von Ilka Lohmann
Rezension zu:
„ENDTAG: Wenn jeder weiß, wann er stirbt – Ein Szenario“ von
Ivo W. Greiter
erschienen bei TYROLIA-VERLAG
Innsbruck, Wien, 2012
ISBN: 978-3-7022-3204-7, Preis 17,95
Euro
„Der Tod ist gewiss, ungewiss seine
Stunde“, weiß der Volksmund zu berichten. Der Tod ist es, der dem
Leben Sinn gibt. Weil aber keiner von uns weiß, wann es soweit ist,
hängt er wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.
Wie wäre es nun, wenn wir wüßten,
WANN wir sterben? Würde das dem Tod seinen Schrecken nehmen?
Ja, meint Ivo W. Greiter in seinem Buch
– er nennt es ein Szenario - „Endtag“. Es beginnt ein wenig wie
Science Fiction. Die Wissenschaft hat herausgefunden, wie man –
mittels eines einfachen Bluttests – die Lebensspanne bestimmen
kann, die einem Menschen zugemessen ist. Was zunächst eine Option
ist, wird zunächst in Österreich – der Autor ist Österreicher –
und später in der ganzen Europäischen Union Gesetz. Obligatorisch
wird nun bei jedem Neugeborenen nach der Geburt – intra-uterin ist
dies nicht möglich – dessen Lebenskapazität bestimmt. Mit
weitreichenden Folgen für die Gesellschaft.
Nun beginnt Greiter zu mutmaßen. In
vielen Episoden berichtet er von Menschen, die aus dem Leben das
Beste machte, die ihre Angelegen rechtzeitig regeln oder noch mal
kurz vor Schluß ein Verbrechen begehen. Lange und kurze
Lebensspannen prallen auf einander. Menschen, die nur 30 werden,
finden keine Partner mehr. Alle Fragen werden gestellt: Wie sieht es
aus mit der Altersversorgung? Was ist mit der beruflichen Beförderung
von Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben? Wie sieht es aus
mit Kandidaten für politische Ämter? ….
Der Autor vermittelt den Eindruck, als
würde erst die Gewißheit der Todesstunde das Leben wirklich
bedeutsam machen. Er will uns sagen, wir – die wir nicht wissen,
wann wir sterben werden – lebten in den Tag hinein, würden unsere
Zeit nicht nutzen, würden unser Leben vergeuden, weil wir nur daran
denken würden, daß wir noch unendlich viel Zeit hätten und
vielleicht unsterblich wären.
Die fiktiven Menschen in seinem Buch
aber sind ganz anders. Sie sind abgeklärt, zufrieden. Sie finden
sich auch mit einem kurzen Leben ab und sterben friedlich und
beglückt im Kreis ihrer Freunde und ihrer Familie.
Die Idee hinter diesem Buch mag sehr
interessant sein, aber das, was Herr Greiter daraus gemacht hat, ist
sehr fragwürdig.
Nicht die Gewißheit der Todesstunde
macht das Leben wertvoll, sondern ihre Ungewißheit. Es ist das
Gefühl, daß wir im Augenblick unsterblich sind, daß unserem Leben
immer wieder diese Tiefe gibt, die es haben sollte. Die Tiefe ist es,
auf des ankommt.
Greiter ist wohlmeinend. Doch da endet
es leider auch bereits.
Nicht die Ungewißheit ist es, die den
Tod schrecklich macht, sondern seine Unvermeidlichkeit. Natürlich
kann es das Denken verändern, wenn man genau um seine Todesstunde
weiß. Aber kann man das?
Greiter legt die Tode durch Unfälle,
Mord und Suizide auf 3% aller Todesfälle, und ich glaube, da liegt
ein Grunddenkfehler seines Ansatzes. Man muß nur an die Zahl der
Verkehrstoten denken. Man muß daran denken, daß Suizid die
Todesursache Nummer 1 bei Adoleszenten ist. Und was ist mit den
Menschen, die beispielsweise durch Anorexia Nervosa umkommen und
verhungern? Ohne Energiezufuhr kann kein Körper leben.
Außerdem sind alle Menschen in seinen
Szenarien intelligent, gebildet und gehören der gehobenen
Mittelschicht an, die es sich leisten kann, ihre letzten Lebensmonate
an der Riviera zu verbringen oder auf einer Kreuzfahrt durch die
Südsee zu verscheiden.
Manche Beispiele offenbaren auch eine
fragwürdige Moral. Da ist zum Beispiel ein Ehepaar, das 135000 Euro
braucht, um seine Pension aufzubessern. 120000 Euro haben sie durch
eine Erbschaft erworben, und als sie den Rest zusammen haben, legen
sie die Summe auf die hohe Kante und verprassen den Rest, denn sie
sind der Meinung, ihre Kinder sollten sich nicht auf eine Erbschaft
verlassen und statt dessen ihren Wohlstand selbst erarbeiten. Ich
glaube, man nennt so etwas Bigotterie.
Ansonsten hat man den Eindruck, als
würde in Greiters Welt nur noch gestorben. Alle sind derart auf
ihren Tod fixiert, daß sie kaum mehr dazu kommen, zu leben.
Greiters Ansatz ist durchaus
interessant. Und seine Botschaft ist durchaus wichtig: Fürchtet den
Tod nicht!
Besser wäre aber: Lebt!
Der Sinn des Lebens liegt im
Augenblick. Im Jetzt. Ich bin da. Das ist der Sinn des Lebens. Ich
bin nicht mehr da. Das ist der Sinn des Todes.