Wohnt man als Thüringer Katholik nicht gerade im Eichsfeld, hat man es nicht leicht, seinen Glauben zu leben. Die Gemeinden sind klein, die Arbeitspläne der Pfarrer sind übervoll und weit ist der Weg bis zur nächsten Kirche. Das ist das Leben in der Diaspora. Die Folgen des Augsburger Religionsfriedens sind eben noch immer deutlich spürbar - auch im 21. Jahrhundert.
Wie es allerdings scheint, droht den evangelischen Gläubigen bald ein ähnliches Schicksal. Ilse Junkermann, die neue Landesbischöfin, will ihre Kirche ökonomisieren, und sie geht dabei recht radikale Wege. So plant sie, Gottesdienste nur noch ab einer "Mindestzahl von zehn Gläubigen" feiern zu lassen (Thüringer Allgemeine vom 28. November, Seiten 1 und 3). Diese Zahl habe sie der jüdischen Tradition entnommen.
In der jüdischen Tradition ist eine Gemeinde erst dann vollzählig, wenn sie aus zehn Männern besteht. Frauen und Kinder zählen dabei nicht mit. Man nennt das einen Minian. Bestimmte kultische Handlungen verlangen diesen Minian - beispielsweise die Feier der Jahrzeit (der erste Todestag) oder der Bar Mizwa.
Schön und gut, wenn sich Frau Junkermann auf die jüdische Tradition beruft. Aber warum zehn Gläubige? Warum nicht zwölf - entsprechend der Anzahl der Apostel? Letzteres natürlich exlusive des Priesters bzw. der Priesterin.
Oder warum sich nicht auf die "heidnischen Wurzeln" besinnen und neun Gläubige vorziehen. Neun war im Glauben der Kelten und der Germanen die Zahl der guten Gemeinschaft.
Oder warum nicht sieben Gläubige? Wie die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sieben Hauptsünden oder die Sieben Freuden Mariae?
Frau Junkermann führt weiterhin aus, daß es zwar immer möglich sei, Andachten abzuhalten, jedoch "für einen fröhlichen Gottesdienst in der Gemeinde soll es immer eine Mindestanzahl geben." (TA, 28. 11. 2009, S. 3)
Gottesdienst aber ist weder eine Frage der Anzahl der Anwesenden, noch der Fröhlichkeit. Im Mittelpunkt sollte das Wort Gottes stehen, und vielleicht könnte sich die Evangelische Kirche auch auf das Beispiel des Heiligen Franziskus besinnen, der den Vögeln predigte.
Seltsam nimmt sich aus, wie sich die Evangelische Kirche in dieser Frage von ihren eigenen Wurzeln entfernt. Das Kirchenschisma begann, weil die Anhänger Luthers und vieler anderer Prostestanten vor ihm - wie Calvin oder Zwingli - die Bibel nach ihrem Wort auslegen und ausleben wollten. Sie wollten die Bibel wörtlich nehmen und getreu dem Vorbild Jesu Christi leben.
(Anmerkung: Doch ganz so bibeltreu war auch Luther nicht, der gleich zu Anfang den Jakobusbrief zur "strohenen Epistel" erklärte und die beiden Makabäerbücher aus dem Alten Thestament verbannte.)
Die Bibel, in ihrer wörtlichsten Prägung, nimmt zu der Frage, ab wieviel anwesenden Gemeindegliedern ein Gottesdienst gefeiert werden soll, eindeutig Stellung. Matthäus, 18, 19/20: "Alles, was zwei von euch auf Erden erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." (Die Heilige Schrift - Einheitsübersetzung)
Ich erinnere mich an meine Jugend, in der ich selbst sehr aktiv in der Evangelischen Kirche tätig war. Der Gottesdienst in unserem Dorf fand im vierzehntägigen Intervall statt, und zehn Gläubige waren, so weit ich mich erinnere, niemals anwesend - außer zu Weihnachten, zur Kirmes und zu Ostern.
Einmal geschah es, daß ich als einziges Kind zur Christenlehre erschien. Die Diakonin wollte mich wieder nach Hause schicken und die Stunde ausfallen lassen. Aber mit obigem Bibelzitat konnte ich sie dazu überreden, die Stunde doch abzuhalten. Und was soll ich sagen: Von all den Christenlehrestunden meiner Jugend ist das die eine, an die ich mich am lebhaftesten erinnere. Vielleicht auch deshalb, weil wir nicht nur zu zweit waren.
Es ist Frau Junkermann zu Ohren gekommen, daß ihr Vorschlag zu einem "mittleren Erdbeben" (sic) in den Gemeinden geführt hat.
Aber was auch geschieht: Gerade in Zeiten wie diesen muß sich die Evangelische Kirche auf ihre Wurzeln besinnen, wenn sie sich nicht verlieren will in der ethischen und religiösen Beliebigkeit der Gegenwart.
Wenn man sich darüber beklagt, daß den Gemeinden die Gläubigen davonlaufen, ist es der falsche Weg, deshalb die gottesdientliche Gemeinschaft beschränken zu wollen und immer weniger Pastoren immer mehr Gemeinden anzutragen. Es ist auch der falsche Weg, die kirchlichen Ansprechstellen zu zentralisieren.
Richtig wäre es, gerade jetzt Gesicht zu zeigen und präsent zu sein, teil zu haben am gemeinschaftlichen Leben der Menschen. Kirche muß immer ein Ort der Zuflucht sein, und sie muß da sein, wo die Menschen sind - egal, wie viele.
"Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Thätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt." So schrieben Marx und Engel schon anno 1848 im "Manifest der Kommunistischen Partei.
Vielleicht ist es ja nicht so, daß die Gläubigen den Gemeinden davonlaufen, sondern daß es vielmehr die kirchliche Obrigkeitist, die sich von den Gläubigen entfernt.
Literatur:
"Einander Mitmenschen sein - Im TA-Redaktionsgespräch: Ilse Junkermann, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche", Thüringer Allgemeine vom 28. November 2009, Seite 3
"Die Heilige Schrift - Einheitsübersetzung" (1981), Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH Stuttgart
Schade, mein Kommentar ist abgestürzt. Also kurz noch einmal: Jeder will seine Kirche vor der eigenen Haustür und geht doch nicht hin. Ein Weg ohne Kirchenschließungen sah ich in Holland: Gottesdienst in den Dörfern reihum einmal im Monat. Die Kirchen werden erhalten, müssen aber baulich vor Ort ehrenamtlich gepflegt werden. Dazu gibt es viele Beispiele, wozu örtliche Handwerker bereit sind. Dann können dort auch andere Veranstaltungen stattfinden, wie kleine Konzerte und Ausstellungen oder Kinderbibeltage.
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