Samstag, 31. Oktober 2009

Dienstag, 27. Oktober 2009

GRAVENSTEINER


Der Apfelbaum, den meine Mutter pflanzte im Sommer, ehe sie ging, trägt in diesem Jahr zum ersten Mal Frucht. Rot leuchten die herabgefallenen Äpfel im Gras. Rot und grün prangen die anderen an den Zweigen.
Gravensteiner. Eine alte Sorte. Lieblich im Duft, süß und saftig im Geschmack. Schiller war es, der immer einige dieser Äpfel im Schubfach seines Schreibtisches dem Verfall überließ, weil der Geruch seine Sinne beflügelte.
Gravensteiner sind selten geworden. Beim Händler findet man sie nicht. Sie lassen sich nicht lagern und verderben schnell. Sie sind wie der Sommer: Sie haben ihre Zeit, dann verschwinden sie, und wir müssen warten, bis der Kreislauf des Jahres sie zu uns zurückbringt.
Ein Gravensteiner Apfel ist ein Augenblick der Hingabe; es ist der vergängliche, flüchtige Genuß der Zeit, der nur als verbleichende Erinnerung bei uns bleiben kann.
Ich einen der roten Äpfel, der im Grase liegt, auf. Ich rieche ihn. Dieser liebliche Duft, den er verströmt, für den jedes Wort zu klein ist. Dann beiße ich hinein.
Ich koste ihn – diesen Augenblick, diesen Apfel.


Samstag, 24. Oktober 2009

JENSEITS DES FLUSSES

Ich sehe
Nebel und Feuer
jenseits des Flusses.

Ich höre sie rufen
und ihre Lieder.

Sie tanzen so frei
unter Eschen und Weiden.

Sie haben
keine Blicke
für meinen
sterblichen Leib.

Ich gehe nicht
zu ihnen hinüber
Mit Asche tilge ich
meine Spuren
von den Wegen,

und ich hoffe
im Stillen,
daß auch sie
meiner
vergessen werden.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Mittwoch, 21. Oktober 2009

DREI HAIKUS über den Herbst

Der Rabe breitet
weit seine Schwingen aus und
gleitet über das Feld.

Schritte übers Gras.
Es knistert unter den Füßen
der silberne Rauhreif.

Über den Gärten
steigt schon der weiße Rauch auf.
Der Sommer verbrennt.

MORGENIMPRESSIONEN vom 21. Oktober 2009





Montag, 19. Oktober 2009

HELDENLIED

Erst nach dem Sieg
oder der
Unüberwindlichkeit
der Niederlage
endet
das Heldenlied.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Am Brunnen vor dem Tore - Wilhelm Müller

16. Oktober 2009 | Apolda

Am Brunnen vor dem Tore
Ein Abend mit Wilhelm Müller - zum 215. Geburtstag des Dichters

Apolda, Schloß Apolda, 20 Uhr (Einlaß 19 Uhr)

Eine literarisch-musikalische Soiree mit Ilka Lohmann (Rezitation), Nicole Gleitsmann (Gesang) und Georg Lohmann (Klavier). Texte von Wilhelm Müller und Musik von Schubert, Brahms und anderen.

"Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum..." Eine der unsterblichsten und schönsten Zeilen der deutschen Literatur. Jeder kennt das stille, traurige Lied von enttäuschter Hoffnung und verlorener Heimat.
Doch wer ist der Dichter, aus dessen Feder diese Zeilen stammen? Sein Name ist Wilhelm Müller. Kein Name, der Aufmerksamkeit auf sich zieht. Neben Eichendorff, Uhland und Lenau zählt Müller zu den begabtesten Dichtern der Romantik, und seine Gedichtzyklen "Die Schöne Müllerin" und "Die Winterreise" dienten Franz Schubert zur Grundlage für die schönsten Melodien klassischer Musik.
Heinrich Heine bekannte, keinen Liederdichter neben Goethe so sehr zu lieben wie Müller, und er lobte in dessen Versen den reinen Klang und die wahre Einfachheit.

Eintritt: 5 € Vorverkauf, 6€ Abendkasse. Kartenvorverkauf ab 24.08.2009 in der Tourist-Information Apolda, Markt 1, 99510 Apolda.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Herbst in einer mittelthüringischen Kleinstadt anno 2009







SIEBEN HAIKUS

Kupferner Himmel
Dunkel über dem Heiligen Berg.
Einbruch der Nacht

Abendsonne über dem Berg,
mild ist die klare Luft.
Aus dem Tal steigt Kühle.

Nacht über dem Wald.
Der Weg liegt in Dunkelheit.
Am Himmel leuchten die Sterne.

Abgeerntetes Feld,
kühler Abendwind.
Ein Bussard im Sturzflug.

Früher Morgen.
Tau liegt auf den Bäumen.
Die Meisen fliegen vorüber.

Windstille.
Kein Rauschen im Kastanienbaum.
Auf dem Zweig ein Rotkehlchen.

Mittagsnebel über dem Feld.
Eine Windbö erhebt sich.
Raben fliegen auf.

Dienstag, 6. Oktober 2009

DER INQUISITOR

„Jeder Mensch ist ein Ketzer“, sagte der Inquisitor. „Meine Aufgabe ist es, sie zu überführen, und ich überführe jeden.“
Der Gelehrte, der mit ihm war, schüttelte den Kopf. „Wie kannst du so etwas sagen?“
„Ich sage es, weil es wahr ist“, beharrte der Inquisitor und lächelte den Gelehrten herausfordernd an. „Man gebe mir drei Zeilen des aufrechtesten Menschen der Welt, und ich finde darin etwas, das ihn an den Galgen bringt.“
„Also gut“, meinte der Gelehrte. Er nahm ein Blatt Pergament und eine Feder zur Hand und schrieb die Worte nieder: „Eins und Eins ergibt Zwei.“ Dann reichte er das Blatt dem Inquisitor.
Der Inquisitor las die Zeile durch und runzelte nachdenklich die Stirn. Er hob den Blick, und ein boshaftes Funkeln leuchtete in seinen Augen. Langsam sprach er: „So. Du leugnest die Dreieinigkeit Gottes? Ich fürchte, ich muß dich verhaften.“