von Ilka Lohmann
Rezension zu „Der Potemkinsche
Hund“ (Roman) von Cordula Simon
erschienen bei Picus Verlag
Ges.m.b.H., Wien
ISBN: 978-3-85452-688-9; Preis:
19,90 Euro
„Was ist schön außer der Liebe und
dem Tod?“, fragt Walt Whitman in seinem Gedicht „Scented Herbage
of my Breast“ (1888). Beide Themen greift die österreichische
Autorin Cordula Simon in ihrem Erstlings-Roman „Der Potemkinsche
Hund“ auf und beweist damit einmal mehr, daß die deutsche
Gegenwartsliteratur zwar ihren Schwung verloren haben mag, die
österreichische aber nicht.
Irina, Mitte Dreißig und
alleinstehend, lebt in Odessa und ist verliebt in ihren Nachbarn
Anatol. Aber Anatol stirbt plötzlich und unerwartet. Dieser Tod
stürzt Irina in eine tiefe Krise. Sie, eine Chemikerin, wendet ihre
Fähigkeiten an, schleicht sich nachts auf den Friedhof und versucht,
den Leichnam wieder zum Leben zu erwecken. Vermeintlich scheitert ihr
Experiment. Sie wartet nicht lang genug, um Anatols Rückkehr aus dem
Reich der Toten mitzuerleben. Sie beginnt nun, ihr Leben zu bedenken,
ihre verpaßten Chancen und ungenutzten Möglichkeiten und verläßt
die Stadt.
Anatol indessen kehrt aus dem Grab
zurück. Ein Hund, er nennt ihn Celobaka (russ. Menschhund), führt
ihn durch die Straßen und wird ihm zum treuen Begleiter. Anatol
versucht, sich zu erinnern, doch obwohl er wiederbelebt wurde, kann
er sein Leben nicht mehr wiederfinden. Es ist vorbei. Es ist beendet.
Unwiderruflich. Mit jedem Tag verblassen die Bilder ein wenig mehr.
Als Irina und Anatol einander auf ihren
eigenen Odysseen doch begegnen, bleibt das Feuer aus. Sie bleiben
Fremde. Die Liebe ist tot. Wie das Leben. Irina hat alles verloren
außer ihrer Verzweiflung, und Anatol verschwindet in der Nacht.
Es könnte ja fast ein Schauerroman
sein. Doch trotz des Zombies Anatol, der stinkend und verwesend durch
die Straßen von Odessa und Kiew wandert, stellt sich kein Schauer
ein. Vielmehr wird das Absurde der Situation zu einer merkwürdigen
Realität.
Während Anatol sich nicht an sein
Leben erinnern kann, wird Irina von ihren Erinnerungen geradezu
überschwemmt – eine Flut, der sie sich nicht wiedersetzen kann.
Anatol ist gestorben, und auch sie fühlt sich wie eine lebende Tode.
Innerlich ist sie ebenfalls ein Zombie. Sie, die immer hinter den
anderen stand, auf die nie der Scheinwerfer fiel, die all ihre
Chancen, glücklich zu werden, vertan zu haben glaubt, die keinen
eigenen Blick zu haben scheint und sich selbst immer nur mit fremden
Augen betrachtet. Sie meint, von einer Doppelgängerin verfolgt zu
werden – ein Symptom der Spaltung, in die der Abscheu vor sich
selbst sie getrieben hat.
Nein, dieses Buch ist nicht
schauerlich. Es ist kein Horrorroman im Stile von Steven King. Doch
düster ist der Roman auf alle Fälle. Es ist ein bemerkenswertes
Stück Gegenwartsliteratur.
Es mag zu Beginn nicht leicht
zugänglich sein, doch es öffnet sich allmählich dem Leser wie die
Tür einer Gruft zu Mitternacht. Die Sprache ist einfach, nahezu
kühl.
Ein Höhepunkt ist das 15. Kapitel.
Hier gibt sich die Verfasserin nahezu rhapsodisch einem großen
Entwurf über das Leben, den Tod, die Liebe und die Qual des
alltäglichen Dasseins hin. Hier bringt sie den Menschen auf einen
Punkt. Der Mensch, der Verlorene im Universum. Der Tod, der ein
Freund sein kann, der hilft, der dahineilenden Zeit einen Anker und
Bedeutung zu geben.
Cordula Simons Erstlings-Roman ist ein
kleines Meisterwerk. Es fällt schwer, in der Gegenwartsliteratur
Ähnliches zu benennen. Allenfalls wären es Jelineks „Die Kinder
der Toten“ oder – um die Gegenwart zu verlassen - „Der Fall
Waldemar“ von Edgar Allan Poe.
Was ist das für eine Welt, in der die
Toten auferstehen, weil die Liebe nach ihnen ruft, und der die
Liebenden am Ende doch nicht zu einander finden?
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