Donnerstag, 25. Oktober 2012

DENN DU KENNST DEN TAG

von Ilka Lohmann
Rezension zu: „ENDTAG: Wenn jeder weiß, wann er stirbt – Ein Szenario“ von Ivo W. Greiter
erschienen bei TYROLIA-VERLAG Innsbruck, Wien, 2012
ISBN: 978-3-7022-3204-7, Preis 17,95 Euro


„Der Tod ist gewiss, ungewiss seine Stunde“, weiß der Volksmund zu berichten. Der Tod ist es, der dem Leben Sinn gibt. Weil aber keiner von uns weiß, wann es soweit ist, hängt er wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.

Wie wäre es nun, wenn wir wüßten, WANN wir sterben? Würde das dem Tod seinen Schrecken nehmen?
Ja, meint Ivo W. Greiter in seinem Buch – er nennt es ein Szenario - „Endtag“. Es beginnt ein wenig wie Science Fiction. Die Wissenschaft hat herausgefunden, wie man – mittels eines einfachen Bluttests – die Lebensspanne bestimmen kann, die einem Menschen zugemessen ist. Was zunächst eine Option ist, wird zunächst in Österreich – der Autor ist Österreicher – und später in der ganzen Europäischen Union Gesetz. Obligatorisch wird nun bei jedem Neugeborenen nach der Geburt – intra-uterin ist dies nicht möglich – dessen Lebenskapazität bestimmt. Mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft.
Nun beginnt Greiter zu mutmaßen. In vielen Episoden berichtet er von Menschen, die aus dem Leben das Beste machte, die ihre Angelegen rechtzeitig regeln oder noch mal kurz vor Schluß ein Verbrechen begehen. Lange und kurze Lebensspannen prallen auf einander. Menschen, die nur 30 werden, finden keine Partner mehr. Alle Fragen werden gestellt: Wie sieht es aus mit der Altersversorgung? Was ist mit der beruflichen Beförderung von Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben? Wie sieht es aus mit Kandidaten für politische Ämter? ….

Der Autor vermittelt den Eindruck, als würde erst die Gewißheit der Todesstunde das Leben wirklich bedeutsam machen. Er will uns sagen, wir – die wir nicht wissen, wann wir sterben werden – lebten in den Tag hinein, würden unsere Zeit nicht nutzen, würden unser Leben vergeuden, weil wir nur daran denken würden, daß wir noch unendlich viel Zeit hätten und vielleicht unsterblich wären.
Die fiktiven Menschen in seinem Buch aber sind ganz anders. Sie sind abgeklärt, zufrieden. Sie finden sich auch mit einem kurzen Leben ab und sterben friedlich und beglückt im Kreis ihrer Freunde und ihrer Familie.

Die Idee hinter diesem Buch mag sehr interessant sein, aber das, was Herr Greiter daraus gemacht hat, ist sehr fragwürdig.
Nicht die Gewißheit der Todesstunde macht das Leben wertvoll, sondern ihre Ungewißheit. Es ist das Gefühl, daß wir im Augenblick unsterblich sind, daß unserem Leben immer wieder diese Tiefe gibt, die es haben sollte. Die Tiefe ist es, auf des ankommt.
Greiter ist wohlmeinend. Doch da endet es leider auch bereits.
Nicht die Ungewißheit ist es, die den Tod schrecklich macht, sondern seine Unvermeidlichkeit. Natürlich kann es das Denken verändern, wenn man genau um seine Todesstunde weiß. Aber kann man das?
Greiter legt die Tode durch Unfälle, Mord und Suizide auf 3% aller Todesfälle, und ich glaube, da liegt ein Grunddenkfehler seines Ansatzes. Man muß nur an die Zahl der Verkehrstoten denken. Man muß daran denken, daß Suizid die Todesursache Nummer 1 bei Adoleszenten ist. Und was ist mit den Menschen, die beispielsweise durch Anorexia Nervosa umkommen und verhungern? Ohne Energiezufuhr kann kein Körper leben.
Außerdem sind alle Menschen in seinen Szenarien intelligent, gebildet und gehören der gehobenen Mittelschicht an, die es sich leisten kann, ihre letzten Lebensmonate an der Riviera zu verbringen oder auf einer Kreuzfahrt durch die Südsee zu verscheiden.
Manche Beispiele offenbaren auch eine fragwürdige Moral. Da ist zum Beispiel ein Ehepaar, das 135000 Euro braucht, um seine Pension aufzubessern. 120000 Euro haben sie durch eine Erbschaft erworben, und als sie den Rest zusammen haben, legen sie die Summe auf die hohe Kante und verprassen den Rest, denn sie sind der Meinung, ihre Kinder sollten sich nicht auf eine Erbschaft verlassen und statt dessen ihren Wohlstand selbst erarbeiten. Ich glaube, man nennt so etwas Bigotterie.
Ansonsten hat man den Eindruck, als würde in Greiters Welt nur noch gestorben. Alle sind derart auf ihren Tod fixiert, daß sie kaum mehr dazu kommen, zu leben.

Greiters Ansatz ist durchaus interessant. Und seine Botschaft ist durchaus wichtig: Fürchtet den Tod nicht!
Besser wäre aber: Lebt!
Der Sinn des Lebens liegt im Augenblick. Im Jetzt. Ich bin da. Das ist der Sinn des Lebens. Ich bin nicht mehr da. Das ist der Sinn des Todes.



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