Essay - vorgetragen am 28. Juli 2012 in der Kirche zu Kleinromstedt
anläßlich eines Konzerts im Rahmen der Dorfkirchenmusiken im Weimarer Land
Eine der bedeutsamsten historischen
Persönlichkeiten deutscher Abstammung ist mit Sicherheit Martin Luther. Luther,
der Mönch, der Theologe, der Revolutionär und der Reformator. „Larger than
life“ möchte man manchmal denken, wenn man versucht, tiefer in Leben und Werk
und vor allem in die Persönlichkeit dieses Mannes vorzudringen.
Wie alle Großen der Geschichte gibt es Luther
zweimal. Der eine ist der Mensch aus Fleisch und Blut, der lebte und liebte und
seine Zeit auf Erden verbrachte. Der andere ist die Persönlichkeit, ein Heros,
eine fast schon mythische Figur. Viel der Großen haben diese Verdopplung
erfahren – Barbarossa, Armin der Cherusker, Goethe. Durch die sagenhafte
Überhöhung aber werden diese Figuren von uns entfernt. Wir wagen es kaum noch,
sie zu berühren, und wenn, dann müssen wir uns mit dem Schild der Ironie
wappnen, um uns zu schützen gegen die Erhabenheit, die vielleicht keine ist.
Hin und wieder kommen Menschen und versuchen, die Helden von ihren Sockeln zu
stoßen. Obwohl das nicht nötig ist. Wir wissen ja instinktiv, daß die Menschen
nicht identisch sind mit ihren marmornen Abbildern, und wir brauchen sie doch,
unsere Helden.
Im Jahre 2017 steht ein großes Jubiläum an. Es
werden dann exakt 500 Jahre vergangen sein, seitdem sich Martin Luther am
Vorabend von Allerheiligen im Jahre 1517 aufmachte, um – so sagt es die Legende –
seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg zu schlagen. Seit
2007 feiert die EKM ihre Lutherdekade. Inzwischen ist Halbzeit.
Luther ist natürlich das Zentralgestirn, ist Dreh-
und Angelpunkt dieser Festzeit. Natürlich ist er der Held. Die lutherische
Kirche will ihren Begründer feiern, der für die gerechte Sache Leib und Leben
riskierte. Wie es das Schicksal will, war Luther eine vielschichtige
Persönlichkeit, die nicht leicht einer Schublade zuzuordnen ist. Das macht ihn
zu einer idealen Projektionsfläche für alle möglichen Argumente, um Kirche zu
gestalten.
Sicher ist nur eines: Der wirkliche Luther war bestimmt
ganz anders.
Luthers Eintritt in den Augustinerordern erfolgte
nicht in erster Linie wegen einer tiefen, inneren Berufung. Er war ein junger,
weltlich gesinnter Student der Rechtsgelahrtheit, als er auf dem Weg nach
Erfurt von einem Gewitter überrascht wurde und erschrocken auf die Knie fiel
mit dem Stoßgebet: „Hilf, Heilige Anna! Ich will Mönch werden.“
Seine Zeit im Kloster verlief denn auch in den
ersten Jahren recht unspektakulär. „Wer
einst den Blitz zu zünden hat, muß lange Wolke sein.“ (Lilje, 2006, S. 63) Nur
durch eine Sache machte er von sich reden: durch sein exzessives Beichten. Er
beichtete alles, was ihm auch nur im entferntesten Sinne als Sünde erschien,
bis ihn schließlich sein Beichtvater ermahnte, er solle nicht immer mit solchem
„Humpelwerk und Puppensünden“ kommen. Was Luther in diesen Zeiten umtrieb, war
die große Frage nach dem gnädigen Gott. Wie konnte man Vergebung vor Gott
erlangen? Wie konnte man ein aufrechtes, sündenloses Leben führen? Wie sollte
man rechte Buße tun?
