Poetry Slam ist in. Veranstaltungen, die unter diesem Etikett laufen, ziehen Publikum in Schaden an. Auf diesen Events tragen Menschen zwischen zwölf und zweiundachtzig ihre Texte vor, die lyrischer, satirischer oder komödiantischer Natur sind und einen Zeitrahmen von fünf Minuten füllen müssen. Am Ende darf dann noch das hochgelobte Publikum abstimmen, wer der Beste war, und so kann einer als Gewinner nach Hause gehen. Die anderen haben verloren, dürfen sich aber darüber freuen, dabei gewesen zu sein.
Die Fan-Gemeinde des Poetry Slam ist riesengroß, und ebenso von scheinbarer Heterogenität wie die der Slammer selbst. Scheinbar ist diese Vielfalt deshalb, weil man doch eine gewisse Uniformität in Publikum und Vortragenden nicht leugnen kann. Ist dies also wirklich „Vielfalt, was da geboten wird?
Aus dem Titel, den ich diesem Text vorangestellt habe, geht schon hervor, daß diese Sache „Not my Cup of Tea“ ist
Nein, ich bin keine Slammerin, und ich werde auch nie eine werden. Gott weiß, ich habe es versucht. Ich bin gescheitert. Aber was uns nicht umbringt, macht uns stärker, wußte schon Nietzsche. So bin ich gescheitert an der Unvereinbarkeit meiner eigenen Ideale mit den Idealen des Poetry Slam. Und das ist eine Erkenntnis, die mir Kraft gibt.
Ja, mag man jetzt tönen, sie mag keinen Poetry Slam, weil sie nicht zeitgemäß und aufgeschlossen ist. Zu konservativ ist sie. Verhalten am Althergebrachten, an den klassischen Formen der Dichtung, die sich längst überholt haben.
Den Vorwurf nehme ich gern an. Ich widerspreche ihm auch nicht – bis zu dem Teil, der die klassischen poetischen Formen als überholt betrachtet.
Sollte es nicht in unserer Zeit möglich sein, wirkliche Vielfalt auf im Bewahren des Bewährten gelten zu lassen.
Die Kathedrale von Chartre reißt man ja auch nicht ab, nur weil die Gotik heutzutage passè ist. Und die Pyramiden von Gizeh läßt man auch stehen.
Aber ich schweife ab.
Ich bin der Überzeugung, daß jeder seines Glückes Schmied ist – in der Hinsicht, daß jeder schon weiß, was ihn glücklich macht, was ihm gefällt und erfreut und aus eben diesen Gründen danach strebt. Das soll jeder auch tun. Wer von einem Poetry Slam glücklich wird, ob als Rezipient oder als Vortragender, der dieses Glück genießen und froh darüber sein, etwas zu haben, das ihm Freude bereitet.
Aber was für ein Bild gäbe das Verbot ab, dieses Phänomen kritisch zu betrachten oder gar zu hinterfragen?
Bei einem Poetry Slam wird das, was man sehr weitläufig als Lyrik bezeichnen kann, zum Ereignis. Manche Slammer haben eine richtige Fan-Gemeine, die jeden Auftritt ihres Idols bejubelt. Man grölt, man lacht, man klatscht. Man will unterhalten werden.
Und am Ende wird der Beste zum Sieger gekürt.
Meiner Ansicht nach liegt schon im Namen der Sache der Hase im Argen, und damit meine ich nicht, daß der Ausdruck ein Anglizismus ist. Aber zusammengesetzte Substantive sind wie Brüche in der Mathematik: Es gibt einen Zähler und einen Nenner, und der Nenner sagt, wo es lang geht.
Ein Schaukelstuhl ist in erster Linie ein Stuhl. Eine Standuhr ist in erster Linie eine Uhr. Ein Himmelbett ist in erster Linie ein Bett. Und ein Poetry Slam ist in erster Linie – ein Slam, also ein Schlagabtausch oder Wettkampf.
Die Poesie wird zwar an erster Stelle genannt, doch sie gibt lediglich die Art und Weise des Schlagabtausches vor. Und so finden sich dann auch die zusammen, die in erster Linie gewinnen wollen; und die dargebotenen Texte – inklusive Vortrag – ordnen sich der Maxime unter, besser zu sein als die anderen. Und besser ist das, was der Mehrheit des Publikums gefallen. Letztlich ist es also ein Buhlen um die Gunst des Publikums.
Halten wir fest: Bei einem Poetry Slam geht es nicht um Poesie. Es geht um den Wettstreit und um den Schlagabtausch.
In zweiter Hinsicht geht es darum, diesen Wettstreit so unterhaltsam wie möglich zu betreiben. Unterhaltung ist nichts verwerfliches. Noch weniger verwerflich ist unterhaltsam dargebotene Kunst. Die Frage ist nur, ob die Unterhaltsamkeit Zweck oder Mittel ist.
