Montag, 31. August 2009

Abschied vom alten Haus

Zum letzten Mal gehe ich durch das leere Haus. Die Möbel sind schon längst beiseite geschafft. Dick liegt der Staub auf dem Boden, und Spinnweben verdunkeln die Fenster.
Der alte Mann sitzt auf dem letzten verbliebenen Lehnstuhl. Er wendet den Blick ab, als ich zu ihm trete. Hier habe er gelebt, hier werde er sterben, sagt er; und ich verstehe. Schweigend lege ich meine Hand auf seine Schulter, dann verlasse ich das Zimmer.
Ein Rascheln ist aus den anderen Räumen zu vernehmen. Ratten und anderes ekles Getier – alle haben sich prächtig eingenistet, und ich bin froh, daß ich hier nicht bleiben muß, aber ich bedauere sie, weil sie keine andere Wohnstätte haben, indessen ich an den Pforten der Welt mit weit ausgestreckten Armen zum Himmel aufblicken kann.
Ich gehe hinaus und schließe zum letzten Mal hinter mir die Tür zu. Der Schlüssel wiegt schwer in meiner Hand, doch ich stecke ihn zurück in meine Tasche. Mag er noch eine Weile bei mir bleiben. Er wird mir Erinnerung sein, bis die Bilder verblaßt sind.
Über die Stadt ist die Dämmerung gezogen. Ein Schwarm aus Graugänsen fliegt dem Norden entgegen, und ich schlage die andere Richtung ein.
Bald liegt die Straße hinter mir. Einmal noch, ehe ich um die Ecke biege, wende ich mich um. Tot ist das Haus seit Jahren. Die Zeit wird es begraben, und alles wird gut sein.
Ein Lied kommt mir in den Sinn und ich singe es leise vor mich hin, während meine Schritte über den Asphalt hallen. Schon habe ich den Ort vergessen, an dem das Haus stand. Es war doch nur eine leblose Ruine. Bald werde ich auch die Straße vergessen haben, und dann wird auch kein zukünftig zufälliger Weg mich hier vorüberführen.
Ich sehe die Lichter in den anderen Häusern brennen. Dort leben Menschen.
Ich gehe weiter, bis es Nacht wird und ich die Stadt hinter mir zurückgelassen habe. Tausend Sterne und tausend fremde Städte liegen vor mir.
Ich gehe. Ich singe, und ich danke dem Herrn, der alles so treulich gefügt hat.

2 Kommentare:

  1. Liebe Ilka,

    ein feines kleines Stück Prosa, habs gern gelesen.

    Lieben Gruß
    ELsa

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  2. Herzlichen Dank, liebe ELsa!

    Liebe Grüße,
    Ilka

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