In jener Zeit blühte der Ablaß-Handel. Der Papst
in Rom wollte den Petersdom erbauen und hatte beschlossen, das Geld für diesen
Zweck mit den Sünden der Leute zu verdienen. Also, man bezahlte einen gewissen
Betrag, je nach Sünde, und erhielt so die Absolution. In Luthers Augen ein Ding
der Unfassbarkeit. Seine Empörung über diese Praxis des Ablasshandels war es,
die ihn letztlich zu seinem Thesenanschlag veranlasste.
Mit dieser schlichten Tat, von der man in Rom
zunächst kaum Notiz nahm, stieß Luther eine Lawine los. Am Ende formte sich
eine Bewegung, die Luther zwar zu ihrer Galionsfigur erkoren hatte, aber deren
Ziele, Vorgehensweisen und Siege nicht unbedingt dem entsprachen, was Luther
gewollt hatte.
Luther war kein Umstürzler, auch wenn der Umsturz
ihm folgen sollte. Er wollte ein Reformator sein, er wollte seine Kirche
reformieren. Sie sollte sich wieder auf ihre Mitte konzentrieren, auf ihr
Wesen, auf das, was sie ausmachte: Jesus Christus. Sie sollte durch Liturgie in
der Landessprache näher zu den Menschen kommen, von den Menschen besser
verstanden werden. Und sie sollte ihre Lehre bereinigen von allem, was nicht
Christus war, von allem, was die Botschaft des Gottessohnes leugnete oder
verfälschte.
Liturgie war ein Kernpunkt seiner Gedanken. Ebenso die Feier des Abendmahls, der Eucharistie.
Die Bilderstürmerei, wie sie im Zuge von Reformation
und Bauernkrieg um sich griff, war Luther ein Greuel. Er sagte: „So wird dies wahrlich dich auch zu keinem
Christen machen, daß du die Klöster einreißt, die Obrigkeit verachtest, dich
voll und toll frissest und säufst.“ (Lilje, 2006, S. 93)
Luther ist ein tragischer Held. An vielen Dingen,
denen sein Name gegeben wurde, war er nicht beteiligt. Vieles von dem, was in
seinem Namen geschah, hat er nicht gewollt.
Aber er hat nicht aufgegeben. Wenn er auch am Ende
resignieren mußte.
„Lieber
Herre Jesu Christe“, so schreibt er wenige Jahre vor seinem Tod, „halt du selbst Konzilium und erlöse die
deinen durch deine herrliche Zukunft.“ (Lilje, 2006, S. 116)
Hans Lilje, der Historiker und Theologe, schreibt
über Martin Luther: „Die geschichtliche
Größe des alten Luther besteht darin, daß er unbeirrt bis zu seinem letzten
Lebenstage aus der Erkenntnis heraus lebt, die er gelehrt hat: Gott macht die
Sünder gerecht.“
Luther fand seinen gnädigen Gott. (Lilje, 2006, S.
119f-)
Zum Schluß möchte ich Philipp Melanchthon zu Wort
kommen lassen, Luthers Freund, Weggefährten und Mitstreiter.
Er sagte, als er Luthers Eulogie hielt: „Jeder,
der ihn (Martin Luther) genauer gekannt hat und oft in seiner Nähe gewesen ist,
muß bezeugen, daß er ein sehr gütiger Mann war, im Verkehr mit anderen in allen
Reden milde, freundlich und sanft und gar nicht frech, stürmisch, eigensinnig
oder zänkisch. Und doch lag gleichzeitig Ernst und Festigkeit in seinen Worten
und Gebärden, wie es einem solchen Manne zukommt. … daher ist es offenkundig,
daß die Härte, die er gegen die Feinde der reinen Lehre anwandte, nicht auf ein
zänkisches und boshaftes Gemüt zurückzuführen war, sondern auf ein großes und
ernstes Streben nach Wahrheit. Das müssen wir und viele andere, die ihn gesehen
und gekannt haben, von ihm als Zeugnis ablegen.“ (Lilje, 2006, S. 130)
Literatur:
Hanns Lilje (2006) Martin Luther – mit
Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowolth Taschenbuchverlag, Reinbek bei
Hamburg
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Der für das Konzert festlich geschmückte Altar der Kirche Kleinromstedt |