Dienstag, 11. Mai 2010

Joseph Schnitzer: "SAVONAROLA - Ein Kulturbild aus der Zeit der Renaissance

Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert wütete die Pest, der Schwarze Tod, in Europa und entvölkertere zahlreiche Landstriche. Für die Menschen, die jenes Elend überstanden, brach eine neue Zeit, eine neue Ordnung der Dinge an. Nichts war mehr, wie es einmal gewesen war. Die Knechte erhoben sich zu Herren, weil ihre Herren nicht mehr am Leben waren.
Und die Überlebenden begriffen sich selbst und das Leben neu. Freude wuchs in ihnen, noch unter der Sonne wandeln zu können, und das spiegelte sich wieder in ihren Taten.
So erhob sich das glanzvolle Zeitalter der Renaissance aus der Todesnacht der Pestilenz.

Mit der Renaissance, die im sonnigen Italien ihren Anfang nahm, änderte sich das Weltbild der Zeit. Der Mensch trat in den Mittelpunkt. Wissenschaft und Forschung trieben erste Blüten, und die Kunst - in Literatur, Musik und Malerei - erhob sich zu selten erreichter Vollkommenheit.
Mit den Worten von Friedrich Engels: "Es war die größte progressive Umwälzung, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte, eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit." (Engels, 1962, S. 312)

Viele große Namen verbindet man mit jener Epoche abendländischer Geschichte: Leonardo, Michelangelo, Pico della Mirandola, Bottivcelli.
Doch eine Persönlichkeit wird oft verschwiegen, weil sie so anders ist als ihre Zeit, weil sie scheinbar von einem anderen Feuer erleuchtet wird, als die anderen Großen.
Die Rede ist von Girolamo Savonarola. Von vielen seiner Zeitgenossen wurde der Dominikaterpater aus Ferrara, der in Florenz lebte und wirkte, als Heiliger und Prophet verehrt, von anderen wurde er für seine Sittenpredigten und seine politische Agitation verdammt. Am Ende landete er, wie viele seines Geistes, auf dem Scheiterhaufen.

Ein Forscher, der sich mit besonderer Hingabe dem Leben und Wirken Savonarolas gewidmet hat, war der aus Lauingen in Schwaben stammende Kirchenhistoriker Joseph Schnitzer (1859 - 1939).
Seine zweibändige Biographie "Savonarola - Ein Kulturbild aus der Zeit der Renaissance" ist noch immer das umfassendste deutschsprachige Werk zu der Person des Fra Girolamo.

Das Werk ist in zwei Bände unterteilt.
Im ersten Band, überschrieben mit "Das Leben", widmet sich Schnitzer der Biographie des Dominikanerpaters. Mit sehr viel Liebe zu Fakten und Details beschreibt er die Herkunft der Familie Savonarola, die Jugend des Girolamo und wie dieser schließlich den Weg in den Dominikaner-Orden fanden und dort bis zum Prior des florentinischen Konvents von San Marco aufstieg. Er beschreibt seinen Weg zum politischen Agitator, wie sein Einfluß wuchs und unter seiner Führung in Florenz eine neu sittliche Ordnung errichtet wurde. Schließlich beschreibt er seinen Fall und seinen Tod. Dabei erweckt er den Prior von San Marco, den Asketen, den Gläubigen, den frommen Mann und den heißblütigen Prediger, zum Leben. Fasettenreich und stark schildert er Savonarolas Persönlichkeit in ihrer Zeit.
Im zweiten Band, der den Titel "Das Streben" trägt, befaßt sich Schnitzer eingehender mit Savonarolas Werken, mit seinen Predigten, Schriften und Traktaten. Auch hier bleibt er lebensnah und lebendig, und er ergänzt seine Ausführungen mit zahlreichen Betrachtungen über Kunst und Kultur der Renaissance. Nicht zuletzt beschreibt er hier den Einfluß, den der Frate auf seine Zeitgenossen ausübte. Erzählt wird zum Beispiel die Anekdote, daß Savonarola mit einer Predigt den Künstler Michelangelo so verängstigt habe, daß dieser sein Hab und Gut zusammenraffte und aus der Stadt Florenz floh.

Auf der Bühne des Dramas, welches das Leben des Girolamo Savonarola umfaßt, treten all die Großen ihrer Zeit auf, die Medicis, die Borgias. Laster und Tugenden stehen neben einander und schaffen es doch nicht, sich mit einander zu versöhnen.
Und in der Mitte alldessen steht der Frate, der kleine Mönch aus Ferrara, eine "völlig zu Feuer und Flamme gewordene Persönlichkeit" (Burckhardt, 2004, S. 512)
Schnitzer nähert sich ihm mit Wohlwollen, aber ohne ihn zu verklären. Der Savonarola, den er uns in seinem Werk zeigt, ist ein Mensch.

Schnitzers Savonarola-Biographie, die im Jahr 1924 erschienen ist, ist mit Liebe geschrieben. Sie ist umfangreich, detailreich, reich an Fakten und Hintergründen und trotz ihres Alters sehr gut lesbar. Schnitzers Stil ist nicht akademisch-trocken, sondern von nahezu romancierhafter Eleganz.
Leider gibt es von diesem großartigen Werk keinen Nachdruck, dennoch ist es um vieles lesenswerter als anderer, zeitgenössische deutsche Publikationen.

Literatur

Schnitzer, Jakob (1924) Savonarola - Ein Kulturbild aus der Zeit der Renaissance, Band I: Das Leben, Verlag von Ernst Reinhardt, München
Schnitzer, Jakob (1924) Savonarola - Ein Kulturbild aus der Zeit der Renaissance, Band II: Das Streben, Verlag von Ernst Reinhardt, München
Engels, Friedrich (1962)Dialektik der Natur. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich (1962) Werke, Band 20, (Karl) Dietz Verlag, Berlin
Burckhardt, Jakob (1924) Die Kultur der Renaissance in Italien - ein Versuch, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg

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