Unterhaltung hat in der Kunst vor allem dann einen hohen Stellenwert, wenn sie gewissermaßen als Bei-Produkt des künstlerischen Erlebens entsteht.
Kunstwerke, die aber a priori auf Unterhaltsamkeit abzielen, die also dem Diktat und dem Zwang zur Unterhaltsamkeit unterworden sind, können nicht anders als mittelwertig sein, denn Extrema – zum Guten wie zum Schlechten – haben keinen Unterhaltungswert.
Für mich persönlich ist Unterhaltsamkeit keine Kategorie, die für Lyrik relevant wäre. Von einem Gedicht will ich nicht unterhalten werden. Was ich mir von einem Gedicht ersehne, ist dieser Augenblick der Wahrhaftigkeit, der uns überfällt, wie ein Ungewitter, und der uns, wenn er vorübergezogen ist, weiser und stiller zurücklässt.
Für mich ist ein Gedicht ein Moment des Innehaltens, der innerlichen Einkehr, der Versenkung. Es ist geronnene Zeit in Schmerz oder Glück, ein Lächeln der Ewigkeit. Stille Betrachtung, Nachdenklichkeit, Meditation, Erkenntnis und ein Abglanz der Erleuchtung.
Freilich ist dies das Besondere. Nicht jedes Gedicht, und stammte es auch aus den Federn der Großen, erfüllt diese Ansprüche, doch selbst „die Geringsten unter ihnen“ tragen zumindest das Versprechen in sich auf einen Abklang des großen Liedes: „Du bist größer, als du meinst, und die Welt ist mehr, als du dir denken kannst.“
Beim Slam wird das Gedicht oder, besser gesagt, der Text reduziert auf das Ereignis, den Vortrag, die fünf Minuten Unterhaltung, und um die Zeitvorgabe zu erfüllen, müssen Texte oftmals in die Länge gezogen werden. Die geheimnisvolle Verdichtung, die Rätsel aufgibt, und die ein Wesensmerkmal der Lyrik ist, geht so verloren. Die Performance wird zur Hauptsache, der Text bleibt Bei-Produkt.
Auch die Verfasser der Texte werden zu Performern, Darstellern und Unterhaltern.
Der Dichter, der aus seinem Text heraus lebt und schreibt und arbeitet, hat hier nur dann die Chance zu bestehen, wenn er es schafft, sich den Regeln und Notwendigkeiten des Slam unterzuordnen.
Mit einem Sonett darf man freilich nicht ankommen, denn mit vierzehn Zeilen füllt man keine fünf Minuten.
Ich nun, um den Kreis zu schließen, bin keine Slammerin und werde es auch nicht werden, denn ordnete ich mich den Gesetzmäßigkeiten des Poetry Slam unter, ich müßte das aufgeben, was Poesie mir bedeutet.
Auch für mich gehören Lesungen und Lesekonzerte zum Alltag. Ohne das geht es nun einmal nicht, doch liegt mir immer daran, das Wort – nicht die Performance – in den Vordergrund zu stellen.
Das Wort, das ist auch das geschriebene Wort. Ein Text muß auch dann bestehen, wenn er auf das nackte geschriebene Wort zurückgeführt ist.
Man soll mich nicht falsch verstehen. Viele Texte, die auf Slams dargeboten werden, sind von großer Qualität. Sie wären es auch dann, wenn sie nicht mit Geschick und Übung vorgetragen werden würden, doch dann – und das ist vielleicht das Bedauerliche, würde keiner davon Notiz nehmen.
Auch wenn viele Menschen zu diesen Veranstaltungen kommen, nur wenige von ihnen nehmen sich wirklich die Zeit und die Muse, um ein Gedicht auch zu lesen und intensiv zu erfahren.
Schnell-lebig ist unsere Zeit geworden. Und der Poetry Slam fügt sich gut ein in dieses Lebensgefühl. Die urbanen Intelligenzler haben ihren Zeitvertreib, und die Vortragenden haben ihren Spaß. Doch ein Wettstreit bleibt ein Wettstreit, und der Sieger steht am Ende immer anders da als der Verlierer. Aber auch der Wettstreit ist eben auch unserer Gesellschaft angemessen, und um so besser, wenn er alle Bereiche des Lebens durchdringt.
Aber sollte es Aufgabe des Künstlers sein, sich in die Gesellschaft einzufügen, vor allem dann, wenn diese wie die unsrige an allen Enden zerbricht?
Nein, ich bin keine Slammerin.
Ich werde auch keine.
Ich bewahre mir einfach die Hoffnung, daß in unserer zerbrechenden Welt immer noch ein Gedicht zurückblieben kann, an dem man sich festhalten darf, und es nur Hilde Domins berühmte „Rose als Stütze“.
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