn Sie nicht wissen, wie die Dame aussieht und noch nicht einmal mit ihr gesprochen haben, wie kommen Sie dann darauf, daß Sie verliebt sind?“
Liebe ist eine Energie“, gab Watson zur Antwort. „Sie fragt nicht nach, sie trifft einen. Aber davon verstehen Sie nichts.“
Gewiß“, entgegnete ich. „Vielleicht haben Sie sich ja in das Kleid der Dame verliebt.“
Watson warf mir einen zornigen Blick zu.
Na gut, na gut“, sagte ich, bereit, um des lieben Friedens willen einzulenken. „Dann wollen wir doch mal sehen, wie wir Ihre Herzdame finden können. Wer hat den Ball veranstaltet?“
Der Duke of Holderness.“
Soso.“ Der Duke war mir bekannt. „Dann sollten wir uns an ihn wenden und ihn um die Gästeliste bitten.“
Als ich das sagte, ging ein Leuchten über Watsons Gesicht, und mein Freund grinste sehr einfältig.
Ich machte mich dann also auf den Weg. Der Duke of Holderness war sehr kooperativ, und als er von meinem Anliegen erfuhr, gab er mir alle Unterstützung, die ich brauchte. So hatte ich bald die Identität der fremden Dame herausgefunden, und ich hatte auch gleich, um Nägel mit Köpfen zu machen, ein Rendevouz zwischen Watson und ihr arrangiert. Die beiden sollten sich am Samstagabend im Cafè Royal treffen.
Weil mein Freund so nervös war, begleitete ich ihn zu dem Treffen. Er hatte mindestens einen Zentner Gel in seine Haare geschmiert, und sich dermaßen mit Parfum eingesprüht, daß selbst ein Stinktier davongelaufen wäre.
Am Eingang des Restaurants verabschiedete er sich von mir. „Sitzt auch alles?“, fragte er und zupfte nervös an seiner Krawatte.
Ja doch“, sagte ich und wischte noch ein Stäubchen von dem Kragen seines Jacketts.
Dann betrat Watson das Restaurant. Ich wartete vor der Tür. Zu gern hätte ich ihn begleitet, denn ich wußte, was für eine Überraschung dort seiner harrte.
Es dauerte auch nicht lange, da kam Watson wieder heraus. Nun, er kam nicht. Er rannte. Er preschte mir entgegen mit der Energie einer mittleren Dampfmaschine. Er prallte mit mir, der ich noch an der Tür stand, zusammen. Und danach wurde es dunkel.
Als ich wieder aufwachte, lag ich im London Brigde Hospital. Watson saß an meinem Bett und machte sich schwere Vorwürfe. Immer wieder beteuerte er, wie leid es ihm tat, daß er mich umgestoßen und mich dann die Kutsche beinahe überfahren hatte.
Nicht der Rede wert“, sagte ich. „Immerhin lebe ich noch. Und Sie waren auch ein wenig außer sich.“
Allerdings“, meinte Watson und senkte betrübt den Kopf. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß die Dame der Sohn des Dukes in einem Kleid seiner Mutter war?“
Ich seufzte. In der Tat war es mir nicht in den Sinn gekommen, meinem Freund einfach die Wahrheit über seine Angebetete zu sagen. So erwiderte ich einfach: „Watson, weil ich ein schlechter Mensch bin.“