Als die Römer die Schreibkultur zu den Kelten und Germanen brachten, klagten die Druiden. Sie beschworen den Niedergang der Kultur und des Wissens. Etwas aufzuschreiben, war in ihren Augen ein Sakrileg. Geschriebenes sei tot, sagten sie, und nur lebendiges Wissen wäre das, woraus es ankäme.
Die Druiden selbst schrieben kein Wort auf. Deshalb wissen wir auch kaum mehr von ihnen.
Doch ihre Worte machen nachdenklich. Denn vielleicht hatten sie recht.
Durch das geschriebene Wort wurde aus lebendiger Weisheit Bücherwissen. Aus Bücherwissen wurde Information. Man kann Geschriebenes eben "getrost nach Hause tragen", und man kann sich darauf verlassen, daß einem das Wissen zur Verfügung steht. Wissen, wo es geschrieben steht, statt einfach nur zu wissen.
Aber wer weiß. Einzig unwandelbar ist, wie schon der Buddha lehrte, nur der ewige Wandel. Vielleicht befinden wir uns auf einem Weg, der heraus führt der Schreibkultur unserer Tage.
Ein Indiz für diese Veränderung ist die zunehmende Beliebtheit, die von den Menschen, vor allem von den sogenannten bildungsbürgerlichen Schichten dem Hörbuch entgegengebracht wird.
Ein Hörbuch ist, wie der Name schon sagt, ein Buch zum Hören. Auf mehreren leicht handhabbaren CDs oder Kassetten befindet sich, meist von hochkarätigen Rezitatorenn eingelesen, ein Roman in ganzer Länge, den man nach eigenem Gutdünken hörend rezipieren kann. Man wirft einfach die CD in die Stereoanlage oder das Autoradio, und schon befindet man sich mitten drin in der Welt der klassischen oder modernen Literatur.
Hörbücher sind zur Normalität geworden. In Buchhandlungen nehmen sie schon fast soviel Raum ein wie die althergebrachten papiernen Bücher. Jeder Verlag, der etwas auf sich hält, bringt einen Roman gleichzeitig als Buch und als Hörbuch heraus. Daß Hörbücher dabei um einiges teurer sind, scheint kaum einen dabei zu stören. Immerhin richten sich die meisten dieser Lesungen an ein Publikum, das ohnehin kaum von wirtschaftlichen Engpässen betroffen ist.
Das Hörbuch wird als Erfolgsmodell verkauft, weil es angeblich auch die so sehr umworbenen "jungen Konsumenten" an Literatur heranführt.
Es nimmt also nicht Wunder, daß auch die Leipziger Buchmesse dem Hörbuch einen großen Raum eingerichtet hat.
Ja, die Hörbuchhölle befand sich in Halle 3. Gleich um die Ecke konnte man sich das E-Book vorführen lassen, und ironischerweise war in selbem Saal auch die Leipziger Antiquariatsmesse - ein fester Bestandteil der Buchmesse - untergebracht. So waren literarische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft harmonisch unter einem Dach vereint.
Die Hörbucher ber herrschten unbeschränkt in der ganzen Mitte der Halle. Es gab keinen Weg daran vorbei. Ich versuchte lange und vergeblich, den Stand des Campus-Verlages zu finden, doch unter den Hörbüchern verlor ich meine Orientierung.
Es gibt mit Sicherheit kein Buch mehr, daß es nicht als Hörbuch gibt. Und für die, denen das auch noch zu anstrengend ist, ist vieles bereits als Hörspielversion zusammengefaßt.
Was für Zeiten sind das doch, in denen wir leben! Man muß nicht einmal mehr lesen können, um sich mit der Literatur der Welt vertraut zu machen.
Viele könnten es auch nur lesend gar nicht mehr.
Der Bundesverband fpr Alphabetisierung und Grundbildung e.V. spricht von 4 Millionen Analphabeten in Deutschland. Man kann aber davon ausgehen, daß die Dunkelziffer weit höher ist. Es genügt nicht, nur lesen und schreiben zu können. Mancher kann zwar schreiben, ist aber trotzdem nicht in der Lage, klare und grammatikalisch korrekte Säzte zu formulieren. Andere können lesen, verstehen da Gelesene aber nicht.
Das scheint keinen zu interessieren. Medienwirksam beklagen zwar immer wieder ein paar Politiker die Bildungsmisere in Deutschland, doch das, was jene unter Bildung verstehen, ist nichts weiter als die "Ausbildung" eines getreuen Konsumenten, Staatsbürgers und Arbeitnehmers. Um wahre Bildung, "Menschenbildung" nannte es Schiller, geht es doch schon lange nicht mehr.
Die großen Ideale der Aufklärung sind dahin. Keiner ruft mehr den Menschen, wie einst Immanuel Kant, ein "Wage es, zu denken!" zu oder fordert den "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unnmündigkeit". Nein. Heute ist diese Unmündigkeit überaus erwünscht.
Und die Hörbücher, bei allem Nutzen, den sie bringen mögen, sind auf lange Frist nur ein weiterer Schritt in diese Richtung. Fatalerweise sind einige dieser Hörbücher sehr schön gemacht. Ich erinnere an die Harry-Potter-Aufnahmen von Stephen Fry oder an die Lesung "The Return of the Native" (Roman von Thomas Hardy) von Alan Rickman.
Hörbucher sind, um nicht allzu sehr in eine Richtung auszuschlagen, eine wertvolle Ergänzung, nur sollte man sich hüten, sie überzubewerten und sie zu mehr zu machen, als sie sind.
Man braucht auch für "die Jugend" keine Hörbücher, um sie an Literatur heranzuführen. Dafür braucht man einfach nur gute und spannende Bücher. JKR hat es gezeigt. Was wir brauchen, sind leidenschaftliche Autoren und Verleger. Dann werden wir auch leidenschaftlich lesen können.
Ich selbst - man ahnt es bereits - bin keine große Freundin von Hörbüchern. Ich brauche ein Buch, um es zu lesen. Ich will in meiner eigenen Geschwindigkeit lesen, und ich will das in den Text hineinlesen können, was ich darin sehe, denn ein vorgelesener Text hat zwei Väter und Mütter - die Autoren und die Rezitatoren. Das muß man wissen.
Selbst zu lesen, ist auch ein Stück Freiheit der Phantasie. Wenn ich ein Buch lese, trete ich in eine Welt ein, die voller Geräusche und Gerüche und sichtbarer Dinge ist. Alle Sinne spricht das Lesen an. Ich höre die Figuren geradezu reden.
Das geschieht nicht, wenn ich nur Zuhörerin bin.
In unseren Breiten gibt es keine Druiden mehr. Wohlaber in Wales. Diese Druiden aber sind weder Seher noch Schamanen. Sie sind Dichter. Sie schreiben Bücher und lehnen das tote Geschriebene nicht mehr ab.
Das Buch als Hüter und Träger des Wissens wird nicht verloren gehen. Meiner Generation jedenfalls nicht.
Für die, die nach uns kommen, kann ich nur hoffen.
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